Botschaft geht unter die Haut

Hüttenberg (jowe). Sehr bewegt und angerührt verließen die Besucher das Sportzentrum in Hüttenberg. Dieses Mal war es kein sportliches Ereignis, sondern die Uraufführung des Musicals »Paul und Gretel« über den Pfarrer Paul Schneider und seine Frau Margarete, das für Gänsehaut sorgte. Ausverkauftes Haus mit 1500 Karten vermeldeten die Organisatoren bei der Veranstaltung, die anlässlich des 140.
Geburtstages des heimischen Gesangvereins Frohsinn Hüttenberg durchgeführt wurde.
»Als hätte meine Mutter vor mir gesessen«, hatte der anwesende Sohn von Paul und Margarete Schneider, Karl Adolf Schneider, Organisator Andreas Haupt während des Musicals zugeflüstert. Ein größeres Lob kann es für die Umsetzung des Stoffes über den »Prediger von Buchenwald« kaum geben.
Das etwa zweistündige Musical stammt aus der Feder des Arztes, Musiker und Komponisten Peter Menger, der im Gießener Stadtteil Lüztellinden lebt. Für »Manager« Andreas Haupt waren die Kreativität Mengers und der anstehende 125. Geburtstag Schneiders ein Anlass, den Stoff über den früheren Pfarrer von Hüttenberg und Dornholzhausen in Szene zu setzen. Schneider wurde als Mitglied der Bekennenden Kirche von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Der Pfarrer verkündigte trotz schwerster Misshandlungen die biblische Botschaft in dem Lager: Das brachte ihm den Beinamen »Prediger von Buchenwald« ein.
Schneider war von 1926 bis 1934 Pfarrer in Hochelheim und Dornholzhausen, bevor er bis zu seinem Tod in den Kirchengemeinden Dickenschied und Womrath im Hunsrück wirkte.
Als Rahmenhandlung des Musicals hatte sich Menger ein Gespräch zwischen Paul Schneiders Frau Gretel und ihren Enkelkindern mit einem Passanten überlegt. Darin blicken sie gemeinsam auf die wichtigsten Stationen des Ehepaars Schneiders zurück. Margarete Schneider ist erst 2002 im Alter von fast 99 Jahren gestorben.
Menger gelang es mit seiner Komposition, den schwierigen Stoff lebensnah auf die Bühne zu bringen und die Botschaft ging unter die Haut. Die Handlung beginnt an einer Bushaltestelle in Dickenschied. Dort sitzt Paul Schneiders Witwe Margarete (Sigrid Offermann) und holt dort ihre Enkel (Luca Kraft und Jiska Menger) ab. Mit einem Passanten (Ernst-Peter Harfst) kommen sie ins Gespräch über das Leben Paul Schneiders. Diese Erlebnisse handelt das Stück ab.
Schneider ist selbst schon Sohn eines Pfarrers und im Hunsrück und in Hochelheim aufgewachsen. Das Studium führt ihn nach Tübingen, wo er seine Frau kennenlernt. Nach der Heirat tritt er die Pfarrstelle in den beiden kleinen mittelhessischen Dörfern an. Paul Schneider, dargestellt von Johannes Pfeiffer, und die »junge Gretel« (Elise Offermann) nehmen die Besucher mit hinein in ihre Konflikte, wie es gelingen kann als Christ auch in einer Diktatur glaubwürdig seinen Glauben zu leben und sich gegen ein Unrechtsregime zu wehren. Mit allen Konsequenzen stellt sich Gretel hinter ihren Mann. Denn sie wünscht sich »lieber ein Mann, der sein Leben wagt, als einen Mann mit ausgerenktem Rückgrat«. Diese Haltung muss Schneider mit seinem Leben bezahlen und macht die junge Margarete früh zur Witwe.
Ihre Enkel nimmt sie mit hinein in ihren Zwiespalt, beantwortet deren Fragen und versucht die Geschehnisse von damals greifbar zu machen. Das gelingt greifbar und ergreifend. Das Publikum dankte es am Ende des Abends mit stehenden Ovationen.
Bei der Umsetzung haben Menger und seine Mitstreiter aus dem Verein sdg (soli deo gloria) Hüttenberg keine Kosten und Mühen gescheut. Insgesamt 200 Menschen wirkten unter der Leitung von Deborah Menger an dem Stück mit: sei es im Begleitchor, als Schauspielerinnen und Schauspieler, im Orchester unter der Leitung von Dirk Menger, im Kinderchor »Königskinder« und natürlich auch die Sänger des Jubiläumschor unter der Leitung von Jochen Stankewitz.
Die selbst komponierten Stücke kamen mal poppig, mal im Swing-Stil, aber auch Barock oder im Volkslieder-Stil daher. Für Gänsehaut sorgte nicht zuletzt eine Vertonung des von Dietrich Bonhoeffer verfassten, geistlichen Gedichts »Von guten Mächten treu und still umgeben« und die Aussage des Theologen an seine Familie, als sie die Nachricht vom Tode Schneiders erhielt: »Diesen Namen müsst ihr euch merken«.
Der Abend in der Hüttenberger Sporthalle hat dazu sicher auch einen wertvollen Beitrag geleistet. Ganze Arbeit bei der Inszenierung hat in diesem Zusammenhang auch Regisseur Ruben Turbanisch geleistet.
Begonnen hatte der Abend mit drei stimmgewaltig, schwungvoll und emotional vorgetragenen Liedern des gastgebenden Männerchors.
Wer das Musical verpasst hat, muss sich nicht grämen. Von dem Auftritt wird eine DVD produziert. Außerdem gehen die Musiker auf Tour. Es wird in diesem Jahr in Reutlingen und Simmern sowie 2023 in Weimar zu sehen sein. Außerdem ist ein Mitwirken des Projektchores bei der Gedenkveranstaltung zum 125. Geburtstag Paul Schneiders in Pferdsfeld im Hunsrück geplant.
Weitere Informationen gibt es unter www.paul-und-gretel.de.