»Es ist mir gut ergangen«

Es gibt Begegnungen, die prägen einen ein Leben lang. Eine solche hatte Elvira Muth aus Grüningen 1978 in Frankreich.
Pohlheim . Es gibt Begegnungen, die einem ein Leben lang im Gedächtnis haften bleiben. An eine solche erinnerte sich die Grüningerin Elvira Muth jüngst, als es im Anzeiger im Bericht »Der Geschichte Gesichter geben« um ein Zwangsarbeiterdenkmal in Wettenberg ging. Mittlerweile ist eine Gedenktafel auf dem Sorguesplatz enthüllt worden, die an das dunkle Kapitel deutscher Geschichte erinnert. Unter den während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 von den Nationalsozialisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppten Menschen befanden sich auch zahlreiche französische Kriegsgefangene.
Die Veröffentlichung weckte bei Muth Erinnerungen. Sie fuhr im Sommer 1978 nach Frankreich.
Die damals 28-Jährige machte mit ihrem Ehemann in der südfranzösischen Stadt Sainte- Maxime Urlaub. Ziel eines Tagesausflugs entlang der herrlichen Küste war Monaco. Die Rückfahrt zur Ferienwohnung führte durch Nizza. Dort, an der Ampel stehend, rauchte es unter der Motorhaube ihres Peugeot 304.
Glück im Unglück
Mit ihren mageren Französisch-Kenntnissen hatten sie sich zu einer Autowerkstatt durchgefragt. Nicht ganz einfach, denn es war Freitagnachmittag; aber sie hatten Glück und der kaputte Kühler konnte ausgetauscht werden.
Während ihr Mann in der Werkstatt geblieben war, begab sie sich auf den Weg, um für das Ferienwochenende noch ein paar Lebensmittel einzukaufen. Die Straße mit der Werkstatt hatte sie sich gut gemerkt und war sich trotzdem nicht mehr ganz sicher, ob sie nach dem Einkauf zurückfinden würde. Da kam ihr ein älterer Herr entgegen, den sie fragte, wohin sie müsse. Er bestätigte ihr, dass sie auf dem richtigen Weg zur Werkstatt sei.
Mit einem »Merci« bedankte sich die Urlauberin bei dem freundlichen Franzosen und ging weiter. Nach ein paar Metern Abstand rief er hinter ihr her: »Une moment, Madame!«, einen Moment, die Dame.
Die 28-jährige Elvira blieb stehen, während ihr Auskunftsgeber auf sie zukam und fragte, ob sie aus Deutschland komme. Anscheinend hatte er ihren Akzent erkannt. »Bei meinem »Ja« bekam er ein Lächeln ins Gesicht und wollte wissen woher? »
Sie gab ihm zur Antwort: »Rund 60 Kilometer nördlich von Frankfurt«. Er wollte es trotzdem noch genauer wissen. Als er hörte, dass sie aus der Nähe von Gießen kam, bohrte er immer noch: Woher genau? »Aus Langgöns« bekam er zur Antwort von Elvira Muth, die zur damaligen Zeit dort wohnte und sich Gedanken machte, warum ihr Gegenüber das so genau wissen wollte. Er lächelte sie an und sprach halb deutsch/französisch: »Ich kenne Langgöns!« Die Grüningerin war sprachlos und dachte zuerst an einem Scherz, aber er sprach von der dortigen evangelischen Kirche und anderen Gebäuden sowie von zwei Gaststätten (eine damalige - die Inhaber hießen »Seipp« - in der Nähe der Kirche und dem kürzlich geschlossenen Gasthaus »Gambrinus«), die man nur kennen konnte, wenn man sie schon gesehen hat oder selbst dort verkehrt hatte.
Als die überraschte Urlauberin ihn fragte, woher er das alles kennt, bekam sie zur Antwort, dass er als Kriegsgefangener auf einem Bauernhof im Nachbarort Kirch-Göns und auch in Hoch-Weisel war und es ihm dort gut ergangen sei. Er hatte ein eigenes Bett und bekam genügend zu Essen. Das Gespräch dauerte eine Weile, aber dann musste die Langgönserin zur Werkstatt zurück, denn sie hatte das Portemonnaie mit dem Geld in ihrer Tasche.
Sie hätte am liebsten noch viel länger mit ihm geplaudert, aber die Zeit saß ihr förmlich im Genick. Bei der nächsten Straßeneinmündung musste sie abbiegen und schaute noch mal zurück. Der Mann stand immer noch da, blickte ihr mit einem Lächeln hinterher, und winkte ihr zu.
Nicht nach dem Namen gefragt
Dreifaches Glück war den Urlauber aus Deutschland an diesem Tag beschert, denn zum einen, dass sie ein französisches Auto gefahren hatten und die Ersatzteile vorhanden waren, sie gleich eine Werkstatt zum Wochenende gefunden hatten und Elvira Muth dem ehemaligen Kriegsgefangenen begegnete, der trotz eine unbarmherzigen Krieges, sich gerne erinnerte.
Damals war die Oberhessin noch zu jung und hat nach eigenen Aussagen nicht daran gedacht, ihn nach seinem Namen und dem Namen der Familie aus Kirch-Göns zu fragen, bei der er einquartiert war. Er war sicherlich genauso überrascht, sonst hätte er ihr die Adressen genannt.
Heute würde Elvira Muth gerne nach Kirch-Göns fahren und diese Familie, wo er war, aufsuchen und die Vermittlung zu dem netten Franzosen herstellen. Es war damals ein unglaublich schöner Zufall!
Ein sehr guter Bekannter, der leider verstorbene Pfarrer Robert Kraft aus Leihgestern, hätte dazu gesagt: »Das war kein Zufall, das war Fügung.«