Ganzes Dorf wird vertrieben

Vor 77 Jahren kommen Herzogwälder in Allendorf an und haben hier im Mittelhessischen eine neue Heimat gefunden. Brunhilde Trenz hat einen Blick in die Geschichte geworfen.
Allendorf (red). Von 1945 bis 1946 kamen rund 550 000 deutsche Heimatvertriebene nach Hessen. Rund 530 Heimatvertriebene und Flüchtlinge wurden Allendorf zugewiesen. Ihre Unterbringung und Versorgung mit dem Nötigsten war eine kaum zu bewältigende Aufgabe für die Verantwortlichen. Allein 120 Personen, die am 7. Mai 1946 in Allendorf eintrafen, kamen aus Herzogwald, sie waren damit die größte Gruppe unter den Neubürgern.
Brunhilde Trenz, Vorsitzende des Heimat- und Verkehrsvereins Allendorf, hat einen Blick in die Geschichte geworfen: Herzogwald, ein kleiner Ort im Kreis Bärn des Ostsudetenlandes, zählte 1946, also zur Zeit der Vertreibung, 629 Einwohner, es ist auf neuen Landkarten kaum mehr zu finden. Ehemalige Bewohner mussten 1983 bei ihrem Besuch in der alten Heimat die leidvolle Erfahrung machen, dass fast nichts mehr an das ehemals schmucke Dörfchen erinnert, nachdem auch die Kirche abgebrochen und der Friedhof eingeebnet wurde. Anstelle der ehemaligen Ortsschilder stehen Schilder mit der Aufschrift »Lesy«, was übersetzt »Wald« bedeutet.
Anfang vom Ende
Der 25. April 1946 war der Anfang vom Ende Herzogwalds. Die Tschechen ordneten auf der Grundlage des »Potsdamer Abkommens« die Ausweisung aller Deutschen - und damit aller Bewohner - an. Die Deportation erfolgte in mehreren Transporten mit den Zielen Gießen (Zuweisung in Allendorf und Langsdorf), Traunstein, Augsburg und Neuburg (Donau), Frankenberg (Eder), Korbach (Waldeck) sowie in den Main-Taunus-Kreis.
Der erste Transport verließ am 26. April 1946 Herzogwald und erreichte am 7. Mai 1946 Allendorf/Lda.. Die meisten der 120 Personen fanden hier eine neue Heimat. In den ersten Jahren nach der Vertreibung litt insbesondere die ältere Generation unter der unmenschlichen Vertreibung und dem Verlust der Heimat. Viele von ihnen glaubten an eine Heimkehr. Trotzdem fingen bereits 1948 Herzogwälder an, in Allendorf Eigenheime in der Waldstraße zu bauen.
Die Neubürger, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Heimatvertriebene und Flüchtlinge nach Allendorf gekommen sind, integrierten sich schnell und gestalten seither das religiöse, kulturelle und politische Leben in Allendorf mit.
Rechtzeitig zum 75. Jahrestag der Ankunft der Heimatvertriebenen aus Herzogwald in Allendorf wurde der Grabstein am Allendorfer Heimatmuseum von Josef Waschke, Oberlehrer, und seiner Ehefrau Anastasia Waschke, geb. Kuhn, restauriert. Ein Vorhaben, das insbesondere auf die Initiative von Ottilie Stein, bis zuletzt Ortsbetreuerin für Herzogwald, zurückzuführen ist. Leider hat sie die Fertigstellung nicht mehr erlebt. Das Ehepaar Waschke lebte bis zur Vertreibung in Herzogwald.
Eine Bronzetafel, die der Heimatverein zusammen mit Ottilie Stein und nach ihrem Tod zusammen mit ihren Töchtern erstellt hat, ist am Bürgertreff Allendorfer Altstadt angebracht.
Sie hat folgenden Text: »Am 7. Mai 1946 haben 120 Menschen aus Herzogwald im Sudetenland, nach der Vertreibung aus ihrer Heimat, in Allendorf/Lumda Zuflucht gefunden. In Dankbarkeit für die Aufnahme und das gelebte Miteinander. Die Herzogwälder Dorfgemeinschaft.«
Heute leben noch etwa zehn Herzogwälder in Allendorf, die am 7. Mai 1946 als Kinder beziehungsweise Jugendliche zusammen mit ihren Angehörigen hier ankamen.