Masterabschlussinszenierung von Martin Mader auf der taT-Studiobühne in Gießen
"Blumen des Bösen": Im Masterabschlussprojekt der Angewandten Theaterwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen auf der taT-Studiobühne wird Beaudelaire neu interpretiert.
Von Ulla Hahn-Grimm
Elisabeth-Marie Leistikow und Florian Mania auf der taT-Studiobühne. Foto: Hahn-Grimm
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GIESSEN - Eine Bühne auf der Bühne: Die Akteure stellen sich eine eigene Box zum Spielen vor das Publikum: So wird der Blick des Betrachters fokussierter. Eine Frau (Elisabeth-Marie Leistikow) läuft drinnen von links nach rechts und von rechts nach links. Auf dem Boden liegt ein Mann (Florian Mania), davor stehen drei flimmernde Bildschirme.
Vor allem Studierende und Kollegen hatten sich zur Präsentation des Masterabschlussprojektes der Angewandten Theaterwissenschaften der Justus-Liebig-Universität (JLU) von Martin Mader in der taT-Studiobühne eingefunden. Eine hochinteressante Aufführung, mit begabten jungen Schauspielern, die sicherlich auch außerhalb des universitären Rahmens auf Interesse gestoßen wäre.
Die Frau irrt derweil immer noch umher: "Das ist dock krank. Krank ist das, das muss ich hier doch feststellen können." In ihrem weißen Bademantel sieht sie krank aus, richtig verrückt. Elisabeth-Marie Leistikow gibt in dieser Stunde alles, sie lacht, schreit, rennt, fällt und bleibt dabei immer glaubwürdig. "Es sind die Leichenwagen meiner Träume", ruft sie einmal.
Aus den Lautsprechern sind Geräusche zu hören, zwischendrin Texte. Auch die Texte hören sich nicht gesund an. Es sind Auszüge aus der deutschen Übersetzung der "Fleurs du Mal" von Charles Baudelaire, der mit diesen Versen den Grundstein zur modernen europäischen Lyrik legte. 1857, veröffentlichte Baudelaire das Werk, da war er gerade einmal 36 Jahre alt. Zunächst wenig bekannt, sollte er später mit seiner modernen Gedichtsammlung in die Literaturgeschichte eingehen.
Von den Studierenden der Angewandten Theaterwissenschaften nun also eine ganz neue Version der Baudelaire-Verse. In einer Zusammensetzung aus lyrischen Passagen und diskursivem Sprechtext gehen die Regisseure Martin Mader und Hannes Schladebach den Themen "Rast" und "Ruhelosigkeit" und daraus folgernd der Sehnsucht nach erlösender Selbstverwirklichung nach.
Mittlerweile ist auch der männliche Darsteller aus seinem komagleichen Schlaf erwacht: In dem folgenden verbalen und nonverbalen Disput werden die Gedankenwelten der Dichter und die Anforderungen des modernen Arbeitslebens einander gegenübergestellt. Für die Zwänge hat das Team um Martin Mader viele Begriffe und Bilder gefunden: Zunächst die Wände, aus denen die Akteure nicht entweichen können, die raffiniert entworfenen Kleiderhüllen, in denen die Schauspieler mal ganz professionell daherkommen und im nächsten Augenblick schon ganz verloren wirken.
Die Bilder im Hintergrund zeigen vorbeihuschende Landschaften, ein heruntergekommenes bäuerliches Anwesen, bunter Abfall auf einem Komposthaufen: die Blumen des Bösen. "Denn nur auf festem Boden leuchtet mir das Leben", heißt es an einer Stelle.
Während Bilder und Gedichtfetzen vorüberhuschen, bemühen sich die beiden Schauspieler immer noch, den richtigen Rahmen für ihr Dasein zu finden. Und dies mit allen Mitteln: Durch verzweifeltes Klettern, Singen, Tanzen, Rezitieren, Kleider wechseln, der Mann saugt sogar einmal an seiner nackten Fußzehe. "Man muss aus dem Rahmen fallen", sagt er, und das gilt in besonderer Weise für die künstlerischen Berufe. Derweil die Frau aus dem Off: "Da bleibt Dir nichts als auszurasten". Der Wahnsinn dauert also an, und so endet das Stück auch mit den Worten "Weiter, weiter, weiter". Von Rast war an dieser Stätte nicht viel zu spüren.
Viel Applaus am Ende für den Regisseur Martin Mader, für die Schauspieler Elisabeth-Marie Leistikow und Florian Mania sowie für Christoph Gehre (Bühne und Kostüme), Marietheres Granser (Organisation) und die weiteren Mitarbeiter Christin Dieker, Peter Picha und Tim Mayer. Ohne die sechs Mitarbeiter des taT schließlich wäre in dem hoch technisierten Rahmen der Studiobühne gar nichts gelaufen.
"Raststätte" ist in Kooperation der JLU und dem Stadttheater Gießen entstanden, gefördert von der Hessischen Theaterakademie.