Einsatz in luftiger Höhe

Bei dieser Arbeit muss man schon schwindelfrei sein. Foto: atb Foto: atb
HUNGEN - (atb). Lautes Schrabben von Hubschrauber-Propellern war gestern in Hungen zwischen Umspannwerk und Eisenbahntrasse zu hören. Peinlich genau achteten die beiden Piloten auf Abstände ihrer Fluggeräte zu den Hochspannungsleitungen. Das machten die beiden ganz selbstverständlich.
Anders sieht das allerdings bei den gefiederten Fliegern aus. Daniel Laux vom Umwelt-Planungsbüro des Ornithologen Frank Bernshausen in Hungen sagte: „Gerade große Vögel wie Kraniche oder Graureiher, nehmen die Leitungen oft nicht wahr und stoßen mit ihnen zusammen. Die Tiere sterben häufig am Zusammenstoß. Auch die in der Gegend beliebten Störche traf es schon.“
Nun werden auf der 110-kV-Leitung von Gießen nach Hungen sogenannte „Vogelschutzmarkierungen“ angebracht. Dies sind stabile Befestigungen, die man an den „Leiterseilen“, die manchmal auch „Blitzschutzseil“ genannt werden und mehrere Zentimeter dick sind, eingehängt. Sie verfügen über bewegliche, schwarz-weiße Kunststoffstäbe, die auch im Dämmerlicht gut sichtbar sind und den Vögeln Orientierung geben.
Avacon-Projektleiter Wolfgang Dee erklärte eine Neuerung an den Markierungen: „Die weißen Teile fluoreszieren über mehrere Stunden. Es sind so etwa drei Stunden. Möglicherweise werden sie von Vögeln sogar noch länger wahrgenommen, als von uns Menschen.“ Das Anbringen der Signale stellte eine weitere Herausforderung dar, der sich Marius Fiege von „Westnetz“ stellen musste. Er befestigte sich mit Sicherheitsgurten, unterstützt von einem Metallrahmen, halb in, halb außerhalb eines Hubschraubers. Der flog mit ihm zur entsprechenden Stelle. Dort musste Fiege vom Hubschrauber aus jeweils ein Signal einhängen.
Ein abenteuerliches Bild, denn in luftiger Höhe von einem vibrierenden Hubschrauber aus nach einem dicken Blitzschutzseil aus Metall zu greifen, sorgt schon alleine vom Hingucken für ein flaues Gefühl in der Magengegend. So ging es jedenfalls den beteiligten Journalisten mehrerer Medien, die mit Film, Ton, Kamera und Stift die Aktion verfolgten und selbst bei ausgehängten Türen und gut gesichert ihre Aufnahmen von einem zweiten Hubschrauber aus machten.
Avacon, regionaler Netzbetreiber und größter „Verteilnetzbetreiber“ in Deutschland mit Sitz in Helmstedt, installiert die Vogelschutzmarkierungen. Avacon Pressesprecherin Michaela Fiedler erklärte, dass die Markierungen seit 2004 in „vogelflugrelevanten“ Gebieten im Einsatz seien. 60 bis 90 Prozent des sogenannten „Vogelschlags“ könnten laut Studien dadurch verhindert werden, erklärte sie. Vorgeschrieben seien die Signale jedoch eigentlich nur für neue Bauwerke, nicht für den Bestand, wie im Fall der Hungener Leitungen, erklärte Dee. Mit ihrem freiwilligen Werk will die Firma nicht nur das Verunfallen der Vögel verringern helfen, sondern auch einen Praxistest über die Wirksamkeit der Signale unterstützen. Diesen nimmt das Umweltplanungsbüro aus Hungen vor. So wurden, wie Daniel Laux erklärte, Untersuchungen über die Zahl der bisher gestorbenen Vögel vorgenommen und dabei auch berücksichtigt, dass viele der verendeten Tiere etwa von Füchsen von den beobachteten Stellen unter den Hochspannungsleitungen weggeholt würden.
Außerdem soll das Flugverhalten beobachtet werden. Die Leitung in der Wetterau wurde ausgewählt, weil sie in der Nähe von Vogelschutzgebieten liegt, hier seien die Studienbedingungen optimal. Zwei bis drei Jahre sind als Zeitraum für die Studien geplant.
Übrigens: Nicht nur die Hubschrauberpiloten wissen mit den Stromleitungen fachmännisch umzugehen. Die Greifvögel haben nicht nur scharfe Augen, sondern sind auch wendig und kollidieren ebenfalls nicht mit den Metallseilen. Grafik: tsach/Fotolia