"Like Heimat I like" liefert in Gießen auf der taT-Studiobühne Paradebeispiele für gescheiterte Kommunikation
Rainer Hustedt stellt in seiner Rolle die Frage, ob die digitale Welt unsere neue Heimat ist und ob man ohne das Internet überhaupt noch leben kann. Foto: Leitner
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GIESSEN - Eine große weiße Box wird hereingeschoben, auf der ein altes Radio steht. Der Mann, der sie schiebt, muss sich anstrengen. Er schiebt die Box um das Publikum herum, das im Stuhlkreis um die Bühne sitzt. Im Hintergrund sitzt die Band hinter einer Leinwand, auf der ein weites Feld mit wehenden Gräsern zu sehen ist.
So beginnt die Aufführung "Like Heimat I like", die in Gießen auf der taT-Studiobühne Premiere hatte.
Die Produktion ist eine Schnittstelle zwischen Theater und Live-Radio und behandelt als vordergründiges Thema das Internet, seine Geräte und seine Institutionen. Nur wenige Nutzer verstehen sie wirklich im Detail und trotzdem sind sie im privaten wie beruflichen Alltag auf sie angewiesen. Globale Vernetzung und die Verfügbarkeit jeder Datei von jedem Punkt der Welt sind sowohl praktisch als auch beängstigend. Nach Jahren der Begeisterung für die neugewonnene Technik setzt allmählich Skepsis ein. Was haben wir uns da nur eingebrockt? Und kommen wir aus der Nummer wieder raus?
Die beiden Regisseure Milan Pesl und Falk Rößler rücken gemeinsam mit den Schauspielern Marlene-Sophie Haagen, Petra Soltau und Rainer Hustedt dem Mythos Internet auf den Leib und versuchen mit einer Mischung aus Theater, Radio und Hörspiel zu hinterfragen, ob die digitale Welt unsere neue Heimat ist und ob wir ohne das Internet überhaupt noch leben können. Zunächst werden einige Begriffe in den Raum geworfen: Algorithmus, Gigabyte, Bitcoins, Grafikkarte. Alles Ausdrücke, die man natürlich kennt. Oder vielleicht auch nicht? Wie erklärt man Algorithmus? Wie funktioniert eine Grafikkarte? Was ist ein Bitcoin? Wir erhalten einen Rückblick in die Kindheit: Der Opa, der zum Einkaufen in den Tante-Emma Laden geht, während die Oma dem Enkel drei Mark zusteckt, damit er ihr schnell die verbotenen Zigaretten aus dem Automaten holen kann. Das Essen wartet auf dem Tisch, als er zurückkommt und Opa rechnet bereits das verbliebene Haushaltsgeld durch. Dann ein Schnitt und ein Pärchen versucht via Internet sich miteinander zu unterhalten. Die Verbindung ist schlecht. Sie sieht ihn nicht und er kann sie nicht verstehen, es entsteht ein umständliches Gespräch. Zu guter Letzt fragt sie noch, ob es ihm gut geht, worauf er nur mit "Was?" antwortet - ein Paradebeispiel von gescheiterter Kommunikation.
Was wäre wohl passiert, wenn in den 90er Jahren das Internet ganz einfach explodiert wäre? "Dann hätte man mit Sicherheit gesagt, war doch klar, dass sowas passiert!" meint die Schauspielerin Petra Soltau, die in schwarz-weiß karierter Tracht und als Haarschmuck eine Antenne auf dem Kopf auf der Bühne steht. Und wo wären wir dann heute? Eine gute Frage ohne klare Antwort. Und genau das will das Stück zeigen: Es gibt keine klare Antwort auf die heutige Nutzung des Internets. Ob das Internet als praktische Erfindung oder als Absurdität gilt, besonders was die sozialen Medien anbelangt, es wird vielfach genutzt.
Der Appell an das Publikum ist wohl, sich einfach mal Gedanken darüber zu machen, wie das Internet genutzt wird, wo die vielen Daten gespeichert werden und für was diese benutzt werden. Gedankenloses und stundenlanges Surfen ist unsinnig und man könnte die Zeit dafür nutzen, mal wieder in die Heimat zu fahren.
Das neue Stück "Like Heimat I like" ist etwas skurril, trifft aber den Nerv der Zeit und hat mit Sicherheit den einen oder anderen Besucher zum Nachdenken angeregt.