1. Startseite
  2. Kreis Gießen
  3. Kreis Gießen

Emotionale Achterbahnfahrt

Erstellt:

Von: Ernst-Walter Weißenborn

gikrei_wwDanakCorona1_05_4c
Daniel Danaks Lunge ist nach dem schweren Covid-Verlauf noch stark angegriffen. Vorerst muss sich der aktive Fußballer mit Spaziergängen begnügen. Foto: Wißner © Wißner

Der Pohlheimer Daniel Danak lag im Vorjahr wegen Covid fast zwei Monate im künstlichen Koma. Seine Lunge hat bis heute nur eine Funktion von 60 Prozent zurück erlangt.

Pohlheim . »Was ist mit meinem Studienplatz?« war Daniel Danaks erste Frage nach dem Erwachen aus dem künstlichen Koma. Damals konnte der Pohlheimer bei jedem richtigen Buchstaben nur nicken, wurde teils noch beatmet.

Das Alphabet stand auf einem Zettel und die Eltern zeigten ihm die Buchstaben. Zwei Monate hatte bis dahin sein Schwebezustand zwischen Leben und Tod angedauert. Es war 2021, der erste Sommer ohne Corona-Lockdown, als Daniel Anfang August schwach und mit Atemnot vom Notarztwagen in das Uniklinikum nach Gießen gebracht wurde. Wenig später erklärte der Direktor der Klinik, Prof. Dr. Werner Seeger im Hessenfernsehen, dass der jüngste Patient mit Covid-19 auf der Intensivstation ein gerade einmal 21-Jähriger ist. Es ist der junge Garbenteicher.

Sein Vater Yilmaz Danak wartete Nächte im Krankenhaus, die Bibel in der Hand, betete, seine Mutter brach am Krankenbett zusammen, konnte nicht ertragen, was mit dem Sohn geschah. Der lag regungslos und blass im Krankenbett, angehängt an eine Herz-Lungen-Maschine. 113 Tage verbrachte Daniel in der Klinik, die Hälfte davon in tiefer Narkose, einem künstlich eingeleiteten Koma. »Der liebe Gott hat ihn gerettet.« Das ist für den gläubigen Aramäer Yilmaz Danak Gewissheit.

Der Vater rekapituliert nach etwas mehr als einem Jahr das Unfassliche, die Höhen, die Tiefen, das Hoffen und Bangen, das er, seine Frau und die vier Geschwister erlebten.

Tückische Krankheit

»Corona ist tückisch, mal geht es dem Patienten einen Tag besser, das andere Mal viel schlechter. Es ist ein Hin und Her.« Es sei eine »emotionale Achterbahnfahrt« gewesen. Diese Worte von Daniels ältester Schwester Liliane prägen sich einem ein. Aber auch die des Vaters über diese Zeit: »Was die Ärzte und andere in der Klinik leisten, das ist unglaublich. Manchmal kommen sie nicht einmal zum Trinken. Alle nahmen am Schicksal meines Sohnes großen Anteil.« Immer wieder betont er, wie dankbar seine Familie für die intensive Hilfe in der Notlage war.

Und Daniel, der eigentlich einen Sozialpädagogik-Studienplatz sicher hatte, ist jetzt umgeschwenkt. Er will sich für das Fach Medizinmanagement an der Technischen Hochschule (THM) einschreiben. Das eine Jahr hat ihn verändert. Doch der junge Mann muss sich noch gedulden, eine dritte Reha liegt vor ihm. »Ich fühle mich gut«, sagt er.

Doch seine Lunge funktioniert nur zu 60 Prozent. Der Fußballer, der sich auch in der Jugendfeuerwehr im Ort engagiert, geht derzeit nur spazieren. Danach ist er ausgelaugt. Ans Kicken, Joggen oder Schwimmen ist gar nicht zu denken. Nicht nur innerlich sind Narben zurückgeblieben, auch äußerlich. Zwei Druckstellen auf den Wangen und kleinere kahle Stellen am Hinterkopf sind noch zu sehen - alles vom langen Liegen im Krankenbett. Eine runde Narbe am Kehlkopf wird Daniel ein Leben lang an sein Martyrium erinnern. Es ist die Stelle, an der der Beatmungsschlauch der Maschine hing, die ihn am Leben hielt. Eine Arthrose im linken Knie behindert ihn beim Gehen - eine Corona-Nebenerscheinung, möglicherweise auch durch schwere Medikamente verursacht, die er erhielt.

