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Noch keine »Hotspots«

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Die Brennhaare des Eichenprozessionsspinners können unangenehme Reaktionen bei Menschen auslösen. Symbolfoto: dpa © Red

Kreis Gießen . Hautausschlag, Juckreiz, Müdigkeit, Schwindel und im Extremfall auch Atemnot - wenn Menschen oder Tiere mit dem Eichenprozessionsspinner (EPS) in Berührung kommen, ist dies alles andere als angenehm. Auch ohne den sogenannten EPS überhaupt zu berühren, können diese Symptome auftreten. Warum das so ist, was man vorbeugend dagegen tun kann und woher der unscheinbare Nachtfalter seinen Namen hat, erklärt Jürgen Reibert, stellvertretender Forstamtsleiter (Forstamt Wettenberg) im Gespräch mit dem Gießener Anzeiger.

Seit wann ist der Eichenprozessionsspinner in Hessen ansässig?

Der EPS ist hauptsächlich in Süd- und Mitteleuropa heimisch, also auch bei uns. Er war schon immer hier und ist nicht eingeschleppt worden, wie einige vielleicht annehmen. Allerdings hat er sich in den letzten Jahren auffällig vermehrt. Mitte der 1990er Jahre konnte in Bayern bereits ein erheblicher Zuwachs beobachtet werden, seit gut zehn Jahren ist er auch verstärkt in Südhessen zu finden. Die Population wandert immer mehr Richtung Norden und ist ein Paradebeispiel für Massenvermehrung.

Woran liegt das?

Die Vermehrung des EPS wird wissenschaftlich untersucht. Fest steht, dass der Klimawandel mit seinen langen Trockenperioden die Entwicklung auf jeden Fall begünstigt hat.

Woher hat der Falter seinen ungewöhnlichen Namen?

Das liegt daran, dass die Raupen häufig in Gruppen auftreten, die an eine Prozession erinnern. In der Regel legen die Falterweibchen ihre Eier in den oberen Teil aller Arten von Eichen ab. Nur in absoluten Ausnahmefällen wählen sie einen anderen Baum aus.

Worin liegt die Gefahr für andere Lebewesen?

Von April bis Juli machen die Raupen sechs verschiedene Entwicklungsstadien durch. Ab dem dritten Stadium - etwa im Mai - entwickeln sich rund um ihren Körper nur kleinste, 200 Mikrometer lange, fragile Brennhaare, die in ihrem Inneren den Eiweißstoff Thaumetopoein enthalten - einen Giftstoff, der sie vor Feinden schützen soll. Die Brennhärchen brechen leicht und werden durch Wind auf dem Holz des befallenen Baumes oder auf dem Boden verteilt. Da sie Widerhaken haben, können sie sich gut an Haut oder Kleidung fest- und das giftige Eiweiß freisetzen. Der Juckreiz, vor allem an Gesicht, Hals und Innenseiten der Unterarme, wo die menschliche Haut sehr dünn ist, setzt sofort ein. Zwar verpuppen sich die Raupen Ende Juni, allerdings können die giftigen Brennhaare in Gespinstnestern oder im Unterholz lange erhalten bleiben.

Was kann man dagegen tun?

Bei allergischen Reaktionen ist sofort ein Arzt aufzusuchen und diesem mitzuteilen, dass man im Wald war. Auf keinen Fall dürfen die Augen berührt werden. Ein direkter Kontakt kann zu einer Bindehautentzündung führen. Darüber hinaus sollte man gut duschen, Haare waschen und die Kleidung bei 60 Grad waschen.

Stellen die EPS auch für Hunde eine Gefahr dar?

Hunde reagieren mit Schwellungen an Nase und Maul. In diesem Falle ist umgehend ein Tierarzt aufzusuchen. Das Gewebe an der Hundezunge kann absterben, wenn es nicht sofort behandelt wird.

Kann man Eichenprozessionsspinner bekämpfen?

Ja, aber das ist eine Sache für Profis mit luftdichtem Schutzanzug und Atemmaske! Niemand sollte selbst versuchen, ihre Gespinste zu entfernen. Eine Möglichkeit ist, die Nester mit Schaum abzusaugen, eine andere, sogenannte Nematoden (Fadenwürmer) auszubringen, die ein Bakterium in den Darm der Raupe setzen, und sie auf diese Weise zum Absterben bringen. Chemische Mittel sollten wirklich nur im Extremfall zum Einsatz kommen, da sie auch anderen Insekten schaden. Ziel sollte immer sein, die Insektenvielfalt zu erhalten. Darüber hinaus kommt den natürlichen Feinden des EPS wie Käfern, beispielsweise dem Puppenräuber oder der Raupenfliege, Vögeln, hier sind vor allem der Kuckuck und der Wiedehopf zu nennen, sowie Fledermäusen eine wichtige Rolle zu. Die Lebensräume dieser Gegenspieler gilt es zu erhalten und zu erweitern. Wir als Hessen Forst begegnen dem EPS mit der Begründung und Entwicklung vitaler, möglichst mehrschichtiger Mischbestände.

Was raten Sie Spaziergängern?

Zunächst einmal: Keine Panik zu haben. Denn die Wahrscheinlichkeit, bei uns auf einen EPS zu treffen, ist eher gering, da noch keine Massenvermehrung zu beobachten ist. Auch sogenannte Hotspots gibt es bei uns nicht. Keiner der zehn Revierleiter, die zu unserem Forstamt gehören, hat in diesem Jahr eine Reaktion auf den Eichenprozessionsspinner gezeigt. Noch ist der Falter auch für unsere Bäume nicht bestandsbedrohend. Am häufigsten treten die Probleme mit den Brennhaaren des EPS von Mai bis September auf. In diesen Monaten rate ich dazu, lichte Eichenbestände und sonnige Waldränder sowie Parks, Alleen und Gärten mit Eichen zu meiden beziehungsweise mindestens zehn Meter Abstand zu diesen Bäumen zu halten. Massiv betroffene Wälder werden zum Schutz von Spaziergängern immer abgesperrt. Das ist in unseren Bereichen bislang noch nicht vorgekommen. Einen hundertprozentigen Schutz gibt es aber nicht.

Was ist zu tun, wenn man auf ein EPS-Gespinst stößt?

Wenn man den Verdacht hat, das Gespinst eines EPS im urbanen Umfeld entdeckt zu haben, sollte man dies sofort den zuständigen Ordnungsbehörden oder dem Gartenbauamt melden. Aus Erfahrung weiß ich, dass es sich bei den Meldungen nicht immer um das eines Eichenprozessionsspinners handelt. Wir haben schon öfters mal Anrufe von Menschen bekommen, die ein Gespinst im Garten entdeckt haben. Solche Nester können aber auch von der harmlosen Gespinstmotte oder dem Mondfleck sein. Zumeist konnten wir per Telefon klären, dass dies kein EPS-Nest war, da sowohl die Holzart als auch der Fraßzeitpunkt nicht zu dem Falter passten.

Niemand sollte aber in unseren Bereichen aus Angst vor dem EPS auf einen erholsamen Spaziergang im Wald verzichten. Foto: Reibert

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Jürgen Reibert © Petra A. Zielinski

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