Hattenröder "beerdigten" vor 100 Jahren ihre Öllampen am neuen Transformatorenhäuschen. Strom konnte man ab da einfach nur einschalten.
Von Willi Launspach
Diese Aufnahme des Gasthauses Rock entstand etwa 1910. Hier brannte über dem Tanzboden das erste elektrische Licht. Repro: Launspach
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HATTENROD - Zum Beginn des Jahres ist die Corona-Pandemie das alltägliche Thema. Es ist nicht nur die Angst vor der Ansteckungsgefahr, es sind auch die erheblichen Einschränkungen und Eingriffe im täglichen Leben. Leider sind alle Zeitzeugen aus den Jahren um 1921 bereits verstorben, denn dann könnten auch die über das Leben genau 100 Jahre zuvor, berichten.
Gustav Ernst Köhler schreibt in seiner Chronik "Die Geschichte von Hattenrod - ein Dorf in Mittelhessen": "Zu allem Unglück kommt 1918/19 noch eine grassierende Grippe-Epidemie, der besonders Kinder und alte Leute zum Opfer fallen". Die wichtigsten Lebensmittel sind immer noch kontingentiert. 1920 erhält jeder Erwachsene nicht mehr als 200 Gramm Brot, dabei steigen die Preise, denn die Mark wird immer wertloser. Brennstoffe wie Kohle war für viele unbezahlbar. Hinzu kam, dass 1920/21 ein sehr kalter Winter anstand.
Jedoch gab es auch Erfreuliches in dieser schlimmen Zeit. Vor genau hundert Jahren kam nun auch das elektrische Licht in das Dorf. Es bedeutete eine erhebliche Verbesserung des alltäglichen Lebens. In der Gastwirtschaft Rock (damals im Kuhtrieb, heute im Birkenweg) brannte das erste elektrische Licht über dem Tanzboden. Leider sind die Zeitzeugen schon lange verstorben, sonst hätten die noch einmal ihre Gefühle zum Ausdruck gebracht, die die Dorfbewohner über diese Neuerung empfanden, zumal kurz zuvor es auch eine zentrale Wasserversorgung gab. So muss die Freude besonders groß gewesen sein. Bisher gab es nur die Öllämpchen, die in der Dunkelheit für etwas Licht sorgten. Das Ereignis wurde mit einem Lichterfest ausgiebig gefeiert. Die Dorfbewohner gingen mit ihren Laternen zum neuen Transformatorenhäuschen, um diese dort, wie Köhler es beschreibt zu "beerdigen". Die beiden Nachbargemeinden Reiskirchen und Burkhardsfelden standen schon einige Jahre eher "unter Strom".
In Reiskirchen gab es seit 1913 elek-trisches Licht, Burkhardsfelden hatte bereits am 14. November 1911 einen Vorvertrag mit den Überlandwerken zur Stromversorgung abgeschlossen. Wo sich früher die Menschen an den langen Winterabenden um die Petroleumlampe setzten, da brannte nun die helle Glühbirne und spendete Licht, bei dem das Arbeiten, ob stricken oder vielleicht auch lesen, regelrecht eine Freude war. Strom kam ins Haus, man brauchte ihn nur einzuschalten. 1913 gab es sogar schon Straßenlampen und kurze Zeit später, nach Klärung der Kostenpflicht, auch Licht in den Schulsälen.
Vielleicht waren beide Dörfer eventuell auch Vorreiter dafür, dass 1921 in Hattenrod die Einführung des Stromes so reibungslos vonstatten ging. Jedenfalls konnte man das bei der zentralen Wasserleitung in Hattenrod 1909 keineswegs behaupten, gab es doch hier zunächst erheblichen Widerstand.
Wenn wir dann in die Gegenwart zurückkehren, dann stellen wir fest, dass genau hundert Jahre danach ein Leben ohne den Strom nicht denkbar wäre. Es sind nicht nur die vielen Haushaltsgeräte, die das Leben ohne die Elektrizität nicht möglich machten. Auch die neuen Medien, ebenso wie die Indus-trie und noch vieles andere hängen am Strom. Warum diese besondere Hervorhebung, mag mancher denken. Elektrizität ist doch selbstverständlich und gehört zum Alltag. Aber ist es nicht so, dass wir sehr schnell sehr ungeduldig werden, wenn heute der Strom nur für kurze Zeit abgestellt wird? Schlimmer ist es noch, wenn aus wenigen Stunden wegen einer Naturkatastrophe mehrere Tage werden. Manche ältere Bürger erinnern sich noch an die Zeit vor etwa acht Jahrzehnten, als während des Zweiten Weltkrieges der Strom oft abgestellt war. Das verstärkte sich noch gegen Ende des Krieges, als wegen der zunehmenden Luftangriffe Verdunklung angesagt war.
So ist diese Errungenschaft durchaus wert, ihr ein paar Gedanken zu widmen.