Der "Demografieatlas" des Landkreises Gießen besagt, dass bis Ausnahme von Allendorf/Lda., Grünberg und Hungen alle Kommunen bis 2030 an Bevölkerung zulegen können.
Von vb
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KREIS GIESSEN - Im Landkreis Gießen ist fast alles im grünen Bereich. Die nebenstehende Grafik zeigt den demografischen Zukunftsindex für alle Stadt- und Ortsteile - bezogen auf 2030. Grün ist gut, rot ist es nicht. Bei der Frage, wie die Aussichten sind, spielt nicht nur die Bevölkerungsentwicklung eine Rolle. Die Zahl der Bürger im Landkreis Gießen wuchs in den vergangenen Jahren fast überall und so soll es auch bis 2030 bleiben. "Diese in vielen Teilen sehr positiven Ergebnisse sind kein Anlass, sich zurückzulehnen", bilanzierte Landrätin Anita Schneider, die mit Dr. Julien Neubert den "Demografieatlas" vorstellte.
Neubert ist der Demografiebeauftragte des Landkreises, eine neue Stelle, auf die sich die Koalitionspartner SPD, Freie Wähler und Grüne nach der Kommunalwahl verständigt hatten. Der Atlas ist Teil eines Gesamtkonzeptes mit dem Namen "Demografiemonitoring", das neben der Prognose der Bevölkerungsentwicklung und dem Zukunftsindex auch noch einen Armutsbericht, die Gemeinwesenarbeit (Pilotprojekte gibt es in Lollar und Laubach) und weitere Projekte in Themenbereichen wie Gesundheit oder Arbeit umfasst. Und warum das alles? "Wir brauchen die Daten, um daraus Handlungsanweisungen zu gewinnen und zukunftsfähige Politik zu machen", so Schneider.
Die Politik und deren Effekte betrifft im Landkreis Gießen immer mehr Menschen. Ende 2017 waren es 275 824 Kreisbürger, über 10 000 mehr als Ende 2016 und über 22 000 mehr als 2012. Damit hat sich der Landkreis Gießen deutlich von den Nachbarn in Lahn-Dill und Marburg-Biedenkopf abgesetzt, die Ende 2016 auf rund 254 000 beziehungsweise rund 245 000 kamen. Zwischen 2012 und 2016 hat es in allen Kreiskommunen Bevölkerungszuwachs gegeben - außer in Allendorf/Lda., Buseck und Hungen. Schaut man sich den 228-seitigen Demografieatlas genauer an, entdeckt man ein differenzierteres Bild. So gab es in der Kernstadt Allendorf und in Climbach einen Bevölkerungszuwachs, in Winnen wurden mehr Geburten als Todesfälle registriert. Mit seinem Werk beleuchtet Neubert nicht nur die reine Bevölkerungsentwicklung, sondern schaut auf Details. Wie ist das Verhältnis von Geburten zu Sterbefällen? Wie ist die Zuwanderung von bestimmten Altersgruppen wie Jugendlichen in Ausbildung oder Senioren? Der Atlas gibt dazu für jede Stadt und Gemeinde im Kreis Auskunft.
Neubert verwies darauf, dass der "demografische Wandel" ein eher negativ besetzter Begriff sei. Mit dem Monitoring wolle man in der Breite zeigen, dass der Wandel nicht nur negativ sei. Für seinen Index spielen wie beschrieben nicht nur die Bevölkerungszahlen eine Rolle. Auch das bürgerschaftliche Engagement in Vereinen, der offensichtliche Leerstand bei Gebäuden und die Fahrzeiten zum Oberzentrum Gießen werden berücksichtigt.
Zu seiner Bevölkerungsprognose betonte Neubert, dass es sich nicht um eine Prophezeiung handele, sondern um eine "wenn-dann-Aussage". Er führte Gespräche mit den Kreis-Bürgermeistern und Verwaltungsmitarbeitern, um die Zahlen der Jahre 2012 bis 2016 zu plausibilisieren. Dabei ging es auch um die Frage, welches von fünf Szenarien für die künftige Entwicklung für am wahrscheinlichsten gehalten wird. Das eine Extrem ist, dass erwartet wird, dass die Entwicklung wie in den Jahren 2012 bis 2016 weitergeht. Das andere Extrem besagt, dass jährlich zehn Prozent weniger in eine Kommune ziehen. Auch künftige Baugebiete, der Leerstand und Standortvorteile wurden berücksichtigt,
Unter dem Strich wird damit gerechnet, dass die Bevölkerung des Landkreises Gießen bis 2030 um 5,27 Prozent auf 288 364 Personen wächst. Mit Ausnahme von Allendorf/Lda. (minus 6,8 Prozent), Grünberg (minus 2,65 Prozent) und Hungen (minus 0,18 Prozent) wird überall ein Zuwachs angenommen. Dieser soll in Pohlheim mit 10,77 Prozent am höchsten ausfallen, für Gießen wird mit einem Plus von 9,56 Prozent gerechnet. Pohlheim hätte dann rund 21 000 Einwohner, die Universitätsstadt rund 94 000.
Zu Hungen meinte die Landrätin, dass die Schäferstadt von einer Reaktivierung der Horlofftalbahn sehr profitieren würde. Mobilität sei ein wichtiger Faktor bei der Zukunftsfähigkeit. Auch Lich, das ohnehin eine positive Prognose hat, werde von der Bahn profitieren. Dies gelte gleichermaßen bei einer Reaktivierung der Lumdatalbahn.
Anita Schneider erinnerte an die Wohnraumanalyse, die auch den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum am Jahr 2030 ausrichtete. Außerdem verwies sie auf Aktivitäten, den Landkreis als Wohnort attraktiver zu machen, wie den flächendeckenden Ausbau des Breitband-Internets und die Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Der Atlas soll am Donnerstag im Kreistagsausschuss für Infrastruktur, Umwelt und Energie vorgestellt werden und soll den Kreispolitikern als Grundlage für die weitere Arbeit dienen.
Auf die Frage, ob bei der Erstellung des Atlas etwas ganz Besonderes aufgefallen sei, berichtete Neubert vom Grünberger Stadtteil Queckborn mit einem hohen Anteil von unter 18-Jährigen. Die Erklärung sei die Christliche Brüdergemeinde, zu der große Familien mit vielen Kinder zählten, erklärte der Demografiebeauftragte.