Knabenchor "Laubacher Kantorei" vor 70 Jahren gegründet
Auf Einladung des Freundeskreises Laubacher Kantorei kommt der berühmte Windsbacher Knabenchor am 25. Mai. zu einem Konzert in die Laubacher Stadtkirche.
Von Heinz Gerhard Schuette
Der Vorstand, beginnend von oben links, besteht aus dem Ehrenpräsident Friedrich Graf zu Solms Laubach, Eberhard Riehm, Christian von Meltzer, Günther Schlosser und Ralf Leschhorn. Die Aufnahme oben zeigt einen Auftritt in Wiesbaden, unten rechts fröhliches Treiben im Schlafsaal im Schloss um 1957. Fotos: Freundeskreis/ Stender
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LAUBACH - In diesem Jahr jährt sich zum 70. Mal der Jahrestag der Gründung des Knabenchores "Laubacher Kantorei". Aus diesem Anlass kommen am Wochenende 24. bis 26. Mai die ehemaligen Singalumnen zusammen, um ein Wiedersehen zu feiern. Im Mittelpunkt steht das von Freundeskreis Laubacher Kantorei organisierte Konzert mit dem berühmten Windsbacher Knabenchor am 25. Mai.
Die Gründung der Laubacher Kantorei erfolgte 1949, wobei als Träger des Chores und des Alumnats - wie auch für die Paul-Gerhardt-Schule in Laubach - die Evangelische Kirche in Hessen-Nassau (EKHN) auftrat. Sie wollte einen Chor aufgebaut wissen, der ein hessisches und damit westliches Gegengewicht zu den ostdeutschen Knabenchören bilden sollte.
Bescheiden war der Beginn nach Ostern im gleichen Jahr in Räumlichkeiten des Laubacher Schlosses, die vom Grafen zu Solms-Laubach als Alumnat zur Verfügung gestellt wurden. Später erhielt es ein eigenes Gebäude am Ortsrand von Laubach, in dem gelernt, gespielt, musiziert und natürlich auch gesungen wurde. Es steht seit mehr als zwanzig Jahren leer, verkam zu einer Bauruine und über den Abriss und die Verwendung des Grundstückes wurde bereits lange gestritten.
KONZERT
. Aus Anlass des 70. Gründungsdatums des Knabenchores Laubacher Kantorei richtet der "Freundeskreis Laubacher Kantorei" in der Evangelischen Stadtkirche Laubach sein alljährliches Vesperkonzert aus - in diesem Jahr wird der Windsbacher Knabenchor gastieren. Eine derartige Veranstaltung wird sich vermutlich nicht so rasch wiederholen und hält, so hofft der Freundeskreis Laubacher Kantorei, "die Erinnerung daran wachzuhalten, dass ihre Stadt in diesem besonderen musikalischen Segment vor nicht allzu langer Zeit, durch die Konzerttätigkeit "ihrer" Kantorei in Deutschland, auch der ehemaligen DDR, und dem benachbarten Ausland mit Interesse, und manchmal auch etwas Neid, wahrgenommen wurde. Insoweit haben wir uns auch immer in einer gewissen Verpflichtung gegenüber der Bevölkerung der Stadt gesehen, die uns in unserer Jugend aufgenommen und den sozialen Rahmen für unsere ganz persönliche Entwicklung mit bereitgestellt hat."
. Das Konzert beginnt um 17 Uhr in der Evangelischen Stadtkirche zu Laubach. Karten gibt es im Internet über die Seite reservix.de oder im Laubacher Reisebüro, Obergasse 4 (Telefon 06405/ 90083).
. Weitere Informationen im Internet unter www.singalumnat.de oder www.laubacher-kantorei.de
Das Alumnat ist eine heute noch gebräuchliche Bezeichnung für die mit Gymnasien verbundenen Schulheime und höheren Schul- und Erziehungsanstalten sowie für Priesterseminare, die aus den mittelalterlichen Klosterschulen hervorgegangen sind. Die ältesten Alumnate sind in ehemaligen Klosteranlagen in der Reformationszeit entstanden. Der Chor firmierte zunächst unter dem etwas sperrigen Namen "Chor des Singalnumnats der kirchlichen Paul-Gerhardt-Schule Laubach".
16 Sänger
Zu Beginn waren es 16 Sänger, zu denen Friedrich zu Solms-Laubach gehörte, ein Sohn des Laubacher Grafen, der heute Ehrenpräsident des Vereins ist. Betreut wurden die ersten jungen Alumnen und Choristen von dem aus Garbenheim stammenden Adolf Wieber und seiner Frau, der als Kantor und Organist aus Wittenberg kam. Er kannte Laubach, war dort zur Schule gegangen und hatte in der Laubacher Stadtkirche die Orgel gespielt. Aus dieser Zeit stammte wohl auch die Freundschaft mit dem Grafen. Als Stimmbildnerin wirkte die Altistin Annelotte Sieber, die mit zwei Töchtern ebenfalls im Schloss wohnte.
