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»Heizung ist wie ein Maßanzug«

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Von: Debra Wisker

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Ab 2024 soll jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Wärmepumpen sind daher zur Zeit äußerst gefragt. Symbolfoto: dpa © Red

Im Interview beschreibt Innungsobermeister Sascha Reitz, welche Herausforderungen es bei der Umstellung auf umweltfreundliche Heizsysteme gibt.

Kreis Gießen . Als vor Kurzem noch von einer Austauschpflicht für bestehende Öl- und Gasheizungen die Rede war, schlugen die Wellen hoch. Die Bundesregierung hat zurückgerudert, von einer Pflicht ist keine Rede mehr. Doch soll nun für Heizungen, die ab dem kommenden Jahr eingebaut werden, gelten, dass sie zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Für bestehende Systeme, die noch mit fossilen Brennstoffen wie Gas und Öl laufen, soll es Übergangslösungen geben. Vor allem Wärmepumpen sind daher zur Zeit stark nachgefragt. Sascha Reitz, Obermeister der Innung für Sanitär-, Heizungs- Klimatechnik der Kreishandwerkerschaft Gießen, sieht die Firmen grundsätzlich gut darauf eingestellt, sich der Herausforderung zu stellen. Probleme bereiteten dagegen die Lieferketten, was wiederum lange Wartezeiten für die Kunden bedeute.

Eine weitere Herausforderung seien »Unruhen im Markt«, nicht nur bedingt durch die Corona-Krise, sondern auch, weil die Regierung Förderprogramme quasi über Nacht aufstelle oder niederreiße. Das sorge für Planungsunsicherheit, beklagt Reitz im Gespräch mit dem Anzeiger. Nicht nur bei Firmen, sondern auch beim Endverbraucher. Viele fragten sich, ob sie nun umrüsten sollen oder nicht. Das Absurde: Maßnahmen wie Verbote von Öl oder Gas zögen nach sich, dass gerade diese Systeme massiv nachgefragt würden. »Ganz nach dem Motto: ›Ich mache das jetzt noch schnell, bevor es nächstes Jahr keine Geräte mehr gibt‹.« Das alles sorge für erhebliche Unsicherheit auf dem Markt. Unternehmen fragten sich, was sie ihren Kunden denn nun raten sollen. Hinzu komme, dass viele Produkte in den nachgefragten Mengen gar nicht lieferbar seien. Eben wegen der schon erwähnten Lieferkettenprobleme für benötigte Bauteile.

Sinnvolle Technik

Sind Wärmepumpen denn nun das Allheilmittel? Sascha Reitz lacht: »Ich propagiere schon seit 25 Jahren Wärmepumpen. Allerdings niemals als Allheilmittel, sondern als einen Bestandteil der Energiewende und der Energieversorgung.« Sie seien eine sehr sinnvolle und gute Technik, jedoch nicht für alles und überall. »Bei extrem hohem Bedarf mit extrem hohen Temperaturen sind sie nicht wirtschaftlich. Weder ökonomisch noch ökologisch.« Komplett auf ein Pferd zu setzen, ist seiner Ansicht nach schwierig und wird auch nicht umsetzbar sein. Reitz spricht hybride Systeme an, die überwiegend aus erneuerbaren Energien bestehen, kombiniert mit konventionellen Energieträgern wie Öl, Gas, Pellets, Hackschnitzel oder auch Festholz. Auch eine gute Dämmung trage zur Energieeinsparung ein.

Klar sei das Hauptthema in der Branche derzeit die Wärmepumpe. Man gehe in der Energiepolitik von »Power to Heat«, also Strom zu Wärme. Genauso gehe auch die Mobilität in den Bereich Elektro. Doch hier setzt die Kritik von Reitz an. »Unsere Netze und die Versorgungskapazitäten hätte man vielleicht zuerst aufbauen sollen. Dazu braucht es aber die politischen Rahmenbedingungen. Soll heißen, dass es nicht überall möglich ist, diese Menge anzuschließen, die man an elektrischer Leistung braucht.«

Der Obermeister spricht von einer »Kehrtwende mit der Brechstange« seitens der Regierung. »Erst die Infrastruktur, dann die Umstellung« - das wäre die richtige Reihenfolge gewesen, meint der Fachmann. Wärmepumpen laufen mit Strom, doch erzeuge man den etwa mit Braunkohle, sei das auch nicht gerade klimafreundlich, gibt er zu bedenken.

Lieferzeiten

Dennoch rennen die Kunden auf der Suche nach Wärmepumpen den Heizungsfirmen sozusagen die Bude ein, nähmen laut Reitz Lieferzeiten von aktuell zwölf bis 14 Monaten in Kauf. Da würden auch oft Zwischenlösungen akzeptiert. »Das wiederum heißt für den Kunden eine Investition von mehreren Tausend Euro, die es nicht brauchte, wenn genügend Produkte, sprich Wärmepumpen, da wären«, gibt Reitz zu bedenken. Ganz zu schweigen von den späteren Kosten für die Wärmepumpe, die er mit 20 000 bis 30 000 Euro für ein normales Einfamilienhaus beziffert. »Wie soll das eine 90-Jährige mit einer kleinen Rente schaffen?«

Rund eine Million Haushalte pro Jahr sollen, so Reitz, nach den Plänen der Bundesregierung umgestellt werden. »300 000 Haushalte sind derzeit zu schaffen.« »Dass wir in Sachen Energiewende etwas tun müssen, ist jedem klar.« Doch es gibt noch etwas, das einer schnellen Umsetzung im Wege steht: der Fachkräftemangel. Die Hersteller hätten sich angepasst und errichteten Produktionsstätten. »Da kommen nur die Geräte raus. Wir brauchen aber Menschen, die das gut bauen. Heizungen sind wie ein Maßanzug. Das muss zu dem Gebäude passen. Systeme von der Stange bergen Fehler für die Zukunft.«

Im Moment bräuchte man »hunderte von Händen mehr«, um die Energiewende zu stemmen. Aber: Alleine die Ausbildung zur Fachkraft dauere dreieinhalb Jahre. Es brauche außerdem eine Gleichstellung bei Ausbildung und weiterführenden Maßnahmen. »Die Fortbildung zum Meister muss man selbst bezahlen., ein Studium nicht.« Hier sei der politische Wille gefordert. »Wenn Handwerk heute keinen goldenen Boden hat, wann dann? Wir Handwerker machen die Energiewende.« Foto: Wisker

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Sascha Reitz © Debra Wisker

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