Der Vater sagt an diesem Tag des Erinnerns eindringlich zum Sohn: »Erzähl deine Geschichte.« Nicht zuletzt, weil es Menschen gibt, die tatsächlich fragen: »Warst Du denn überhaupt im Krankenhaus!?«. Daniel und sein Papa schütteln die Köpfe über diese unfassbare Ignoranz. Auf dem Handy des Vaters und der Tochter gibt es zahllose Fotos, die zeigen wie Daniel an den vielen Schläuchen und Sensoren hängt. Noch heute schießen im Rückblick Tränen der Ohnmacht in die Augen des Vaters.

Weiter arbeitsunfähig

Sein heute 22-jährige Sohn sieht hoffnungsvoll in die Zukunft: »Die Ärzte haben mir gesagt: Das mit der Lunge wird wieder, aber es dauert halt. An guten Tagen merke ich gar nichts mehr.« Doch die Mediziner sind sich einig, dass der Garbenteicher weiterhin arbeitsunfähig ist. Daniel Danak denkt, dass ihn eine weitere Reha voranbringen wird. Doch schon die zweite beschränkte die Krankenkasse aus Kostengründen auf drei Wochen anstatt vier. Dabei lernte der Garbenteicher in einer Lungenfachklinik während der zweiten Reha schon wieder Radfahren.

Aus dem Koma erwacht, konnte er zunächst wegen der Tubuswunde am Hals nicht sprechen und aufgrund der verkümmerten Muskulatur nur im Rollstuhl herumfahren. In der ersten Reha war er dann nur noch auf den Rollator angewiesen. Schritt für Schritt geht es voran.

Daniel und seine Eltern kämpfen weiter, jetzt an anderen Fronten. Ärger mit der Krankenkasse, die nur das Nötigste weiterzahlen will, steht erneut an.

Schlimmer als die Auseinandersetzung mit dem Virus kann das niemals werden. Das Jahr 2021 war kräftezehrend für die Familie. Der Vater machte sich nach Jahrzehnten als angestellter Kfz-Mechaniker selbstständig, übernahm die Werkstatt am Grenzweg in Garbenteich und musste gleichzeitig ansehen, wie Corona das Familienleben völlig veränderte. »Viele Menschen haben für uns gebetet, haben uns Mut zugesprochen. Das war unglaublich wichtig.«

Direkt nach dem Ausbruch der Pandemie 2020 - ein Impfstoff war noch nicht in Sicht - erkrankte bereits die Tochter Liliane an Covid 19. Ihr Bruder erinnert sich, dass es damals schon geheißen habe, dass junge Menschen die neue Krankheit besser überstehen, und tatsächlich war Liliane bald wieder gesund.

Ein Jahr später erwischte es die Mutter. Mit ihren 51 Jahren war der Körper schwerer in der Lage, das Virus abzuwehren. »Am Dienstag, 3. August, fand ich meine Frau am Boden liegend. Sie kam in die Klinik nach Lich und musste beatmet werden. Nur zwei Tage später holten die Sanitäter meinen Sohn ab«, schildert Yilmaz Danak rückblickend die Eskalation. Die Mutter verbrachte 14 Tage im Krankenhaus, Daniel wurde erst am 27. November nach 113 Tagen wieder entlassen.

Eine Impfung hatte er zurückgestellt, weil ihn die Prüfungen zum Fachabi davon abhielten. Er stufte das als wichtiger ein. Und würde es heute nie wieder so machen. Mittlerweile ist der junge Mann zweimal geimpft.

»Ich kann nicht mehr«

Das Fieberthermometer zeigte an dem Tag, der sein Leben verändern sollte, 40 Grad an. »Ich wollte damals partout nicht ins Krankenhaus«, weiß der Fachabiturient noch. Schon zehn Tage hatte ihn da das Virus fest im Griff, als die Atemnot zu stark wurde. Sein Vater erinnert sich genau, dass sein Sohn an diesem Vormittag zuhause bekannte: »Ich kann nicht mehr.«

Der Vater maß mit einem Oximeter einen beängstigenden Sauerstoffgehalt von unter 90 Prozent - 94 bis 98 sind normal - und rief sofort den Rettungsdienst an. Noch im Krankenwagen wurde Daniel mit Sauerstoff versorgt und in der Klinik angekommen direkt auf die Intensivstation gebracht.

