»Ich will Großmeister werden«

Viereinhalb Züge kann er im Schach vordenken. Der sechsjährige Levi Pötter aus Pohlheim hat das Zeug zum Großmeister im Königsspiel.
Hungen . Der sechsjährige Levi Pötter aus Pohlheim ist das jüngste Mitglied im Schachklub Königsjäger Hungen. Er hat verblüffende Spielfertigkeiten. Mit Leichtigkeit setzt er seine Gegner reihenweise schnell Schach matt.
Der kleine Mann ist geradezu fasziniert von dem königlichen Spiel, fiebert jede Woche erneut auf die donnerstäglichen Spieleabende im Kulturzentrum Hungen hin. Hier überrascht er mit seinem Kombinationsvermögen, seinem taktischen Auge, seiner souveränen Spielanlage gepaart mit eigenwilliger Kreativität und purer Entschlossenheit.
Ein unbändiger Siegeswille kennzeichnet sein Spiel und sorgte für das Matt des Gegners. Da ist die Einschätzung »Schach-Wunderkind« nicht weit.
Im vergangenen Jahr startete Levi erstmals mit sieben Turnieren richtig durch. Belegte er bei seinem ersten Auftritt noch den fünften Platz, errang er danach viermal den Turniersieg und erreichte zweimal den zweiten Platz, wobei er in seiner Altersklasse U8 (6 bis 8 Jahre) zumeist der Jüngste war oder in höheren, zusammengelegten Klassen gegen wesentlich ältere Kinder spielte.
Bester Spieler in Hessen
Im März wird er bei der Hessenmeisterschaft in der U8 in Biedenkopf auf einen Sieg hoffend antreten. »Ich will einmal Großmeister werden«, steckt er sein Ziel im Brustton der Überzeugung fest.
Mit einem zweiten Platz bei der U8-Bezirksmeisterschaft in Frankfurt und gleich zwei U8-Bezirksmeistertiteln im Bezirk Main-Vogelsberg sowie Bezirk Frankfurt im engen Abstand von nur sechs Wochen hat er sich schon seine erste Wertungszahl 1153 erspielt - aber bis zur DWZ 2722 von Großmeister Vincent Keymer liegt noch ein weiter Weg vor ihm.
Jetzt ist er erst einmal der beste Spieler Hessens in seiner Altersklasse und steht deutschlandweit auf Platz drei seiner Alterskameraden.
Für seinen Trainer Mirko Humme vom Schachklub Königsjäger Hungen ist Levi ein überragendes Ausnahmetalent, auf das vielleicht die Schachwelt wie auf den Amerikaner Bobby Fisher, der einst die russische Übermacht ablöste, gewartet hat. »Er zeigt starke Parallelen zu dem lange Zeit in Gießen lebenden Alexander Donchenko, der auch mit viereinhalb Jahren mit dem Schach angefangen und früh Erfolge eingefahren hat. Heute ist er Großmeister, lebt als Profi vom Schach und gilt als einer der stärksten Schachspieler Deutschlands.«
Erwachsene haben es schon schwer
Humme hofft, dass Levi das anstehende Auswahlverfahren für ein dreimal pro Halbjahr stattfindendes Kadertraining in Frankfurt meistert, wo lizensierte Trainer die Kids fördern und betreuen, denn irgendwann wird der Rahmen hier in Hungen für Levi einfach zu eng. »Schon jetzt besiegt mich der Kleine öfter«, gibt Humme lachend zu und erinnert sich schmunzelnd: »Während eines Spiels wunderte ich mich, was er da für einen ungewöhnlichen Damenzug macht und zwei Züge später war ich matt - einfach toll.«
Bei einem Liga-Mannschaftswettkampf mit dem Hungener Schachklub in Bad Homburg schwitzte sein 70-jähriger Gegner Blut und Wasser, kam aus dem Staunen kaum heraus und errang nur mit Mühe und Not den Sieg über den sechsjährigen Pimpf. »Levi ist immer für eine Überraschung gut - wenn er hellwach ist sind seine Gegner matt«, konstatiert sein Trainer.
Doch neben Schach gibt es natürlich auch das normale Leben. Levi lebt mit seinen Eltern, beide Lehrer, und einem älteren Bruder in Pohlheim, büffelt in der ersten Klasse Rechnen, Lesen und Schreiben, wobei Rechnen sein Favorit ist. Er klettert gerne in der Kletterhalle, zehn Meter Höhe sind für ihn kein Problem. Schwimmen und Fahrradfahren zählen ebenfalls zu seinen Hobbys, doch typische Jungsdinger wie Fußball oder Karate haben es ihm nicht angetan.
Vor etwa einem Jahr ereilte ihn ein schwerer Schicksalsschlag. Er erkrankte an einer autoimmunen Enzephalitis (Gehirnentzündung), die infolge von Vernarbung zu epileptischen Anfällen führte. Mit starken Medikamenten werden jetzt zwar die Anfälle unterdrückt, aber die massiven Nebenwirkungen wie Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten sowie Müdigkeit sind nicht ohne. »Levi ist schon beeinträchtigt, nur beim Schachspiel ist er ein ganz anderes Kind. Da kann er sich über vier Stunden konzentrieren, die Müdigkeit ist wie weggeblasen und er ist so vertieft ins Spiel, dass er die Welt um sich herum vergisst«, erzählt die Mutter.
Regeln heimlich beigebracht
Als er fast fünf war, sah er seinen älteren Bruder Schach spielen und wollte unbedingt auch mitmachen. »Das ist noch zu schwer für dich«, tröstete die Mutter, aber die Oma brachte ihm heimlich die Zugrichtungen der einzelnen Figuren bei. Dann ließ sich der Papa breitschlagen, studierte bei YouTube die sieben goldenen Regeln der Eröffnung und übte jeden Tag nach der Arbeit eine Stunde mit Levi.
Der bildete sich derweilen mit »learning by doing« mit Online-Spielen weiter und bald gewann der Papa nur noch eines von zehn Spielen. Im Hungener Schachklub meisterte der Kleine die jeweils neun Schachaufgaben auf einem DIN A4-Blatt mit links, wo andere Spieler die Figuren aufbauten und stundenlang hin und her diskutierten.
Fotografisches Gedächtnis
»Levi hat ein fotografisches Gedächtnis, er löst die Aufgaben im Kopf. Während eines Spiels rechnet er 3,4 Züge voraus und er steigert sich von Spiel zu Spiel. Zum Vergleich: Weltmeister Magnus Carlsen, ein Norweger, rechnet acht oder neun Züge voraus«, berichtet sein Trainer und merkt an: »Während eines Turniers werden alle Züge notiert, was Levi noch nicht kann. Bisher haben seine Gegner für ihn mitnotiert, aber wir üben jetzt.«
Mit Niederlagen kann das Wunderkind gut umgehen, es gibt keine Tränen. Nur wenn er sich selbst im Wege stand, es hätte schaffen können, ist er geknickt, weiß der Papa, der ihn zu Turnieren bereitwillig herumkutschiert. Da Levi Schachlehrer werden will, gibt er derweil seiner Mutter schon mal Unterrichtsstunden. Ganz klar, hier ist ein (noch) kleiner Mann auf dem Weg zum Großmeister.