Ein über 200 Jahre altes »Liebhaberobjekt«

Seit über 20 Jahren gibt es schon Pläne, das Herrenhaus des Hofgutes Winnerod zu einem Hotel umzubauen. Aber das hängt mit einem komplexen Bebauungsplan für ganz Winnerod zusammen.
Reiskirchen. Vom einstigen Charme ist nicht mehr viel zu sehen. Kaputte Fenster, Graffiti an der Außenfassade, das Dach ist an mehreren Stellen kaputt und wegen der eindringenden Feuchtigkeit sind in einigen Zimmern Teile der Decken runtergekracht. Neudeutsch würde man von einem »Lost Place« sprechen, einem verlassenen Ort. Doch das weit über 200 Jahre alte Herrenhaus des Hofgutes Winnerod ist nicht dem endgültigen Verfall preisgegeben, auch wenn es so scheint.
Seit Ende der 1990er Jahre gibt es Pläne, aus dem Gebäude ein Hotel zu machen. Und auch wenn die Sanierung bereits genehmigt ist, hängt das Projekt mit einem Bebauungsplan zusammen, der für ganz Winnerod gelten soll. Und dieses Thema ist mehr als komplex und beschäftigt inzwischen den Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Deswegen zeigt sich Wolfgang Herdt, einer der Investoren, im Gespräch mit dem Anzeiger mit Blick auf das weitere Verfahren auch eher zweckoptimistisch. »Wir müssen jetzt einfach mal zu einem Ergebnis kommen«, meint er.
Dies werden die Mitglieder des Reiskirchener Bauausschusses ähnlich sehen, die sich am Mittwochabend erstmals mit den aktuellen Änderungen des Bebauungsplanes »Ortslage Winnerod« beschäftigten. Wenn die Gemeindevertretung Ende März grünes Licht gibt, wird der Plan erneut offengelegt. Planer Mathias Wolf ist zuversichtlich, dass das Parlament noch in diesem Jahr einen Satzungsbeschluss fassen kann. Damit wäre der Bebauungsplan rechtsgültig und alle Vorhaben könnten umgesetzt werden. Aber wie beschrieben: Das Thema ist komplex.
Dabei war schon beim ersten Projekt auf dem Gelände des früheren Hofgutes viel Geduld gefragt. Zehn Jahre dauerte das Genehmigungsverfahren für den damals höchst umstrittenen Golfplatz. Es war ein zähes Ringen, in dessen Verlauf Gegner unter anderem das Herrenhaus besetzten.
Hotelpläne schon Ende der 90er Jahre
Doch Josef Lischka, der das Hofgut 1973 zusammen mit seiner Frau Gisela gekauft hatte, konnte das Projekt schließlich in die Tat umsetzen. Am 17. April 1999 wurde der Golfplatz offiziell eingeweiht. »Wir benötigten alle mehr als nur gute Nerven«, bilanzierte der damalige Bürgermeister Klaus Döring bei der Eröffnung. Weitere Pläne für die Entwicklung des Hofgutes - unter anderem das Hotel im Herrenhaus - gab es schon damals. Josef Lischka war es nicht vergönnt, ihre Verwirklichung mitzuerleben. Er verstarb 2015 im Alter von 91 Jahren.
Heutiger Eigentümer des Hofgutes ist Martin Wurzel, ein Unternehmer aus Seligenstadt. Er steht an der Spitze einer Winnerod Projektgesellschaft, zu der auch die Vital AG von Geschäftsführer Wolfgang Herdt gehört. Er ist zugleich Architekt und seit 20 Jahren an dem Projekt beteiligt. Dass es den Investoren ernst ist mit dem Erhalt der alten Gebäude verdeutlicht er mit der Information, dass seit der Eröffnung des Golfplatzes zwischen drei und 3,5 Millionen Euro investiert worden seien. Es gab Umbauten in Restaurant und Küche, die Umkleiden, Duschen und Toiletten für die Golfer im Seitengebäude wurden komplett umgestaltet. In einem weiteren Teil dieses Gebäudes wurden im vergangenen Jahr viele großformatige Boxen eingebaut, in denen die Golfer ihre Trolleys einschließen können.
Doch die wirklich großen Investitionen kommen noch. An erster Stelle steht das dreigeschossige Herrenhaus, das zu einem Hotel mit 30 Appartements umgebaut werden soll. »Es gab nie die Möglichkeit, Teilnehmern von Golfturnieren und sonstigen Besuchern eine Übernachtungsmöglichkeit anzubieten«, erklärt Herdt den Grundgedanken der Planung.
Erster Schritt ist, dass in diesem Jahr begonnen werden soll, das Dach des Fachwerkgebäudes komplett zu sanieren. Im nächsten Jahr soll es dann mit dem Umbau des Hauses losgehen. Dessen Substanz sei »in Ordnung«, auch wenn es durch das eindringende Wasser Schäden an der Konstruktion gegeben habe. Der Investor ist froh, dass die historische Holztreppe erhalten werden kann, wenn sie unter Brandschutzgesichtspunkten ertüchtigt wird.
