Hörgenuss mit brasilianischer Schwelgerei
Die hr-Bigband und Pedro Martins begeben sich bei einem Konzert im Gießener Stadttheater auf einen niveauvollen Trip durch die südamerikanische Musik.
Gießen. Große Freude herrschte bei den Freunden der großen Blasmusik: Die hr-Bigband war mal wieder in der Stadt und gastierte im Theater. Unter der bewährten Leitung von Jim McNeely hatte man einen Gastmusiker von Format mitgebracht, den Brasilianer Pedro Martins. Der hatte nicht nur das gesamte Repertoire komponiert, sondern sang und spielte auch Gitarre dazu. Das Publikum im gut besuchten Haus war restlos begeistert.
Die Band war wie üblich bestens disponiert und sprang mit dem ersten Titel »Uma Ideia« förmlich in den Saal, mit einem kraftvollen Startersolo von Saxofonist Heinz-Dieter Sauerborn. Das ergab den üblichen Energieschub, wenn ein großes Bläserensemble hundertprozentig geschlossen musiziert und hoch motiviert loslegt. Ein strahlender, satter Klang erfüllte das Haus - und an der Transparenz war nicht das Geringste auszusetzen.
Pedro Martins (geboren 1993) ist ein in der Jazzszene etablierter Musiker und Komponist, der inzwischen mehrere Alben herausgegeben hat und eine internationale Bühnenkarriere erlebt. Mit ihm kam ein unverkennbar brasilianisches Flair in die Musik. Das zeigte sich nicht nur, aber auch an seinem Gesang. Zum einen sang er unisono mit der Gitarre, zum anderen aber auch übliche Sologesangspartien. Sein Gitarrenstil ist typisch jazzig, mit perlenden, fließenden Läufen, denen jede Angestrengtheit fehlt, im Gesang pflegt er die ungewohnten Tonarten des südamerikanischen Jazz. Mit seiner dunklen Sonnenbrille sah er ein bisschen aus wie der junge Bob Dylan.
Im zweiten Stück, »Ciclo de la vida«, herrschte neben einer aparten Melodie ein angenehmer Fluss, und man hörte eine Unisono-Passage mit mehreren Stimmen, was später noch öfter vorkam. Hier war der Eintritt in die brasilianische Musikwelt schon deutlich zu spüren. Ein ruhiger Titel, mit schönem, fast andächtigem Abschluss. Ein erstes Glanzlicht folgte mit »Venus 13«. Hier hörte man zarten, fast kirchenmusikalischen Gesang mit angenehmen Harmonien, sehr schön.
Starke Solisten
Wie bei der hr-Bigband gewohnt, bereicherten auch diesmal jeweils einer oder mehrere Solisten das Programm. Wobei auffiel, dass sich die Beiträge weniger formal anhörten als früher, sie waren spielfreudiger und werkdienlicher gestaltet. Das Publikum klatschte gut gelaunt und großzügig.
Martins suchte neben solistischen Aktionen definitiv auch das Verschmelzen mit dem Bigband-Sound, etwa in »Samba dolente«, wozu Keyboarder Michael Orenstein hübsche Effekte beisteuerte und Steffen Weber ein besonders aussagefähiges, attraktives Saxofon einspielte. Martins agierte zart, fast ätherisch, ein weiteres Glanzlicht. Bei aller brasilianischen Schwelgerei kam die Abwechslung nicht zu kurz. Jim McNeely hatte wieder glänzende, attraktive Arrangements geschaffen, und so vertrug sich der typisch westliche Bigband-Sound mit den variierenden brasilianischen Elementen bestens. Vereint war das ein intensives, kontrastreiches und niveauvolles Hörerlebnis. Etwa in »K7 Dreams«, wo die Band auf sanften Bossa-Nova-Schwingen dahinglitt und Steffen Weber am Saxofon sowie Martin Auer an der Trompete exzellente Soli beitrugen. Ein Wermutstropfen war der Sound: Statt sattem Naturklang der Bläser war das mit zu viel Höhen und Präsenz auf ans Grelle grenzendes Eindruckmachen hin gestaltet, obwohl ein solches Ensemble mit wenig Verstärkerhilfe auskommt.
Pedro Martins erwies sich als Solist der angenehmen Art, drängte sich nie in den Vordergrund, sondern hörte immer wieder intensiv zu, um dann gezielt mitzuwirken. Mit einem sehr ästhetischen Klang erfreute »E se« die Zuhörer. Martins sang ein wenig, fast wie nebenbei, angenehm »laid back«. Die Gitarre floss hier gleichsam mit den originellen Keyboards nach dem Intro in den Hauptteil über, der im sanften Tempo kam. Auch in »Deve ser anon« konnte man ein solches typisch brasilianisches Schwelgen hören, zum Abschluss schlich sich das Orchester mit ganz feinen, leisen Bläsern raus: toll! Das Publikum, etwas weniger als beim letzten Besuch, war höchst angetan vom Abend.
Auch in der Zugabe war noch einmal nach einem sehr guten Gitarrenintro ein wunderbares Dazuschweben des Ensembles zu genießen, unternommen mit einem auffallend wirksamen Groove und einem insgesamt verträumten Duktus. Insgesamt ein hochinteressanter und emotional ansprechender Trip durch die südamerikanische Musik auf sehr hohem Niveau - wie erwartet.