»Kirche muss weiter sichtbar sein«

»Wir können nicht die Welt retten, aber wir können da, wo wir leben, Zeichen setzen.« Dekanatsmitarbeiterin Doris Wirkner hat das gelebt. Jetzt widmet sie sich neuen Aufgaben.
Kreis Gießen . Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland haben es nicht leicht. Manchmal machen sie sich das Leben auch selbst schwer. Aber sie sind da, bleiben ein wichtiger Akteur im Land. Kirche ist auch im 21. Jahrhundert mehr als Sonntagsgottesdienst, Kasualien und Seelsorge. Kirche kann Heimat sein, kann trösten und anleiten, neue Wege aufzeigen und Impulse geben. Kirche engagiert sich für junge und alte Menschen - und auch für die, die mitten im Leben stehen. Der wichtigste Auftrag der christlichen Kirchen war und ist aber das: die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus.
Kirche hat also ganz viel mit Kommunikation zu tun, mit Verbindung schaffen. Kirche, stellt sich aber auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Genau für diese Bereiche war Doris Wirkner beim Dekanat Gießener Land (ehemals war das die AG der Dekanate Grünberg, Hungen und Kirchberg) zuständig. Hinzu kam die Verantwortung für die Fachstelle Bildung.
Schäferwagen am Lutherweg
Nun hat die Diplom-Politologin einen Wechsel vollzogen, übernahm am 1. Februar als Geschäftsführerin Verantwortung bei dem Gießener Verein »AKTION - Perspektiven für junge Menschen und Familien e.V.« Es ist kein fliegender Wechsel, den Doris Wirkner vollzog. Ein wenig Zeit zur Rückschau, zum Erholen und zur Vorbereitung auf das neue Amt blieb schon.
Wie die evangelische Kirche hier in der Mitte Hessens den Bereich Gesellschaftliche Verantwortung konkret definiert, kann man auf der Website des Dekanats Gießener Land lesen: »An der Schnittstelle zwischen Kirche und Gesellschaft ist die Fachstelle verlässlicher und kompetenter Ansprechpartner für Kirchengemeinden auf der einen und Kommunen, Gewerkschaften, Wirtschaft, Wohlfahrtsverbänden, Politik, Umweltverbänden, Vereinen und Institutionen in der Region, auf der anderen Seite.«
Was das im Alltag bedeutet und welche Themenbereiche auf ihrer Agenda standen, erzählt Doris Wirkner im Gespräch mit der Redaktion dieser Zeitung. »Das vielleicht größte Vorhaben in meiner Amtszeit war die Schäferwagen-Herberge in Hungen-Nonnenroth. Angestoßen wurde das Projekt von Pfarrer Hartmut Lemp und dem Kirchenvorstand in Nonnenroth.« Von der Planungsphase bis zur Einweihung seien vier Jahre vergangen, erinnert sich Wirkner: »Es gab eine Menge Abstimmungsbedarf zwischen den Beteiligten, viel Papierkram war zu bewältigen, viele Behördengänge waren zu erledigen, bis alles eingetütet war.« Zwischendurch sei die Realisierung zeitweise stark gefährdet gewesen. »An einem gewissen Punkt schien das Projekt sogar gestorben zu sein.« Doch es wurde wiederbelebt - und am Ende waren Kirchengemeinde, Stadt Hungen und auch Doris Wirkner vom Dekanat stolz auf das, was an der Straße von Nonnenroth nach Villingen direkt am Ortsrand entstanden war: Eine Pilgerherberge mit sechs Schäferwagen und Servicehaus am Lutherweg 1521. Realisiert übrigens auch mit Fördergeldern aus dem EU-Programm LEADER.
»Kirche ist nicht von gestern«
Wirkner erinnert sich: »Das Ergebnis war schließlich mehr als wir uns erhofft hatten. Ursprünglich sollte eine alte Scheune für Übernachtungsgäste saniert werden. Aber die Schäferwagen passten einfach genau zur Region rings um die Schäferstadt Hungen. Als die Anlage am 1. Mai 2018 eröffnet wurde, war das ein großer Moment für uns alle.« Die Ausdauer wurde also belohnt.