Apropos Treppe: Ein Gebäude von 1800 ist selbstredend nicht barrierefrei und verfügt nicht über einen zweiten Rettungsweg. »Dieses Thema haben wir lange mit der Bauaufsicht und der Denkmalbehörde diskutiert und es ist eine architektonische Herausforderung.« Die Lösung: An der Stirnseite des Gebäudes wird ein Glasaufzug entstehen, um den herum ein holzverkleidetes zweites Treppenhaus gebaut werden soll. Dieses wiederum wird mit Rankpflanzen versehen.
Als Verbindung zwischen dem Treppenhaus und dem benachbarten ehemaligen Stall ist zu einem späteren Zeitpunkt der Bau einer Stahl-Glas-Brücke vorgesehen. Das Gebäude wird wie beschrieben aktuell zum Teil von den Golfern genutzt. Der hintere Bereich fungiert aber als Lager für die Maschinen und Geräte der Greenkeeper, die dafür sorgen, dass der Golfplatz immer im Topzustand ist. Sie sollen auf dem Gelände einen anderen Standort erhalten, sodass sich die Investoren vorstellen, diesen Teil mit zwei Vollgeschossen in einen »sehr ordentlichen Wellnessbereich« mit Saunen umzubauen, wie es Herdt formuliert.
Doch das ist noch Zukunftsmusik. Die Baugenehmigung umfasse derzeit die Sanierung des Herrenhauses samt Aufzug/Treppenhaus. »Wir hatten die Pläne für den Wellnessbereich und die Brücke aber frühzeitig mit der Bauaufsicht und der Denkmalbehörde besprochen, die sich bei uns sehr kooperativ gezeigt haben.« Diese Pläne sollen erst umgesetzt werden, nachdem das Hotel in Betrieb genommen worden ist und man Erfahrungen gesammelt hat, wie das Angebot angenommen wird.
Grundsätzlich gehe es darum, die Attraktivität des Golfplatzes weiter zu steigern. Dieses Ziel wollen die Investoren auch erreichen durch einen Stellplatz für Wohnmobile und 14 kleine Ferienhäuser.
Die Stellplätze sollen unterhalb des Brückenteiches links vor dem Ortseingang entstehen. »Meine Frau und ich haben seit drei Jahren auch ein Reisemobil. Da ich geschäftlich so stark eingebunden bin, mache ich maximal zweimal im Jahr eine Woche Urlaub. Mit dem Wohnmobil können wir schnell am Freitagnachmittag zum Mountainbiken in die Rhön fahren. Sie wie wir denken auch viele andere«, erklärt Herdt.
Stellplatz für Wohnmobile
Zu Hochzeiten der Corona-Pandemie habe es immer wieder Anfragen von Golfern gegeben, die mit dem Wohnmobil nach Winnerod kommen wollten. Doch diese standen dann auf dem normalen Parkplatz - ohne Wasserversorgung und Stromanschluss. Mit dem eigens dafür zu schaffenden Stellplatz, der an das Wasser- und Stromnetz sowie die Abwasserentsorgung angeschlossen ist, will man diese Bedarfe erfüllen.
Auf der nordwestlich davon gelegenen Fläche war ursprünglich eine Reitanlage geplant. Von dieser Idee haben die Investoren Abstand genommen. Die Ferienhäuser erscheinen ihnen mit Hinblick auf die Attraktivität des Golfplatzes die bessere Alternative.
Während für die Sanierung des Herrenhauses eine Baugenehmigung vorliegt, werden die Caravanstellplätze, die Ferienhäuser und der neue Standort der Greenkeeper erst umgesetzt werden können, wenn der Bebauungsplan »Ortslage Winnerod« Rechtskraft hat. Dieser stammt ursprünglich aus dem Jahr 2017 und beinhaltet unter anderem auch Bauplätze für den Ortsteil. Deren Anzahl ist zwischenzeitlich von 15 auf sechs reduziert worden, weil die Obere Landesplanungsbehörde des Regierungspräsidiums Gießen Bedenken hatte.
Der geänderte Bebauungsplan muss - wenn die Gemeindevertretung dies so beschließt - nun erneut öffentlich ausgelegt werden. Behörden, Kommunen, die sogenannten Träger öffentlicher Belange wie die Naturschutzverbände und auch Bürger können dazu wieder Stellungnahmen abgeben. Das Parlament muss entscheiden, ob diese Stellungnahmen Einfluss auf den Plan haben, bevor der Satzungsbeschluss gefasst werden kann.
