Ein Treiser aus Endbach

Rudolf Herzberger feiert heute seinen 80. Geburtstag. Er ist als früherer AOK-Geschäftsführer, Stadtverordneter und Sänger bekannt.
Staufenberg . Obwohl ein Treiser Urgestein, hat er hier nicht das Licht der Welt erblickt. Geboren wurde er am 24. April 1943 in Endbach (jetzt Bad Endbach). Heute feiert Rudolf Herzberger seinen 80. Geburtstag.
Doch wie kam es, dass der Treiser als Endbacher zur Welt kam? Im Gespräch mit dem Anzeiger löst Herzberger das Rätsel. Der Vater hatte die Leitung der Treiser Zigarrenfabrik Rinn und Cloos inne, war jedoch während des Zweiten Weltkriegs eingezogen worden und galt als verschollen. Zwar wohnten seine Mutter und der sechs Jahre ältere Bruder Edgar zu dieser Zeit in dem Lumdadörfchen, doch als die Entbindung näherrückte, ging die Mutter in ihre eigentliche Heimatgemeinde, nämlich Endbach. So kam es, dass der kleine Rudolf dort geboren wurde.
Nachricht in der Dose
»Wenn man älter wird, blickt man öfter zurück«, lächelt er und erzählt, wie es kam, dass die Eltern wieder zusammenfanden. Der Vater war in russische und später in englische Kriegsgefangenschaft geraten. Auf dem Transport in Richtung Westen nach Bad Kreuznach sah er in Höhe des Lumdatals jemanden eine Wiese mähen. Flugs schrieb er eine Nachricht - »Herzberger, Treis, lebt« und warf diese in einer Konservendose verpackt, aus dem Fenster. »Diese Nachricht ist tatsächlich angekommen und war das erste Lebenszeichen, das meine Mutter erhielt.«
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Familie in Treis endgültig heimisch, der Vater übernahm wieder die Zigarrenfabrik, der kleine Rudolf wurde 1949 eingeschult. Nach der Volksschule in Treis wechselte er zur Friedrich-Feld-Schule (heute Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten) in Gießen.
Er begann 1959 eine Lehre bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK), ebenfalls in Gießen. Was er damals noch nicht ahnen konnte: Er verbrachte - bis auf zwei kurze Zwischenspiele - sein gesamtes Berufsleben im Dienst der AOK, machte hier Karriere. Das erste Zwischenspiel nach der Ausbildung war der obligatorische Wehrdienst, der ihn nach der Grundausbildung in die damalige Bundeshauptstadt Bonn führte.
Das zweite Zwischenspiel fand in Kassel statt. In den Jahren 1973/1974 war Herzberger am Bundessozialgericht tätig. Dort waren Menschen zum Aufbau der Sozialrechtsdatenbank gefragt. Der Treiser war zuständig für den Bereich Krankenversicherung. »Das waren die Anfänge zur Erfassung in EDV«, blickt er auf diese Zeit zurück.
Doch mittlerweile hatte er seine Ehefrau Annelie kennen und lieben gelernt, die beiden heirateten 1969. Tochter Birgit wurde 1972 geboren, Tochter Christin folgte 1983. Das neue Haus in Treis hatte das Paar 1970 schon bezogen. Das Angebot, in Kassel zu bleiben, lehnte er ab. Herzberger lacht: »Meine Frau sagte wörtlich: ›Du kannst da hinziehen, wir bleiben hier‹.« Die Entscheidung war gefallen, Herzberger kehrte nicht nur ins Lumdatal, sondern auch zur AOK zurück. »Rückblickend war es die richtige Entscheidung«, sagt er.
Doch noch einmal zurück in die 1960er: Er bildete sich weiter, legte die Prüfungen für den gehobenen Dienst ab, durchlief die Leistungsabteilung, die Vertragsabteilung und war Lehrkraft für Auszubildende im Landesverband. Nach dem Kasseler Zwischenspiel arbeitete er als Reha-Sachbearbeiter und in der Behindertensprechstunde. Jahre, die ihn nicht nur geprägt, sondern auch berührt haben. 1981 wurde der Jubilar Hauptabteilungsleiter, zwei Jahre später stellvertretender Geschäftsführer, 1986 erhielt er sein Diplom als Verwaltungsfachwirt und wurde 1988 Geschäftsführer der AOK Gießen.
Ehrenamtlicher Richter
Nach dem Zusammenschluss zur AOK Hessen übernahm Herzberger die Stelle als Regionaldirektor für Mittelhessen. Auch nebenher war der Treiser nicht untätig, von 1993 bis 1998 war er ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht in Darmstadt.
Jedoch nicht immer lief alles so völlig gerade. 1995 kam die Diagnose Darmkrebs. »Das war der Einschnitt in meinem Leben.« Er besiegte die Krankheit, der Job und die Familie gaben ihm Kraft. Ende 2000 ging Rudolf Herzberger in den Ruhestand. Bis 2004 unterstützte er die Kreishandwerkerschaft als Pressesprecher.
Auch ansonsten gestaltete sich der Ruhestand nicht ganz so ruhig. Das ist zum einen seinem kommunalpolitischen Engagement zuzuschreiben, zum anderen seiner Liebe zum Gesang. Schon 1975/76 stieg Herzberger in die Kommunalpolitik ein, war Erster Stadtrat und Stadtverordnetenvorsteher. Als er 1988 Geschäftsführer der AOK wurde, ließ er die Politik einstweilen ruhen. Erst 2011 stieg Herzberger wieder ein. Bis 2004 gehörte er der SPD an, heute ist er als Unabhängiger Mitglied der SPD-Fraktion. »In der Kommunalpolitik kann ich vor Ort gestalten. Das finde ich bis heute reizvoll.«
Was den Gesang anbelangt, so zog es schon den jungen Rudolf zum Chor der Treiser Sängervereinigung. »Erst kommt die Lehre«, schob sein Vater diesem Ansinnen einen - vorläufigen - Riegel vor. 1962 schloss sich Herzberger dem Männerchor an, von 2006 bis 2018 war er Vorsitzender des Vereins und rief gemeinsam mit Chorleiter Matthias Schulz den Gemischten Chor »treiStimmig« ins Leben. Hier singt er heute noch. »Solange ich die Stimme habe, singe ich weiter.« Im Vorstand der Sängervereinigung hört man noch immer gerne auf den Rat des heutigen Ehrenvorsitzenden.
Und dann ist da ja auch noch seine Ehefrau, mit der gerne Zeit verbringt. Zudem haben die beiden Töchter ihm drei Enkeltöchter beschert und so dafür gesorgt, dass Rudolf Herzberger sich über einen reinen Mädelshaushalt freuen darf. Mit seiner Annelie und den Töchtern hat er oft Bootstouren auf Mosel, Main und Neckar genossen, ebenso die Urlaube auf Amrum und das Skifahren in Kaprun.
Der runde Geburtstag wird im Gasthaus »Krone«, bei »Nobbi«, gefeiert. »Es ist die letzte Kneipe in Treis und die will ich natürlich auch unterstützen«, freut sich das Geburtstagskind auf die Begegnung mit Freunden und Wegbegleitern. »Ich bin froh, demütig und dankbar, dass es mir heute so gut geht und ich das tun kann, was ich gerne tue«, zieht der 80-Jährige eine kurze Bilanz.