Nicht nur diese Maßnahme zeigt anschaulich, wie weit gefasst das Aufgabengebiet der Fachstelle ist. Beim Projekt »ZwischenRaum« in Ettinghausen war Wirkner zuständig für die Beratung der Kirchengemeinde, die Projektentwicklung, das Projektmanagement, die Fördermittelakquise und die Öffentlichkeitsarbeit. Geschaffen wurde ein Begegnungs- und Kommunikationsraum im Freien. Pfarrhof und Pfarrgarten wurden aufgewertet. »Wenn Kirchengemeinden in der Region solche tollen Ideen haben oder schon einen konkreten Plan, dann gibt es vor Ort meist einfach zu wenig Kapazitäten, um so ein Projekt voranzutreiben. Es ist wirklich oft eine unglaubliche Bürokratie, der man da gegenübersteht. Das zu meistern, war dann - unter anderem - meine Aufgabe.«
Ein Hauptanliegen war aber auch, Kirchengemeinden mit gesellschaftlichen Akteuren zu vernetzen. »Dabei darf es aber nicht auf der Ebene der Kommunikation bleiben. Der Austausch muss auch Wirkung zeigen, damit die Menschen sehen: Kirche ist nicht von gestern, sondern stellt sich den heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten.« Wirkner erinnert in diesem Zusammenhang an die Aktion »Bee friendly - Schöpfung bewahren!«: Die Idee entstand so: »Ich habe vor ein paar Jahren mal ein Buch über das Bienensterben gelesen und mich gefragt: Müssen wir als Kirche da nicht handeln? Wenn wir unsere Welt, wenn wir unsere Lebensräume als Geschenk und als Schöpfung sehen, dann heißt das auch, dass wir die Erde achten und schützen müssen. Ich habe mir die Frage gestellt, wie wir hier vor Ort gegensteuern können und schließlich ein Konzept erstellt.« Wirkner richtete ihren Blick aus guten Gründen auf die Region: »Denn wir können nicht die Welt retten, aber wir können da, wo wir leben, Zeichen setzen«.
Die Diplom-Politologin erinnert sich auch an die blumenfreien Rasenflächen rund um manche Dorfkirchen. »Das waren - und manche sind es noch immer - grüne Wüsten«. Ihr Plan war, diese Flächen in blühenden Landschaften zu verwandeln, in denen Bienen und Schmetterlinge Nahrung finden, »Wir wollten damit auch die Menschen in den Dörfern dazu animieren, ihre eigenen Gärten zum Blühen zu bringen. Seitens der Kirche wurden auf diese Weise fünf Blühwiesen angelegt.
Blühende Landschaften
»Ich habe all diese Aufgaben mit viel Herzblut erfüllt und fühlte mich immer an der richtigen Stelle. Ja, Kirche verliert Mitglieder, aber ich denke, dass sie nicht an Bedeutung verliert.« Die Kirche sei immer noch ein sehr einflussreiches und großes Netzwerk, das viel Einfluss nehmen könne. »Für mich geht es immer auch darum, die Geschichten der Bibel ins jetzt zu holen,« Die Landeskirche sei aktuell mitten in dem Strukturprozess EKHN 2030.
»Er wird von manchen kritisch betrachtet, aber ich denke, dass er wichtig und grundsätzlich auch richtig ist.« Aber er dürfe nicht allein als formaler Akt verstanden werden. »Die Frage muss sein: Wie wollen wir vor Ort Kirche sein, und wie kann Kirche auf die Fragen der Zeit reagieren? In den Gemeinden müssen alle Beteiligten auch weiterhin Zeichen setzen, Ganz wichtig dabei: Unsere Kirche muss weiter in den Dörfern sichtbar und erlebbar bleiben.«