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Noch länger kein Baustart

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Lindens Bürgermeister Jörg König und der Erste Stadtrat Harald Liebermann unterzeichnen den Vertrag mit dem Unternehmen Grekon 3 aus Lahnau, das das Großbauprojekt am Bahnhof realisieren wird. Foto: Wißner © Wißner

Eines der umstrittensten Großprojekte in Linden wurde nach vier Jahren auf den Weg gebracht.

Linden . Etwas zu schnell war Lindens Bürgermeister Jörg König (CDU) an diesem besonderen Dienstag in der Stadthalle. Er wollte bereits den Vertrag mit dem Lahnauer Unternehmen Grekon 3, das die vier Häuser am Bahnhof bauen möchte, unterschreiben, und bat dazu den projektverantwortlichen Gesellschafter Daniel Beitlich, der in den Zuschauerrängen saß, herunter. Doch der stellvertretende Stadtverordnetenvorsteher Dr. Christof Schütz (Grüne), der aufgrund der kurzfristigen Erkrankung von Fabian Wedemann auf dieser Position sein Debüt hatte, bremste ihn gleich.

Noch zwei Beschlüsse zum Projekt, das erstmals 2018 öffentlich wurde, standen in der Stadtverordnetenversammlung aus, bevor eines der umstrittensten Neubauprojekte in Linden endlich auf den Weg gebracht werden konnte.

Die SPD und Teile der Grünen stimmten zwar gegen die Umsetzung, doch letztlich war eine breite Mehrheit für den städtebaulichen Vertrag und die zugehörige abschließende Bauleitplanung. Nur noch eine Handvoll Kritiker aus der Sudetenstraße, in der unterhalb in eine Böschung hinein gebaut wird, waren gekommen.

Nach der Entscheidung zeigten sich zwei Vertreter von Organisationen als Zaungäste enttäuscht. Patrik Jakob vom Verkehrsclub Deutschland befürchtet, dass mit der Dimension des Baus in der Tiefe ein drittes oder viertes Bahngleis in diesem Bereich nicht mehr errichtet werden kann. Und Karl-Heinz Frank vom Nabu Linden denkt, dass dem Naturschutz damit ein Bärendienst erwiesen werde, weil ein Teil des grünen Bandes durch die Stadt entfalle und Tieren Lebensräume genommen würden. »Unmöglich«, meint er.

Grekon 3 hatte bereits veranlasst, dass Arten wie die Haselmaus umgesiedelt worden waren, was von der SPD-Fraktionsvorsitzenden Gudrun Lang (SPD) und zuvor schon außerhalb des Parlaments von der Bürgerinitiative »Grüne Sudetenstraße« kritisiert wurde. Es seien bereits vor der eigentlichen politischen Entscheidung Tatsachen geschaffen worden.

Umsetzung »in aller Ruhe«

Der zuständige Architekt Felix Feldmann erklärte im Nachgang, dass Grekon 3 schon im Frühjahr Haselmäuse, die Winterschlaf hielten, in andere Habitate überführen wollte, doch wegen der Kritik aufgehört habe. Es würden jetzt zunächst »in aller Ruhe« die zugesagten Prozessschritte vorgenommen, betonte er. Einen Termin für den Baustart konnte er nicht nennen. Grekon 3 will an der Stelle 25 Millionen Euro investieren.

Aus den Reihen der Stadtverordneten, die gegen das Projekt sind, wurde am Dienstag gerügt, dass der städtebauliche Vertrag bis zum Dienstagnachmittag noch verändert worden ist. Die SPD um Lang beantragte daher zunächst, die Punkte zum Projekt abzusetzen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Der seitens der Stadt beauftragte Rechtsanwalt Christopher Nübel und Bürgermeister Jörg König versicherten, dass es lediglich allgemeine Korrekturen gegeben und der bereits in den Ausschüssen empfohlene Passus zum sozialen Wohnungsbau Eingang gefunden habe. 30 Sozialwohnungen sollen unter den 120 vorgesehenen Wohnungen entstehen.

Die Lindener Sozialdemokraten kritisieren, dass das Projekt gravierend in die Ziele des Integrierten Stadtentwicklungskonzepts (Isek) Linden 2036 eingreife, bevor man noch mit dessen Umsetzung begonnen habe. Ein Stufenplan zum Isek wurde am Dienstagabend beschlossen.

Gegen Isek-Planung

Ein Bauvorhaben dieser Dimension mit etwa 120 Wohneinheiten auf knapp 300 Metern Gesamtlänge einfach durchzuwinken, halte die Lindener SPD für »fatal«. Bisher fehlten in der Stadt eine Wohnflächenbedarfsanalyse sowie Rahmenpläne für Grün- sowie Freiflächen, wie wertig diese seien und wie sie zukünftig aussehen sollten. Bei einer Umsetzung des Projekts würden Aspekte der Isek-Planung konterkariert.

