Opposition vom Haushalt nicht überzeugt

Nur die Koalition im Kreistag stimmt für den Etat 2023. Dieser hat ein Defizit von knapp 3,4 Millionen Euro, nachdem die Kreisumlage gesenkt wurde.
Kreis Gießen. So unterschiedlich kann man Dinge sehen: FW-Fraktionsvorsitzender Kurt Hillgärtner sprach von einem »soliden und zukunftsweisenden Haushalt«. Seine Kollegin von den Grünen, Kerstin Gromes, betonte, dass das Zahlenwerk für eine »nachhaltige und durchdachte Entwicklung des Landkreises« stehe. Ganz anders die Einschätzung der SPD-Fraktionsvorsitzenden Sabine Scheele-Brenne. Sie ging in einer angriffslustigen Rede mit der Koalition hart ins Gericht. Es gebe viele Gründe, den Haushalt abzulehnen, kündigte sie an. Für das Zahlenwerk stimmten schließlich die Koalitionsfraktionen von CDU. Grünen und Freien Wählern. Nein-Stimmen kamen von der SPD, der AfD und der »Gießener Linken«, während sich die FDP und »Die Vraktion« enthielten.
Wichtigste Änderung gegenüber dem Entwurf ist, dass die Kreisumlage, die alle Städte und Gemeinden an den Landkreis zahlen müssen, um einen Prozentpunkt gesenkt wird. Dies war im Haupt- und Finanzausschuss einstimmig beschlossen und in den Etat eingearbeitet worden. Dieser hat somit ein Defizit von knapp 3,4 Millionen Euro. Das Minus kann aber mit Rücklagen der Vorjahre ausgeglichen werden.
Zwei Stunden und 22 Minuten Debatte
Kreistagsvorsitzender Claus Spandau (CDU) hatte zu Beginn ein zeitliches Horrorszenario an die Wand gemalt. Jeder der acht Fraktionen standen 40 Minuten Redezeit in der Haushaltsdebatte zu. Das hätte eine Gesamtzeit von fünf Stunden und 20 Minuten ergeben. Doch ganz so viel Redebedarf gab es nicht. Nach exakt zwei Stunden und 22 Minuten war alles abgestimmt und beschlossen.
FW-Fraktionsvorsitzender Kurt Hillgärtner ging als erster Redner auf die Auswirkungen des Ukraine-Krieges und der Inflation auf den Etat ein. Da die Steuereinnahmen mittelfristig sinken würden, müsse man sich »auf das Wesentliche konzentrieren«. Das aktuelle Defizit ließe sich durch die hohen Rücklagen ausgleichen, aber schnell sei diese Möglichkeit ausgereizt, warnte Hillgärtner. Er würdigte die Senkung der Kreisumlage und deutete weitere Schritte an. Die 65 neuen Planstellen spiegelten zwar den Zuwachs bei den Aufgaben des Landkreises wider. »So kann es aber in Zukunft nicht weitergehen, Das können wir uns nicht leisten.«
»Der Landkreis Gießen ist weiterhin neben Offenbach der soziale Brennpunkt in Hessen«, betonte Reinhard Hamel, der Fraktionsvorsitzende der »Gießener Linken«. Weiterhin gebe es einen zu hohen Flächenverbrauch und es würden zu wenig Sozialwohnungen gebaut. Aus Sicht von Hamel geht es bei der Koalition um die »Fortschreibung des Bisherigen« und nicht um den angekündigten Aufbruch. Lob gab es hingegen für die Pläne, sechs Häuser für die Unterbringung von Flüchtlingen bauen zu lassen, die später von den Kommunen zum Beispiel für Kinderbetreuung oder Wohnraum übernommen werden. Der Umgang mit der Wohnungsbauförderung sei hingegen ein »sozialer Skandal« und es zeige sich, dass der Verdacht, dass dort gekürzt werde, um das »Klimageld« zu finanzieren, richtig sei.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Kerstin Gromes, verteidigte das »Klimageld« als »Projekt mit Signalwirkung«, weil dadurch CO2 eingespart und der Energieverbrauch gesenkt würden. Das Programm sei »beispielhaft in der kommunalen Landschaft«. Auch die Erweiterung der Kompostierungsanlage in Geilshausen um eine Biogasvergärungsanlage sei ein »Projekt der Nachhaltigkeit«. Gromes zeigte sich froh über die Senkung der Kreisumlage. Angesichts der Kosten der Kinderbetreuung könnten die Kommunen jeden Euro gebrauchen. Abschließend würdigte sie das Engagement der Mitarbeiter in der Kreisverwaltung und den Einsatz der Ehrenamtler bei der Unterbringung der Flüchtlinge: »Darauf können wir stolz sein.«
