Kollision mit Bahnausbau

Weil das Großbauprojekt am Bahnhof in Linden mit dem Bahnausbau kollidieren könnte, appellieren Verkehrswende-Befürworter, die Entscheidung noch einmal zu schieben.
Linden (ww). Dietmar Jürgens steht an der Stelle am Lindener Bahnhof, an der die beiden südlichen von vier Häusern des Grekon 3-Großbauprojektes in der Tiefe enden. Nur vier Meter weiter ist bereits der Bahnsteig. Zwei der geplanten Häuser reichen in der Länge bis in Höhe der Hausnummer 14 in der Sudetenstraße. Dort endet in der Flucht auch der Bahnsteig, weiß eine Kritikerin des Vorhabens. Jürgens ist Kreisvorsitzende des Verkehrsverbundes Deutschland (VCD) und hatte zusammen mit dem Vorstandsmitglied Patrik Jacob für Freitag zum Ortstermin eingeladen, um einen Appell an Lindens Kommunalpolitiker loszuwerden. Doch nur Vertreter von SPD und Grünen schauten vorbei, wobei die SPD klar gegen den Großbau ist, die Grünen eher dafür. Beide werden die Richtungsentscheidung am Dienstag im Stadtparlament nicht beeinflussen. Die Mehrheit von CDU, FW und FDP sowie Meric Uludag (Die Linke) und auch der AfDler Nicolas Kuboschek werden das Grekon 3-Projekt beschließen. So sieht es bisher aus.
Die VCD- und »Pro Bahn«-Verantwortlichen appellieren jedoch dringend an die Stadtverordneten, die über die Umsetzung des Großprojekt mit bis zu 120 Wohnungen entscheiden, das Vorhaben um eine Runde zu verschieben. Begründung: Die Tiefe des Gebäudes hin zu den Gleisen stehe in Konflikt mit einem späteren dritten und eventuell vierten Gleis der Main-Weser-Bahn.
Das sei kontraproduktiv in einer Zeit, in der es noch dringender sei, immer mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Der aktuelle Regionalplan macht dazu keine Vorgaben, außer, dass an bestehenden Trassen im Rahmen einer Bebauung ein zukünftig drittes und auch viertes Gleis zu berücksichtigen ist.
Der Entwurf des kommenden Regionalplans sieht dagegen neu einen Mindestabstand von 15 Metern zur Gleisachse vor. VCD und »Pro Bahn« fordern nunmehr, dass bereits jetzt dieses Maß beim Bauprojekt in Linden angewendet werden sollte. Dabei ergibt sich das Problem, dass der Bau nur zwölf Meter Abstand zur Gleisachse hat. Es müsste umgeplant werden und es fiele Wohnraum weg.
Überlappendes Gebäude?
Architekt Felix Feldmann betonte zur Frage des Abstands, dass die Bahn das Gelände verkauft und im Rahmen der Anhörung der Träger öffentlicher Belange im Bauleitplanverfahren keine Einwände gegen den Bau gehabt habe. Grundsätzlich sei es kein Problem, auf der Westseite ein drittes Gleis und auf der Leihgesterner Ostseite das vierte Gleis unterzubringen.
Noch steht diese Erweiterung nicht im Bundesverkehrswegeplan, doch der könnte aufgrund des Klimawandels und vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Ukraine-Konflikts schneller als gedacht geändert werden, meinte Verkehrswende-Akteur Jürgens, als sein VCD-Kollege Jacob erklärte, dass es mit der Umsetzung erst in zwei Jahrzehnten gerechnet werden könne. Die Bahn selbst hatte gerade in dieser Woche erklärt, dass sie ab 2024 Bauprojekte vorziehen wolle. Es könnte tatsächlich schneller gehen, denn das zweigleisige Nadelöhr zwischen Gießen und Friedberg ist eine Zumutung.
Das hat auch die Bahn erkannt und baut zumindest bis Friedberg derzeit sechsgleisig aus. Außerdem solle bekanntlich mehr Güterverkehr auf die Main-Weser-Bahn verlegt werden, um die Strecke am Rhein zu entlasten.
»Unterlagen unvollständig«
Jürgens und Jacob hoffen jetzt, dass die Kommunalpolitiker wegen der künftigen Entwicklung noch einmal innehalten. Beide betonten zudem, dass für die beiden südlichen der vier Gebäude in Höhe der Bahnsteige mangelhafte Querschnittsprofile vorliegen würden, weil hier der zwingend notwendige, zusätzliche Platz für Bahnsteige fehle. Das Regierungspräsidium habe damit unvollständige Unterlagen geprüft - so die Einschätzung der VCD-Vertreter.
Auch Andreas Eichberger und seine Frau Christine kamen zum Pressetermin. Die Familie wohnt in der Sudetenstraße, deren Anwohner sich in einer Bürgerinitiative gegen das Vorhaben des Projektierers Daniel Beitlich wehren. »Alles, was in die Zukunft gerichtet ist, das wird in der Lindener Politik nicht berücksichtigt«, sagte er ein wenig resigniert.
Architekt Feldmann versteht die Welt hingegen nicht mehr und meinte zum Bau am Bahnhof: »Wenn man ein Projekt fördert, dann ist es doch das.« Pendler könnten direkt am Bahnhof in den Zug steigen und das Auto zuhause lassen. Alles andere seien »Traumschlösser«.
Da Thomas Kraft von »Pro Bahn« Mittelhessen nicht am Termin teilnehmen konnte, meldete sich der Regionalsprecher mit einer Pressemitteilung. Der Verband sei ohne Einschränkung dafür, dass das Bauprojekt ausgesetzt wird. »Wer sich das Luftbild anschaut, kann schon feststellen, dass es zu eng ist, einen Ausbau auf drei oder vier Gleise plus dem erforderlichen Lärmschutz und gegebenenfalls eine weitere Schutzanlage darzustellen. »Da an der Sudetenstraße die Bäume beziehungsweise der Bewuchs zu einem großen Teil erhalten bleiben soll, ist eine sinnvolle Anordnung von Gebäuden nicht mehr gegeben«, erklärte Kraft in der Mitteilung
»Wenn DB Netz und der Rhein-Main-Verkehrsverbund erklären, das sei alles okay, dann geht es von deren Seite nur um die Abbildung der aktuellen Leistung beziehungsweise derjenigen, welche mit der aktuellen Vergabe der Linienbündel, die ab 2026 auf der Main-Weser-Bahn gefahren werden sollen, korrespondiert. Beide Organe verweigern sich massiv der Verkehrswende. Es war ein fataler Fehler, dass jeder Quadratmeter nicht genutzter Bahnliegenschaften in Deutschland durch Verkauf dem Bahnbetrieb entzogen, ja verschachert wurde«, kritisierte Kraft.
Dietmar Jürgens vom VCD will jedenfalls jetzt klären lassen, ob man gegen das Vorhaben später noch juristisch vorgehen könne.