Die Sozialdemokraten wollten zuletzt alle städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen, dazu hätte das Grekon 3-Projekt gezählt, noch einmal aussetzen lassen, aber im Gegenzug das Isek seitens der Stadtverwaltung schneller voranbringen. Damit konnte sich die SPD natürlich nicht durchsetzen. Für die Gestaltung der Zukunft der Stadt Linden stehe kein Personal zur Verfügung, stellte Lang fest, so spare die Mehrheit. »Linden überlässt die städtebauliche Entwicklung lieber privaten, am Profit orientierten Investoren, statt diese, wie mit dem Isek beabsichtigt, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern zu gestalten.«

Nicht zuletzt den drei- oder vierspurigen Ausbau der Main-Weser-Bahnlinie habe die Parlamentsmehrheit jetzt torpediert. Es sei nicht Aufgabe der Stadt Linden, eine Flächenbevorratung für die Bahn zu betreiben, habe es seitens der Projektbefürworter geheißen. Ein neuer Bundesverkehrswegeplan werde allerdings schon vorbereitet. Das von den Befürwortern des Projektes abwertend als Industriebrache bezeichnete Gelände sei außerdem, wie den offiziellen Untersuchungsergebnissen zu entnehmen sei, ein ökologisch wertvoller Bereich mit hoher Biodiversität.

Katrin von der Decken (Grüne) stellte zwischendurch die Frage, wie es auf der Ostseite des Bahnhofs mit dem Platz für ein viertes Gleis aussehen würde, zumal dort auch ein privater Neubau vorgesehen sei. Ihr entgegnete König, dass bereits das Bahnhofsgebäude auf der Westseite eine Einengung bedeute. Von Ausbauplänen der Bahn wisse er nichts. Altenheimer ergänzte, dass sich ein weiterer vorgesehener privater Mehrfamilienhaus-Neubau auf der östlichen Seite gar nicht gegenüber dem Grekon 3-Projekt befinde, sondern weiter südlich.

»Bahn will weitere Gleise nicht«

Altenheimer sprach von einem »Grundmissverständnis« der vergangenen Tage in der Gleisdiskussion. »Es wird hier nichts verschmälert, was nicht bereits verschmälert ist.«

Die Bahn habe sich für den vierspurigen Ausbau bis Friedberg entschieden. Die Strecke von Hungen nach Wölfersheim sei wiederbelebt und nehme ein Stück Druck weg. Schon lange sei vom viergleisigen Ausbau auf der Main-Weser-Bahn Abstand genommen worden. VCD und ProBahn würden aus nachvollziehbaren Gründen anderer Auffassung sein, aber die Bahn habe deutlich gemacht, dass es auf Jahre gesehen kein drittes Gleis, geschweige denn ein viertes gebe. »Die Bahn will das nicht.« Deshalb sei es nicht sinnvoll, das Projekt zu schieben.

Lediglich der barrierefreie Ausbau des Bahnhofs komme 2029, habe die Bahn neulich avisiert.

Von der Decken erwiderte für die Grünen allerdings: »Wir stehen alle in der Verantwortung, und wir sind für die Änderung des Mobilitätssystems. Wir sollten nicht ohne Weiteres etwas in den Weg stellen, weil anderes im Weg steht.«

Grüne nicht einer Meinung

Dr. Christof Schütz begründete das unterschiedliche Abstimmungsverhalten innerhalb seiner Fraktion. Er sprach von Zielkonflikten, die nicht einfach aufzulösen seien. Es würden 120 Wohnungen entstehen, die Haselmaus aber ihr Refugium verlieren. Es gebe Wachstumskritik, aber Krisen in der Welt, die Geflüchtete nach Deutschland spülen. Es fehle Wohnraum, und die Innenverdichtung am Bahnhof habe weitere Vorteile: »Wie viele Hühnerhäuser müssen wir dafür »Nördlich Breiter Weg bauen«?«

Der Vorsitzende der Grünen sprach zudem die Verkehrsvermeidung an, weil viele Bewohner gleich nebenan die Bahn nutzen könnten. Die 30 Sozialwohnungen mit 20 Jahre Preisbindung seien »der Knaller.« Wenn die Bauten gefüllt seien, stelle sich allerdings die Frage nach Kindergartenplätzen, die schon heute rar in Linden seien. Als ökologische Partei habe man keinen KfW40+-, nur den KfW 40-Standard durchsetzen können.

Schütz betonte: »In 16 Jahren haben wir noch nie wie hier mit einer Entscheidung gerungen, eine Position zum Projekt zu finden. Das ging allen Grünen so.« Er zollte dem Investor Respekt. Trotz aller emotionaler Begegnungen habe dieser sachlich und flexibel gehandelt. Natürlich wollen die Geld verdienen. Ganz sicher bin ich mir nicht, ob wir alles ausgelotet haben.«

Nachdem alle Beschlüsse zum Projekt positiv gefasst wurden, meinte Schütz in seiner Vertretungsfunktion als Stadtverordnetenvorsteher. »Wir haben jetzt ein großes Projekt auf den Weg gebracht.« Dazu gab es Applaus.

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