Danach folgte eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Einmal riss ihn ein Herzstillstand kurz aus dem Leben, der Lebensmuskel fing aber wieder an zu schlagen. Das Immunsystem war im Dauerstress. Das breite Spektrum an Antibiotika und Cortison zur Unterstützung belastete seinen Köper schwer. Epileptische Anfälle kamen hinzu. Entzündungswerte von 280 traten auf, ein anderes Mal besserten sie sich gewaltig, ein Trugschluss. Es ging weiter bergab.

Nur noch 30 Kilo gewogen

Der junge Patient erlebte das selbst nur benommen. Ein Luftröhrenschnitt war erforderlich. Sein Zustand war sehr ernst. Die Lunge zog Wasser, der Körper war aufgrund der schweren Medikamente aufgedunsen. 30 Kilogramm wog er an einem Punkt, heute sind es wieder 65.

Letztlich zeigte sich, dass Corona rein medikamentös nicht zu besiegen war. Das künstliche Koma wurde eingeleitet, um den Körper weiter zu entlasten. Tiefe Bewusstlosigkeit prägte die Tage, bis die Entzündungswerte sanken. Die sorgenvollen Eltern durften stundenweise vorbeischauen.

Daniel bekam nichts mit, bis die Narkosemedikamente, die ihn im Koma hielten, immer geringer dosiert wurden. Eigentlich war das künstliche Koma nur für zwei Wochen geplant, es dauerte letztlich die vierfache Zeit. Seine Schwester Liliane spricht von einer »Zeit wie stehen geblieben«.

Der bewusstlose Körper Daniels ist zäh und gewinnt den Kampf gegen Covid, nicht ohne Blessuren. Erste Zeichen des Aufwachens waren sich bewegende Finger, die nach Mutters und Vaters Händen suchten. Auch die Augenlieder begannen zu flackern. »Ich weiß noch genau, wie ich auf einmal mitbekam, dass eine Schwester etwas von einem Brand an der Uniklinik erzählte. Da war ich erstmals wieder richtig bei Bewusstsein.«

Das Schicksal des 21-Jährigen berührte jeden in der Intensivstation. Eine Frau, die dort putzt, drückte dem jungen Patienten, der zunächst weiter mit Sauerstoff versorgt werden musste und hilflos im Krankenbett lag, fest die Hand. Unglaubliche Freude herrschte, als Daniel Danak Ende November 2021 entlassen werden konnte.

Doch der Kampf um die Genesung sollte nicht beendet sein. In der ersten Reha, gerade frisch geimpft, fing sich der Garbenteicher erneut Covid ein, nicht so wie zuvor, doch die Atemnot aufgrund der stark geschädigten Lunge kehrte zurück. Er weinte und vertraute der Schwester an: »Ich will nicht wieder ins Koma zurück.«

Nachdem der Luftröhrenschnitt im März dieses Jahres verschlossen wurde, gab es eine Komplikation. Daniels Mund füllte sich ein paar Tage später mit Blut, eine Ader war geplatzt, eine Not-OP folgte. Nichts blieb dem jungen Mann erspart. Doch jetzt geht es endlich bergauf.

Sein Vater Yilmaz Danak hat während der Zeit auch anderes erlebt, ein Verwandter starb plötzlich nach einer Corona-Infektion. »Ich danke Gott für das Leben meines Sohnes und allen, die mitgeholfen haben, dass es ihm heute besser geht.« Viele hätten für die Familie in dieser Zeit gebetet und regelmäßig nach Daniels Zustand gefragt. »Ich habe einen behandelnden Arzt gesehen, der weinte, als er meinen Sohn vor Kurzem in einem Behandlungsraum im Klinikum sah.«

gikrei_wwA278753203_0511_4c
An eine Herz-Lungen-Maschine war Daniel viele Tage angeschlossen. Symbolfoto: dpa © Red

Auch interessant