Kreisausländerbeirat muss neu gewählt werden

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass der Kreistag die Wahl des Kreisausländerbeirats zu Recht für ungültig erklärt hatte.
Kreis Gießen (vb). Der Kreisausländerbeirat muss neu gewählt werden. Das Verwaltungsgericht Gießen hat am Dienstag entschieden, dass der Kreistag die Wahl vom März 2021 zu Recht für ungültig erklärt hatte. Die achte Kammer des Gerichts unter Vorsitz des Präsidenten Harald Wack wies eine Klage des Vorsitzenden des Beirats, Tim van Slobbe, zurück. Eine Berufung wurde nicht zugelassen, van Slobbe kann diese aber beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel beantragen. Kern des Rechtsstreits war, dass der Kreiswahlausschuss die mit AfD-Vertretern besetzte »Konservative Liste« wegen eines Formfehlers beim Aufstellen der Kandidatenliste nicht zugelassen hatte. Zwei andere Listen hatten den gleichen Fehler begangen, durften aber zur Wahl antreten. Wack sprach in seiner Begründung von einem »Verstoß gegen das Demokratieprinzip«.
Dass die Wahl des Kreisausländerbeirats am 14. März 2021 eine andere Bedeutung als frühere Urnengänge haben würde, lag nicht nur daran, dass diese erstmals parallel zur Kommunalwahl stattfand. Ende November 2020 hatte der Anzeiger exklusiv berichtet, dass die AfD mit einer eigenen Liste für den Ausländerbeirat kandidieren würde. Spitzenkandidatin der »Konservativen Liste« war die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, die neben der deutschen auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt. Die AfD hatte in der Vergangenheit mehrfach erfolglos beantragt, den Kreisausländerbeirat abzuschaffen oder zu verkleinern.
Der Kreiswahlausschuss hatte die »Konservative Liste« erst zugelassen. Nach einem Einspruch van Slobbes wurde dies widerrufen. Auch als Karl-Heinz Reitz (AfD), die Vertrauensperson der »Konservativen Liste«, dagegen Einspruch einlegte, blieb der Kreiswahlausschuss bei der Entscheidung.
Um welchen Formfehler geht es? Einer der beiden Versammlungsteilnehmer, die gemeinsam mit dem Versammlungsleiter und dem Schriftführer an Eides statt die Rechtmäßigkeit der Listenaufstellung bestätigen müssen, war als Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft bei der Ausländerbeiratswahl gar nicht stimmberechtigt. Zwei weitere Listen hatten den gleichen Fehler begangen, wurden aber zugelassen. Reitz wandte sich mit einem Eilantrag an das Verwaltungsgericht, doch eine gerichtliche Überprüfung während des Wahlverfahrens ist gesetzlich nicht vorgesehen.
Gutachten und Gegengutachten
Also wurde der Beirat gewählt und konstituierte sich im April 2021. Da Cotar und der Zweitplatzierte auf der »Konservativen Liste«, Mirko Krampl, vom Kreistag forderten, die Wahl für ungültig zu erklären, wurde ein Wahlprüfungsausschuss eingesetzt. Dieser holte bei dem Gießener Juristen Professor Steffen Augsberg ein Gutachten ein. Ergebnis: Die »Konservative Liste« hätte nicht ausgeschlossen werden dürfen. Ein weiteres Gutachten des Rechtsanwalts Gerhard Bennemann, das van Slobbe in Auftrag geben hatte, kam zu einer gegenteiligen Einschätzung. Der Wahlprüfungsausschuss und auch der Kreistag stellten sich hinter Augsbergs Gutachten und erklärten die Wahl des Kreisausländerbeirat mit deutlicher Mehrheit für ungültig. Daraufhin wurde van Slobbe vom Kreisausländerbeirat damit beauftragt, gegen die Entscheidung des Kreistages zu klagen.
Im Mittelpunkt der rund einstündigen Verhandlung stand die Frage, ob durch die Entscheidung, zwei Listen zuzulassen und eine nicht, eine Ungerechtigkeit entstanden ist. Wack und sein Richterkollege Peter Schirra machten mit ihren Äußerungen schnell klar, dass sie dies so sehen. Zweimal wurde van Slobbe gefragt, ob er seine Klage aufrechterhalten wollte. Er bejahte und betonte, dass die zwei Listen, die keinen Fehler gemacht haben, bei einer Neuwahl des Gremiums benachteiligt seien. »Ja, keine Wahl ist wie die andere«, antwortete Wack. Aber der Kreisausländerbeirat sei möglicherweise falsch zusammengesetzt, weil die »Konservative Liste« nicht antreten durfte. »Eine Wahl sollte allen Bewerbern die gleichen Chancen bieten. Wenn gegen dieses Prinzip verstoßen wird, dann kann nur wiederholt werden«, betonte der Präsident des Verwaltungsgerichts.
Nachdem van Sloobe schlechtere Bedingungen für die Wähler bei einer Wiederholung beklagt hatte, machte Friederike Igler-Schmalor vom Rechtsamt des Landkreises als Rechtsbeistand des Kreistagsvorsitzenden Claus Spandau deutlich, dass es möglich sei, die Hauptsatzung zu ändern, um den Kreisausländerbeirat per Briefwahl bestimmen zu lassen.
Zur Frage, ob der Formfehler als solcher einzuschätzen sei, waren sich beide Seiten nicht einig. Der Gerichtspräsident sah das Problem als Appell an den Gesetzgeber, diesen Punkt klarer zu regeln.
In einer Urteilsbegründung verwies Wack auf die Ungerechtigkeit, die sich auf die Zusammensetzung des Ausländerbeirats ausgewirkt habe, Die »Konservative Liste« hätte nicht ausgeschlossen werden dürfen. Abschließend erklärte er mit Blick auf einen Facebook-Post des AfD-Kreisverbandes, dass der letzte Schriftsatz zum Verfahren vor knapp vier Wochen eingegangen sei. »Wie soll man da noch schneller entscheiden?« Die AfD hatte spekuliert, dass es in der Sache noch keine Entscheidung gebe, weil einzelne Richter der SPD nahe ständen.
»Wir haben das Urteil so erwartet und sind froh über die Klarheit«, erklärte Spandau. Nun warte man ab, ob es zu einer Berufung komme.
Diese Frage will van Slobbe mit seinen Beiratskollegen und dem Rechtsanwalt besprechen. Er habe auf ein anderes Urteil gehofft, aber es sei »eindeutig eine politische Sache«. »Jeden Stein, den man der rechtsextremen AfD in den Weg legen kann, sollte man legen.« Seine Stellvertreterin Melek Adigüzel beklagte die Ungerechtigkeit einer Wiederholung der Wahl für die zwei Listen, die keine Fehler gemacht haben.
Uwe Schulz, Bundestagsabgeordneter und Sprecher des AfD-Kreisverbandes, teilte schriftlich mit: »Die Rechtsstaatlichkeit hat heute gesiegt. Das Urteil ist für Tim van Slobbe, die Landrätin, den Kreiswahlleiter und all die Kreistagsabgeordneten, die bei der Abstimmung für die Gültigkeit gestimmt haben, nicht nur eine Klatsche, es ist ein Lehrwerk in Sachen Demokratieverständnis.« Joana Cotar sprach von einem »unwürdiges Schauspiel, das es nun zügig zu beenden gilt. Der Ausländerbeirat hat mit dieser Posse bewiesen, wie notwendig ein frischer, demokratischer Wind in diesem Gremium ist. Wir freuen uns auf die Neuwahl.«