Wenn diese Hürde genommen wurde, bleibt aber immer noch der juristische Konflikt mit einer Grundstückseigentümerin, der vier Flurstücke innerhalb des Plangebiets gehören. Diese umfassen den auf Höhe des Restaurants an der anderen Straßenseite gelegenen Brückenteich und umgebende Grundstücke.
Auf einer der Flächen möchte die Frau ein Wohnhaus errichten lassen. Sie stellte deshalb im November 2020 eine Bauvoranfrage bei der Bauaufsicht des Landkreises Gießen. Diese lehnte das Ansinnen mit der Begründung ab, dass das Baugrundstück im Außenbereich liege und nicht zu der im Zusammenhang bebauten Ortslage von Winnerod gehöre. Die Gemeinde Reiskirchen hatte die Pläne ebenfalls abgelehnt.
2023 keine Entscheidung
Mit dieser Entscheidung wollte sich die Frau allerdings nicht abfinden. Erst reichte sie beim Kreis einen Widerspruch ein, der zurückgewiesen wurde. Dann erhob sie Klage gegen den Landkreis beim Verwaltungsgericht Gießen. Doch auch dort war die Grundstückseigentümerin nicht erfolgreich. Die Kammer sieht das Grundstück ebenfalls als Außenbereich an. Gegen dieses Urteil hat die Frau Rechtsmittel beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingelegt. Mit einer Entscheidung ist in diesem Jahr nicht zu rechnen.
Da die Klägerin auch Widerspruch gegen den Bebauungsplan eingelegt hat, beschloss die Reiskirchener Gemeindevertretung im vergangenen November eine Veränderungssperre. Diese gilt zunächst für zwei Jahre, kann aber um bis zu zwei Jahre verlängert werden.
Es dürfen keine Gebäude errichtet oder abgerissen werden. Ebenfalls nicht erlaubt sind »erhebliche oder wesentlich wertsteigernde Veränderungen« von Gebäuden und Grundstücken, die im Normalfall nicht genehmigungs- oder anzeigepflichtig sind. Nicht betroffen sind unter anderem Vorhaben, für die vor Inkrafttreten der Veränderungssperre bereits eine Genehmigung vorlag sowie Unterhaltungsarbeiten. Zusammengefasst: Es dürfen keine Fakten geschaffen werden, bis der Konflikt um den Bebauungsplan juristisch geklärt ist.
Und der geht aus Sicht der Grundstückseigentümerin über die abgelehnte Bauvoranfrage hinaus. In ihrer Stellungnahme zum Bebauungsplan schrieb sie, es sei »nicht ersichtlich«, weshalb ihre Grundstücke als öffentliche Straßenverkehrsfläche, private Grünfläche und Ausgleichsflächen überplant würden, aber nicht als Bauland.
Das von ihr dafür auserkorene Grundstück neben dem Brückenteich soll es nach Meinung der Unteren Naturschutzbehörde und der Unteren Wasserbehörde (beide beim Landkreis angesiedelt) sowie Hessen Forst jedenfalls nicht werden. Diese Parzelle sowie Teile von zwei weiteren Grundstücken sollen im Bebauungsplan als Wald im Sinne des Hessischen Waldgesetzes festgelegt werden. Außerdem soll der Bereich als »geschütztes Biotop« (Auenwald) eingestuft werden, sodass eine künftige Bebauung dieser Fläche nicht zulässig ist.
Angesichts dieser Ausgangslage ist nachzuvollziehen, dass Investor Herdt eher Zweckoptimismus als Optimismus versprüht. Stellt sich die Frage, warum man angesichts der langen Planungszeit an so einem Objekt festhält. »Wenn Herr Wurzel und ich hierher fahren, haben wir ein kleines Glücksgefühl. Das ist wie Urlaub. Die Anlage ist einfach ein Traum mit viel Potenzial. Es ist ein Liebhaberobjekt.«
4,2 Millionen Euro für die Sanierung
Das in den kommenden Jahren noch einiges an Geld verschlingen wird. Herdt nennt allein für das Herrenhaus geschätzte Sanierungskosten von circa 4,2 Millionen Euro. Für den Wellness-Bereich könne man von Kosten von 2,5 Millionen Euro ausgehen, weitere 1,5 bis zwei Millionen Euro werden für die Ferienhäuser und den Caravanstellplatz kalkuliert. 40 bis 50 Prozent der Summe würden aus Eigenkapital finanziert.
Und die Pläne gehen noch weiter: Oberhalb des Restaurants sollen drei Appartements entstehen und den großzügigen Bereich über dem ehemaligen Pferdestall kann sich Herdt als »Eventlocation« vorstellen.
Letzte Frage: Gibt es eine Vision, wann das Gesamtprojekt abgeschlossen ist? Der Investor denkt kurz nach, denn in der Vergangenheit hat er schon mehrfach Daten für Baubeginn und Fertigstellung genannt, die sich dann nicht einhalten ließen. »In fünf Jahren möchte ich gerne Einweihung feiern.«