Von Sabine GlinkeFARIN URLAUB Fulminanter Tourauftakt mit "Faszination Weltraum" in Siegerlandhalle
SIEGEN - Einen "bunten Strauß an Melodien" hatte Farin Urlaub seinem Publikum versprochen. Das klang zwar gewollt plakativ-blumig, aber das eine Drittel der "Ärzte" ist ja seit jeher bekannt für augenzwinkernd formulierte Ansagen. Nach sechs Jahren Schaffenspause hat das "Farin Urlaub Racing Team" mit "Faszination Weltraum" wieder eine neue Platte am Start, mit der es jetzt auf Tour geht. "Keine Gefahr für die Öffentlichkeit" heißt sie und feierte am Montagabend in der Siegerlandhalle einen fulminanten Tourauftakt.
"Faszination Weltraum" handelt mitnichten vom Weltall, sondern von der Welt als solcher, die durchaus Anlass gibt, einmal genauer hinzuschauen und auch Kritik zu üben. Auf dem Cover: Farin Urlaub in American-Football-Montur, der seinen Weg geht, auch wenn es mal weh tut. Erst kürzlich hatte Urlaub wieder mit seiner klaren Meinung gegen Nationalsozialisten und Antisemitismus von sich Reden gemacht - und im Internet für harsche Diskussionen gesorgt. Kennt man ihn von den "Ärzten" als den blonden Blödel-Barden, bleibt hier wie dort Platz für jede Menge Sozialkritik - und teils schonungslose Selbstreflexion.
Während Urlaub in "Fan" - "dieses Lied handelt von mir" - noch zynisch über jene Fans spricht, die ihm "Verrat" und "Verkauf an den Mainstream" vorwerfen, ist "Immer dabei" eine harsche Abrechnung mit den Narzissten und Größenwahnsinnigen dieser Welt. Der harte Rockklopper "Dynamit" rechnet mit Bausünden der Moderne ab ("Dynamit - Architekturkritik, die man wirklich sieht"). Die ältere Nummer "Porzellan" bohrt im Drang des modernen Menschen herum, immer mehr sein zu wollen, als man ist und auf "OK" gibt sich Urlaub schonungslos den schlechten Gefühlen nach einer Trennung hin. Hört man genau hin, beweist Farin Urlaub eine große Beobachtungsgabe und ein Händchen für nett verpackte Kritik.
Doch er kann auch boshaft sein, und so wünscht er seiner Ex eben auch mal "1000 Jahre schlechten Sex" und sinniert auf "iDisco" über die Blödheit mancher Menschen, und dass er sich "umgeben von Idioten" fühlt. Eine Mischung aus Rock, Pop und natürlich Ska, einem Genre, das bei Farin Urlaub nicht fehlen darf. "Heute tanzen" lässt in Siegen dann auch ein wahres Ska-Feuerwerk los. Allen immer voran: Die grandiosen Bläser (Saxofon, zwei Trompeten, Posaune), die immer wieder starke Akzente setzen, die Stücke teils lenken und für jede Menge Schmiss sorgen. Immer wieder tritt dabei besonders Posaunist Rob Solomon hervor, der mit seinem glasklaren Spiel und seinem weichen Ton zu begeistern weiß. Dreiviertel der Bläser sind (oder waren) übrigens Stammbesetzung der Ska-Band "The Busters", Deutschlands erfolgreichster Combo in diesem Genre. Klar, dass ihnen das Genre besonders leicht fällt. Rob Solomon kennt man außerdem von "Mardi Gras.BB". Sein Zweitinstrument Tuba kommt beim Racing Team ebenfalls zum Einsatz, wenn er den Mitmachsong "Zehn" einleitet.
Neben den Bläsern besteht Urlaubs Band ausschließlich aus Frauen - Bass, Schlagzeug und Gitarre sind seit jeher weiblich besetzt. Für weitere Akzente sorgt der vierköpfige Backgroundchor, der in Siegen an manchen Stellen etwas zu laut daher kommt. Doch auch Urlaub ist ein lauter Sänger und so galoppiert die Band im rund zweistündigen Programm von Song zu Song. Mit einem leichten Reggae-Offbeat kommt "Newton hatte Recht" daher, einer der zahlreichen Titel, bei denen Urlaub das Publikum einbindet und fordert: "Was nicht geht", singt der große Blonde, "geht nicht", antwortet Siegen im Chor. Bei "Zehn" wird traditionell auf zehn wild gesprungen und beim Titel "Alle dasselbe" müssen die Zuhörer die im Song vorkommenden Begriffe als Geräusch stellen - von Stille über den Blitz bis hin zu den kreisenden Krähen.
Doch gerade mit der Stille haben die euphorischen Siegener ein bisschen Probleme. "Ich hab’ Zeit" grinst Farin Urlaub nur und lässt das Ganze so lange exerzieren, bis auch er zufrieden ist.
Für morbiden Nonsens bleibt natürlich auch Platz, und so ist ausgerechnet der Titel "Die Leiche" jener Song, den man als Ohrwurm mit nach Hause nimmt. Der Chor leitet das Stück mit Arpeggios ein und untermalt im weiteren Verlauf mit geisterhaftem Gejaule. Bei vielen dürfte also noch für ein paar Tage eine Leiche im Teich schwimmen. Auf seiner Tour macht das "Farin Urlaub Racing Team" am 3. Juni in der Jahrhunderthalle Frankfurt Station; das Konzert ist jedoch bereits ausverkauft.
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