Elf Rekordjahre für Wohnmobile

Im Kreis Gießen wie andernorts boomt der Kauf von rollenden Ferienhäusern. Die Wohnmobilhändler sind sehr zufrieden.
Kreis Gießen (paz). Urlaub mit dem Wohnmobil oder -wagen steht für Freiheit und Flexibilität. Nicht umsonst ist diese Art des Reisens gerade während der Pandemie attraktiver denn je geworden. Und das nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Über 100 000 Freizeitfahrzeuge wurden 2021 allein in Deutschland neu zugelassen, 81 420 davon waren Reisemobile.
Im Landkreis Gießen konnten zu Jahresanfang 2022 insgesamt 2292 rollende Ferienhäuser registriert werden. Laut Kraftfahrtbundesamt ist ihre Anzahl von 2012 bis heute um 113,6 Prozent gestiegen.
Dass nicht noch mehr Fahrzeuge angemeldet werden konnten, lag an den stockenden Lieferketten. Wegen der Pandemie und des Krieges in der Ukraine fehlen neben Halbleiterkomponenten noch immer wichtige Rohstoffe wie Stahl, Holz, Kunst- oder Klebstoff. Der Geschäftsführer des Caravaning Industrie Verbandes (CIVD), Daniel Onggowinarso, geht davon aus, dass bei Abklingen der Verzögerungen in den Lieferketten, auch 2022 ein gutes Jahr für Reisemobile wird.
Insgesamt waren die Zuwachsraten zwar durch Corona begünstigt, aber nicht der einzige Grund. Einer Langzeitperspektive zufolge war 2021 bereits das elfte Rekordjahr in Folge, in den vergangenen Jahren haben sich die Neuzulassungen von Reisemobilen sogar mehr als verdoppelt.
»Im ersten Corona-Jahr ist die Nachfrage bei uns um mehr 40 Prozent gestiegen«, erklärt Peter Jäger, Geschäftsführer von MP Reisemobile Hessen GmbH in Gießen. Damals seien noch genug Fahrzeuge vorhanden gewesen, um allen Kundenwünschen gerecht zu werden«, erinnert er sich.
Eindeutiger Lieferengpass
Aktuell würden etwa 30 Prozent weniger Fahrzeuge geliefert als bestellt. Grund hierfür sei der Mangel an Fahrgestellen. Ein Teil der Fiat- würden aktuell durch Mercedes-, Ford- oder Citroen-Fahrgestelle ersetzt.
»Von 100 bestellten Reisemobilen erhalten wir etwa 70«, bedauert Jäger. Dabei reiche die Preisspanne von 50 000 Euro beim Einsteigermodell bis 500 000 Euro bei der Luxusklasse Phoenix.
Wer sein Fahrzeug selbst konfigurieren wolle, müsse bis 2023 warten. Um die zum Teil sehr langen Lieferzeiten für Kundenbestellungen etwas abzukürzen, bietet er - soweit dies möglich ist - den Umbau für bestellte Ausstellungsfahrzeuge an. Auch Mietfahrzeuge, die eine Saison - in der Regel von März bis Oktober - gefahren worden seien, würden verkauft. Hier sind die Wartelisten lang. Der Trend zum Mieten eines Wohnmobils sei laut Jäger hingegen eher rückläufig.
Flüchtlingsamt einmal Mieter
2020 habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sogar für die Dauer von vier Wochen drei Wohnmobile geordert, da in Berlin keine Hotelzimmer zur Verfügung gestanden hätten. »Diese wurden bei uns abgeholt und auch wieder zurückgebracht«, sagt Peter Jäger. Doch nicht nur Regierungsmitarbeiter haben Gefallen an den gut ausgestatteten Reisemobilen gefunden. »Viele Menschen, die noch nie etwas mit Camping zu tun gehabt hatten, haben sich zu Beginn der Pandemie plötzlich ein Wohnmobil gekauft. Und das Interessante daran: Sie sind ihm treu geblieben«, freut er sich. Ein neuer Gebrauchter sei aktuell nur unwesentlich günstiger als ein Neufahrzeug.
Neben Lieferengpässen stelle vor allem ein Mangel an Werkstätten und Stellplätzen ein Problem dar, so Jäger. Zum Teil müsse man bis zu zehn Wochen auf einen Werkstattplatz warten. Dennoch blickt er optimistisch in die Zukunft.
Zusätzlich zu seinem 7000 Quadratmeter umfassenden Gelände in Gießen wird er im Juni in der Siemensstraße in Marburg eine neue Werkstatt inklusive Zubehörshop eröffnen.
»Mit Corona ging es bei uns richtig los«, bestätigt auch Sven Gaidies, Inhaber des gleichnamigen Autohauses in Biebertal. Rund 20 Prozent mehr Wohnmobile seien verkauft worden. »Es wird gekauft, was verfügbar ist«, beschreibt der Kfz-Techniker Meister die aktuelle Situation. Wer ein Wohnmobil nach seinen Wünschen zusammenstellen wolle, müsse zwischen ein bis zwei Jahren auf die Lieferung warten. Bevor er aus der Vermietung heraus Fahrzeuge verkauft, wartet Gaidies nun erst einmal ab, ob neue Fahrzeuge nachkommen. »Ansonsten müssen die Mietmobile eben in die zweite Saison gehen.«
Preise stark angestiegen
»Ich bin seit 17 Jahren in der Branche tätig, aber einen solchen Boom wie in den vergangenen Jahren habe ich noch nicht erlebt«, fasst er zusammen. Die große Nachfrage habe auch die Preise überproportional steigen lassen. 45 000 Euro seien die absolute Untergrenze für ein neues Wohnmobil. Nach oben seien hingegen keine Grenzen gesetzt. »Besonders nachgefragt ist momentan eine eigene Stromversorgung, beispielsweise durch Solarzellen auf dem Dach«, weiß der Fachmann.
Für Millenials liegt Campen im Trend
Auch die Käuferschicht habe sich geändert. »Zu den älteren Kunden mit Kaufkraft sind junge Leute hinzugekommen«, sagt Gaidies. »Die Millennials im Alter von Mitte 20 bis Mitte 30 werden zu einer wichtigen Zielgruppe«, hat auch der ADAC beobachtet. Vor allem junge Familien würden sich zunehmend fürs Campen interessieren.
Besonders gefragt bei Campingeinsteigern seien kompakte Modelle. Kastenwagen und Vans machten inzwischen rund die Hälfte der Wohnmobil-Neuzulassungen aus. »Gesucht sind vor allem Fahrzeuge, die alltagstauglich sind und trotzdem alles für den autarken Campingurlaub an Bord haben«, heißt es seitens des ADAC.