Die deutsch-französische Gesellschaft geht auf die Wetzlarerin Elsie Kühn-Leitz zurück. Der "Garant für Frieden in Europa" arbeitet seit über 60 Jahren für die Völkerverständigung.
Von Klaus J. Frahm
Gelebter Austausch: Aus Wetzlars Partnerstadt Avignon kam zum Hessentag 2012 auch ein Ehepaar in Tracht aus Arles. Foto: Wabitsch/ dpa
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WETZLAR/GIESSEN/AVIGNON - Nach dem Zweiten Weltkrieg standen die Menschen in Deutschland voller Entsetzen vor einem Scherbenhaufen, den sie in nationalistischer Verblendung angerichtet hatten. Alle Nachbarstaaten hatten die Deutschen mit einem verheerenden Krieg überzogen, die Gräueltaten, die sie begangen hatten, waren unerträglich. Jungen Menschen in ganz Europa war klar, dass sich so etwas nie wieder ereignen dürfe und dass die Völker sich freundschaftlich verbinden müssten.
In Wetzlar lebte Elsie Kühn-Leitz, Tochter des Industriellen Ernst Leitz und dessen Ehefrau Elsie. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Juristin hatte sich in der Nazizeit gegen die inhumane Behandlung von Zwangsarbeitern und bei der Fluchthilfe für eine Jüdin eingesetzt und hatte dafür sechs Wochen in Gestapohaft in Frankfurt verbüßt.
Nach der Kapitulation setzte sich Elsie Kühn-Leitz für den Wiederaufbau und die kulturelle Restauration Deutschlands ein. Dem Wetzlarer Dom spendete die Industriellentochter die Erneuerung des im Krieg zerbombten Daches unter der Bedingung, dass der Lättner, der den katholischen und den protestantischen Bereich der Kirche trennte, nicht wieder errichtet wurde.
HINTERGRUND
Die deutsch-französische Gesellschaft mit Sitz in Wetzlar möchte die Freundschaft zwischen Franzosen und Deutschen fördern und vertiefen. Mit Reisen in das Nachbarland und Kulturveranstaltungen mit französischen Künstlern in Deutschland und deutschen Künstlern in Frankreich fördert die dfg das Verständnis der Bürger der beiden Länder füreinander und knüpft Kontakte.
Elsie Kühn-Leitz war befreundet mit Albert Schweitzer und dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer. 1954 bat Adenauer die Wetzlarerin, sich für die Völkerfreundschaft zwischen Deutschland und Frankreich zu engagieren. Zusammen mit einigen Gleichgesinnten gründete Elsie Kühn- Leitz 1955 die deutsch-französische Gesellschaft Wetzlar (dfG), deren Präsidentin sie für viele Jahre wurde.
Die dfG organisierte Reisen nach Frankreich, lud französische Reisegruppen nach Wetzlar ein, organisierte Schüleraustausch und kulturelle Begegnungen.
Mehr als 60 Jahre engagieren sich die Mitglieder der dfG inzwischen für die Freundschaft zwischen den beiden ehemaligen "Erbfeinden" Deutschland und Frankreich. Viele enge Freundschaften zwischen Bürgern beider Nationen bis hin zu Eheschließungen sind mittlerweile entstanden.
In Wetzlar begann die dfG sofort, sich um eine Städtepartnerschaft mit Avignon zu bemühen, was erst 1960 Realität wurde, da Avignons Bürgermeister Eduard Daladier viele negative Erfahrungen mit dem Hitlerregime gemacht hatte und eine Verbrüderung mit dem früheren Feind ablehnte. Elsie Kühn-Leitz nahm trotzdem Kontakt mit dem "Mouvement Européen" in Avignon auf und nach der französischen Kommunalwahl 1959 machte ein Machtwechsel den Weg frei für die Städtepartnerschaft mit Wetzlar.
Am 24. April 1960 wurde die Partnerschaft im Festsaal des Rathauses von Avignon besiegelt. Avignon beging die Gründung mit einem dreitägigen Volksfest, zu dem Orchester aus beiden Städten auf öffentlichen Plätzen Konzerte gaben. Elsie Kühn-Leitz hatte eine Foto-Ausstellung mit Wetzlarer Motiven mit nach Avignon gebracht und bezeichnete in ihrer Festrede die dfG als Grundstein von Europa.
Eine andere Initiative Elsie Kühn- Leitz' führte schneller zum Erfolg. Vom 26. bis 30. Juni 1957 gastierten auf Einladung der Wetzlarer und der Marburger deutsch-französischen Gesellschaften Vertreter von 26 deutsch- französischen Gesellschaften in Wetzlar, um über eine Zusammenarbeit und eine Vereinigung zu beraten. 21 von ihnen unterzeichneten am 27. Juni das Gründungsprotokoll des Arbeitskreises, aus dem die Vereinigung wenige Jahre später hervor ging.
Am Ort der Gründungsversammlung, der Villa Friedwart in Wetzlar feierten Vertreter der deutschen Vereinigung und ihres französischen Partnervereins der Fédération des Associations Franco- Allemandes pour l'Europe (FAFA) das 60-jährige Jubiläum, den langen gemeinsamen Weg der Organisationen und die vielen Erfolge, die mit der Arbeit der Schwesterorganisationen verbunden sind. 350 Mitgliedsgesellschaften haben die beiden Organisationen mit zusammen mehr als 40 000 Mitgliedern. Eine Vereinigung der beiden Gesellschaften war bisher wegen des europäischen Vereinsrechts nicht möglich, soll nach dessen angekündigter Änderung aber umgehend erfolgen.
Ingolf Hoefer, seit vielen Jahren Vorsitzender der dfG und selbst mit einer Bretonin verheiratet, sieht in der Vereinigung einen Garanten für den Frieden in Europa und einen Motor für die europäische Vereinigung. Gerade in Zeiten größerer Europaskepsis sei ein Engagement der Europa- und Friedensfreunde in der dfG notwendig. Hoefer wurde für sein Engagement in der dfG zum "Chevalier dans l'Ordre des Palmes Académiques" geschlagen.
Der langjährige Direktor der Gesamtschule Hungen hatte seine Liebe zu Frankreich im Französischunterricht entdeckt, den er ab der neunten Klasse an der Wetzlarer Goetheschule belegte. Als Mitglied und späterer Präsident der deutsch-französischen Gesellschaft Wetzlar organisierte Hoefer schon früh Schüleraustausch und Studienreisen nach Frankreich. Auch an der Gründung mehrerer Städtepartnerschaften war der Wahl-Wetzlarer maßgeblich beteiligt. Die Mitglieder pflegen die Freundschaft nicht nur in geselligen Abenden, sondern gehen auch gern zusammen auf Reisen in das jeweilige Nachbarland.
Nach einer Reise in die Dordogne im vergangenen Jahr findet in diesem Jahr im Oktober eine neuntägige Studienreise in die Bretagne statt. Französischkenntnisse sind nicht erforderlich, da alle sprachkundigen Mitglieder der dfG gern als Dolmetscher zur Verfügung stehen.