45 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt

Vor elf Jahren wurde in Linden der erste Solarpark eingeweiht, ein Jahr später folgte der zweite. Die Umsetzung war nicht ganz leicht und weitergehende Pläne scheiterten zunächst.
Linden. (ww). Nach den Zinsen würde sich heute jeder Otto-Normal-Sparer die Finger lecken: 3,25 Prozent Festzins gab es auf die Lindener Solarbriefe, die nach einem Jahrzehnt 2021 ausgelaufen sind. Die Sparkasse Gießen gab sie 2011 aus. 800 000 Euro - 20 Prozent der Investitionssumme - wurden von Bürgern als Darlehen für den ersten Lindener Solarpark eingesammelt. Ein zweiter entstand in der selben Konstellation ein Jahr später.
Die Anregung zu dieser Form von Bürgerbeteiligung, um bei alternativen Energien mitzuverdienen, kam nicht zuletzt von den Grünen. Letztlich war der Park aber eine Kooperation der Stadt und des Energieversorgers Ovag, die sich noch heute den Gewinn teilen. In Buseck setzte sich dagegen ein Genossenschaftsmodell durch.
Grüner für Bürgerbeteiligung
Robert Kreuzinger-Ibe saß damals für die Grünen im Magistrat in Linden und hatte die Idee, Bürger an dem Projekt zu beteiligen. Er betreibt seit 1996 eine Solaranlage. Der 89-Jährige schwört auf die alternative Energiegewinnung. Die einst hohe Einspeisevergütung, die die hohen Anschaffungskosten versüßte, ist längst vom Tisch. Dennoch ist der Grüne weiterhin davon überzeugt, dass es sich lohnt, eine solche Anlage zu betreiben.
Mittlerweile ist man damit allerdings als Einspeiser auch Kleinunternehmer und muss die Einnahmen versteuern. Die Vergütung der Eigenproduktion ist zudem auf unter sieben Cent die Kilowattstunde gefallen, 2011 waren es noch fast 30 Cent. Im Gegenzug sind die Solarpanele viel günstiger zu bekommen und gehören schon eher zur Standardausstattung eines Neubaus, wenn der Bauherr zukunftsgerichtet denkt.
In Linden wurde parallel zur Freiflächensolaranlage auch ein Genossenschaftsmodell für Sonnenenergie auf Dächern eingeführt. Es erlangte bei weitem nicht die Bedeutung des Pendants in Buseck. Die dortige Bürgerenergiegenossenschaft »Sonnenland« war 2010 gegründet worden. Zunächst wurden Dächer von Gebäuden der Baugenossenschaft und der Gemeinde mit Fotovoltaikanlagen bestückt. 2011 beteiligte sich »Sonnenland« an der ersten Freiflächenanlage zur Stromgewinnung am Kernberg in Großen-Buseck. Weitere Solarpark-Beteiligungen folgten. Mittlerweile bieten die Busecker eigenen Strom an.
Ein genossenschaftliches Modell wurde in Linden für die beiden großen Anlagen erst gar nicht diskutiert. Zunächst wollte man die Brachfläche vor Klein-Linden für solche Zwecke nur verpachten, weiß Kreuzinger-Ibe, der den damaligen Bürgermeister Dr. Ulrich Lenz (CDU) jedoch schnell umzustimmen vermochte.
Lenz holte die Friedberger Ovag an Bord. Der Energieversorger und die Stadt stemmten die Investitionen von 4,1 Millionen Euro auf der 4,5 Hektar großen Fläche je zur Hälfte. Ein Jahr später kostete der Solarpark II nur noch 2,7 Millionen Euro auf einer Fläche von weiteren fünf Hektar. Damit wurde Lindens Solar-Engagement vervollständigt und ist damit ein Jahrzehnt alt.
80 000 bis 90 000 Euro Gewinn
Die Solarparks haben bis heute 45 Millionen Kilowattstunden an sauberer Energie erzeugt. 18 Millionen Kilogramm an schädlichem Kohlendioxid wurden damit in elf Jahren erspart (Quelle Co2-Rechner im Internet). Zum Vergleich: Ein deutsches Kohlekraftwerk stößt pro Jahr etwa 2,3 Millionen Kilogramm CO2 aus (Datengrundlage 2008, Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam).
Immerhin zwischen 80 000 und 90 000 Euro fließen jährlich an Gewinn in das Stadtsäckel, betont der heutige Ehrenbürgermeister Lenz im Gespräch mit dem Anzeiger. Mitinitiator Kreuzinger-Ibe fügt hinzu, dass beim zweiten Solarpark die Zinsen so gefallen waren, dass es sich nicht mehr gelohnt hätte, eine Bürgerbeteiligung anzubieten.
Nicht ganz leicht war die Umsetzung der beiden Parks, erinnert sich Lenz an etliche kritische Bürgerstimmen. Denn die Fläche des ersten Solarparks weit ab von Lindener Bebauung an der Grenze zu Klein-Linden versetzte die Nachbarn des Gießener Stadtteils in Aufruhr, die bisher ihre Hunde auf der Lindener Brache ausgeführt hatten.
Vor diesem Hintergrund konnte Lenz den Ärger verstehen. Vordergründig hieß es aber, dass die Panele blenden könnten und brummende Gleichrichter die Ruhe stören würden. Das war 2011. Nach der Errichtung hörte man nichts mehr von dieser Kritik.
Vor der Realisierung des zweiten Solarparks 2012 gab es noch Bedenken von Naturschützern wegen einer Hecke. »Die Hecke haben wir dann einfach stehengelassen.«
Danach dachte der damalige Bürgermeister noch größer und wollte auf den Lärmschutzwällen der Stadt an der A 45 und A 5 weitere Solaranlagen errichten lassen. Doch ein »Solarrebell« - ein junger Architekt aus Linden - machte gemeinsam mit einer Bürgerinitiative öffentlich derart Druck, dass die Idee nicht mehr umgesetzt werden konnte.
Eine Entwicklung, die Lenz auch heute noch nicht verstehen kann. »Wenn man die Autobahn von München nach Deckendorf auf Höhe Freising fährt, sieht man 20 Kilometer lang auf der linken Seite Solarflächen.« Hauptgegenargument der Bürgerinitative sei damals die Blendwirkung gewesen. Lenz sieht die Entwicklung dennoch positiv: »Wir haben damals einen Schub in die alternativen Energien reinbekommen. Wenn man was vormacht, hat das Vorbildfunktion und die Leute ziehen nach.«
Die Ovag werde den ersten Solarpark jetzt aufrüsten, freut sich der Ehrenbürgermeister. »Wir haben damals etwas erlebt, was keiner für möglich gehalten hatte. In wenigen Tagen waren die Solarbriefe weg und der Solarpark vom Bürger her akzeptiert.«
»Projekte haben Schule gemacht«
Wichtig sei in diesem Zusammenhang gewesen, eine Tafel direkt am Gelände anbringen zu lassen, die anzeigt, wie viel Strom dort produziert wird. »Unsere Projekte haben auch in unseren Partnerstädten Schule gemacht. Die Kommunen haben mitgezogen und eigene Freiflächensolaranlagen aufstellen lassen.«
Und ganz aktuell hört man aus der Lindener Politik, dass Solaranlagen auf den Lärmschutzwällen doch noch Realität werden könnten.