»Sehr gut und vertrauensvoll«
Von einem »Signal der Stabilität und Zukunftsfähigkeit« sprach der CDU-Fraktionsvorsitzende Tobias Breidenbach. Mit dem Haushalt würden viele Dinge auf den Weg gebracht, die sich die Koalition vorgenommen habe. Die Senkung der Kreisumlage und der Kreisausgleichsstock, aus dem arme Kommunen 2024 Geld erhalten sollen, sorgten zusammen für eine Entlastung um acht Millionen Euro. Breidenbach betonte die »Rekordinvestitionen« in die Schulen. Die Biogasvergärungsanlage zeige den Unterschied zur alten Koalition, die über dieses Projekt nur geredet habe. Die Zusammenarbeit mit Grünen und Freien Wählern sei »sehr gut und vertrauensvoll«. Man streite »sehr intensiv« in der Sache, aber es gehe um die beste Lösung für den Landkreis. Der CDU-Fraktionsvorsitzende bezeichnete den Haushalt als »Zeichen der Verlässlichkeit, der Solidarität und des Aufbruchs«.
SPD-Fraktionsvorsitzende Sabine Scheele-Brenne wunderte sich darüber, warum die Koalition so lange für die Senkung der Kreisumlage gebraucht habe. Diese sei erst auf den Weg gebracht worden, »nachdem die Bürgermeister auf den Barrikaden waren«. Aus Sicht von Scheele-Brenne ist sich die Koalition nur darüber einig, »sich nicht gegenseitig in die Quere zu kommen«. Dass bei der Kreisstraße 394 »eine Chance für die Natur« vertan werde, habe die Grünen nicht gestört. Bei der Wohnbauförderung bediene man sich für das »Klimageld«, aber das innovative Klimaschutzkonzept fehle. Die SPD-Fraktionsvorsitzende rügte, dass bei Gesundheits- und Sozialpolitik »weitgehend Stillstand« herrsche. Die Koalition habe »kein gemeinsames Ziel über den Machterhalt hinaus«. Scheele-Brenne sprach mit Blick auf die Unterstützung der Tafeln von einem »peinlichen Spiel«. Die Mehrheit wolle nichts tun gegen die Armut und den Mangel an günstigen Wohnungen.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Harald Scherer forderte die Kommunen auf, die einsparte Kreisumlage in Form einer geringeren Grundsteuer an die Bürger weiterzugeben. Bei den Flüchtlingen sei es erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um Parallelstrukturen zu verhindern und die Menschen zu qualifizieren und zu integrieren. Scherer konstatierte, dass bei den festen Häusern für Geflüchtete »handwerkliche Fehler« gemacht worden seien, so dass weiteres Geld für die Übergangsunterkünfte erforderlich war. Kritisch sah der FDP-Fraktionschef die neuen Planstellen angesichts vieler unbesetzter Stellen in der Kreisverwaltung.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörn Bauer hielt es für erforderlich,dass sich das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde den Etat genau ansehe. Dieser stehe wegen der neuen Kredite und der steigenden Zinsbelastung »auf tönernenen Füßen«. Mit Bezug auf Klima- und Energiewende sprach er davon, dass die »grün-dominierte Koalition uns vor diverse Wände« fahre.
Für die laufende Verwaltung will der Landkreis 2023 knapp 493 Millionen Euro ausgeben. Es wird mit Einnahmen von rund 489 Millionen Euro gerechnet. Das ergibt ein Defizit von knapp 3,4 Millionen Euro. Dieses ist im Wesentlichen auf die beschlossene Senkung der Kreisumlage zurückzuführen, wodurch der Kreis auf knapp 4,2 Millionen Euro verzichtet. Als Kämmerer Stock den Etat vorgelegt hatte, gab es noch einen Überschuss von 1,3 Millionen Euro. Nach einer Änderungsliste des Kreisausschusses waren es noch 816 600 Euro plus. (vb)