Da es außer dem Ehepaar keine weiteren Aufsichtspersonen gab, wurde aus den Reihen der Schüler zunächst ein Chor- und Ordnungspräfekt ernannt, der für die Einhaltung der Hausordnung und die Durchführung von Chorproben und damit zur Entlastung der Familie Wieber beitrug. Der Alumnatspreis betrug zunächst 100 DM monatlich, wovon sämtliche Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie andere anfallende Kosten bestritten werden mussten. Oft konnte es fast nur für Verpflegung genutzt werden, da der Graf die Räume im Schloss unentgeltlich zur Verfügung stellte, selbst Strom, Wasser und Kohlen für die Öfen zahlte er sehr häufig. So musste nur noch für die spartanische Möblierung gesorgt werden.
Einige Alumnen, deren Familien den Preis nicht aufbringen konnten, bekamen von der EKHN Voll- oder Teilstipendien. Bereits am ersten Sonntag nach Schuljahresbeginn sang der Chor im Gottesdienst in der Stadtkirche Laubach das "Wie lieblich ist der Maien" einstimmig acapella. Es folgten Konzerte in der näheren Umgebung, meist auf Einladung durch Kirchengemeinden oder Kulturvereinigungen, manchmal auch gemeinsam mit dem 40-stimmigen Schlosschor Laubach. Festgehalten ist ein Auftritt in Homberg/Ohm am 11. November 1949, zu dem mit einem Post-Bus gefahren wurde. Da die Konzerte mit der Maßgabe "Keinerlei Unkosten für uns" von Wieber zugesagt wurden, wurden die veranstaltenden Gemeinden gebeten, für einen Imbiss zu sorgen und "eventuell eine kleine Notenbeihilfe" zu leisten.
Bis 1950 wuchs der Chor auf 40 Sänger an. Schon in diesem Jahr wurde neben den Konzerten an Wochenenden in der näheren und weiteren Umgebung die erste längere Konzertreise durchgeführt, die nach Süddeutschland führte.
Etwa in 1951 wurde der Name des Chors in Laubacher Kantorei geändert. Bereits 1953 führten Konzertreisen ins Ausland, nach Dänemark und Schweden. Seit 1950 war die Laubacher Kantorei häufig im Radio, vor allem im Hessischen Rundfunk, zu hören. 1951 vertrat sie den Dresdner Kreuzchor, dessen Reiseerlaubnis aus der DDR nach Westdeutschland kurzfristig widerrufen worden war, mit großem Erfolg. 1956 nahm der Chor mit Karl Ristenpart drei Schallplatten mit Bachkantaten auf. Neben vielen Konzerten und Konzertreisen mit A-capella-Chorwerken wurden auch das Weihnachtsoratorium, die Johannespassion und die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach aufgeführt. Bis 1961 stieg die Zahl der Sänger auf über 60.
Zu Ostern 1961 ging Adolf Wieber in den Ruhestand, er wurde abgelöst von Georg Goebel, der vorher den Lübecker Knabenchor gegründet und geleitet hatte. Gleichzeitig zog der Chor in das neugebaute, moderne Alumnatsgebäude an den nördlichen Rand Laubachs am Ramsberg um. Unter der Leitung von Goebel erreichte der Chor seine Maximalgröße von über 70 Knaben und jungen Männern und ein Niveau, das den Vergleich mit den Traditionschören in Dresden und Leipzig nicht zu scheuen brauchte. 1964 eröffnete die Laubacher Kantorei die Händelfestspiele in Göttingen (Leitung: Günther Weißenborn). In den Jahren 1966 und 1968 wurden mehrere Schallplatten eingesungen, die von der Firma Kantate veröffentlicht wurden. Die alljährlichen Konzertreisen führten unter anderem nach Nord- und Süddeutschland, nach Belgien und in das Elsass.
Ab 1963 sang die Kantorei jeweils am zweiten Samstag im Monat in der Frankfurter Dreikönigskirche eine musikalische Vesper, in der jeweils auch Professor Helmut Walcha mitwirkte. Georg Goebel ging 1971 in den Ruhestand und wurde von Hans-Michael Beuerle abgelöst, mit dem die Kantorei das Requiem d-Moll von Anton Bruckner für die Schallplatte einspielte. Er gab schon 1972 die Leitung des Chors an Dieter Kurz ab und übernahm später Professuren an der Karlsruher Musikhochschule und der Musikhochschule Freiburg. Er war bis zu seinem Tod 2015 künstlerischer Leiter des Freiburger Bachchors. Auf Dieter Kurz folgte Heinz Rudolf Meier, der bis 1979 wirkte und danach die Leitung der Wuppertaler Kurrende übernahm. Mit ihm veröffentlichte und verlegte die Laubacher Kantorei die Schallplatte "Choralmusik aus vier Jahrhunderten". Der letzte Chorleiter war Konrad-Jürgen Kleinicke (1979-1981), der schon in den 1960er Jahren als Referendar den Chor kennenlernte. Er leitete vor, während und nach seiner Chorleiterzeit auch den Wiesbadener Knabenchor, für den er das Notenmaterial der Laubacher Kantorei übernahm.
Die Evangelische Kirche Hessen-Nassau schloss schließlich aus unterschiedlichen Gründen das Alumnat und den Chor im Jahr 1981. Der Freundeskreis ehemaliger Singalumnen ist aber noch sehr rührig, was die Organisation des Konzerts mit dem Windsbacher Knabenchor am 25. Mai unterstreicht. Die Chorleitung hat Martin Lehmann, die Orgel spielt Dekanatskantorin Anja Martiné.