1. Startseite
  2. Kreis Gießen
  3. Kreis Gießen

»Starke Urteile für Reiskirchen«

Erstellt:

Von: Volker Böhm

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss zur Südumgehung abgewiesen. Ein Baubeginn ist aber weiterhin nicht abzusehen.

Reiskirchen. Die Pläne zum Bau der Südumgehung für Reiskirchen und Lindenstruth haben am Mittwoch eine große Hürde genommen. Der zweite Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) in Kassel hat den Planfeststellungsbeschluss - quasi die Baugenehmigung - bestätigt. Zwei Klagen wurden abgewiesen. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen können die Kläger beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Beschwerde einlegen.

»Ich freue mich riesig. Das sind starke Urteile für die Gemeinde Reiskirchen«, erklärte Bürgermeister Dietmar Kromm (parteilos) im Gespräch mit dem Anzeiger. Bei den Gegnern herrschte hingegen Enttäuschung. »Wir sind negativ überrascht« lautete der erste Kommentar von Wulf Hahn. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Marburger Fachagentur für Stadt-, Verkehrs-, Umwelt- und Landschaftsplanung »RegioConsult« und trat als Gutachter für die Kläger vor Gericht auf.

Der Planfeststellungsbeschluss für die seit Jahrzehnten diskutierte Ortsumgehung der Bundesstraße 49 wurde nach einem langjährigen Verfahren Ende 2016 von einem Staatssekretär im Wiesbadener Verkehrsministerium unterzeichnet. Wenige Monate später gingen die Klagen beim VGH ein. Der Landesverband des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und Carmen Grieb, die Inhaberin des »Sonnenhofs« bei Lindenstruth, forderten, den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben. Inhaltlich und finanziell stehen auch die Reiskirchener Grünen, die Naturfreunde Jossolleraue und der VCD-Kreisverband hinter den Klagen. Grüne und Naturfreunde gehörten 2009 zu den Initiatoren eines Bürgerentscheids gegen die Südumgehung, hatten damit aber keinen Erfolg.

In den fünfeinhalb Jahren seit Einreichen der Klage tat sich öffentlich wenig in Sachen »Südumgehung«. Die Kläger hatten zunächst eine Mediation beantragt, die aber scheiterte. Vor rund zwei Wochen fand schließlich die zweitägige mündliche Verhandlung in Kassel statt. Zusammengerechnet 13 Stunden beschäftigten sich das dreiköpfige hauptamtliche Richterteam und zwei Schöffinnen zusammen mit Gutachtern, Anwälten, der Vertreterin des Ministeriums, dem Bürgermeister und zahlreichen Fachleuten von Hessen Mobil und Planungsbüros mit allerlei Details der Planung. Es ging um den Schutz von zum Beispiel Fledermäusen und Zauneidechsen, aber auch um die Folgen der Südumgehung für den »Sonnenhof«. Carmen Grieb befürchtet, dass ihr Reiterhof durch die Ortsumgehung, die ihre bisherigen Flächen durchschneidet, in seiner Existenz gefährdet wird. Und es wurde ausführlich besprochen, ob Süd- und die von den Klägern bevorzugte Nordumgehung korrekt miteinander verglichen wurden.

Aus den Kommentaren und Fragen der Richter ließ sich nicht ablesen, in welche Richtung sie tendierten. Am Mittwochnachmittag wurden die Urteile verkündet und diese bedeuten auf der ganzen Linie einen Erfolg für das Land. Der zweite Senat hat keinerlei Veränderungen gefordert oder Auflagen erlassen.

Neue Konzepte für Artenschutz

Zur Begründung hat der Senat laut einer Pressemitteilung unter anderem ausgeführt, der Planfeststellungsbeschluss verstoße nicht gegen Vorschriften des Naturschutzrechts. Die naturschutzrechtlichen Betroffenheiten seien angemessen ermittelt und bewältigt worden. Ein Aspekt dabei: Während des ersten Verhandlungstages hatte die Ministerialrätin aus dem Verkehrsministerium zwei veränderte Artenschutzkonzepte zu Fledermäusen und Zauneidechsen vorgelegt und diese als Teil des Planfeststellungsbeschlusses für verbindlich erklärt.

Die Abwägungsentscheidung zugunsten der Südumgehung halte der gerichtlichen Kontrolle stand, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Der Planfeststellungsbeschluss erkenne an, dass die Nordumgehung wegen geringerer Eingriffe in Natur und Landschaft in umweltfachlicher Sicht Vorteile gegenüber der Südumgehung aufweise. Das Land als Planfeststellungsbehörde habe sich trotzdem rechtmäßig für die Südvariante entschieden. Es habe berücksichtigen dürfen, dass die gut einen Kilometer längere Nordvariante deutlich höhere Baukosten verursachen würde. Es wären neun statt fünf Brückenbauwerke erforderlich.

Auch mit ihren Einwänden gegen die Kostenabschätzung hatten die Kläger keinen Erfolg beim Senat. Das Land habe berechtigte Bedenken zu den vorgeschlagenen Einsparmöglichkeiten bei der Nordvariante vorgebracht. Diese könnte die beiden Ortsdurchfahrten ebenfalls gut entlasten. Doch das Land habe berücksichtigen dürfen, »dass die Südumgehung eine leistungsfähige Optimierung der Bundesstraße 49 als überörtliche Verkehrsachse gewährleiste und durch den Anschluss der Landesstraßen 3129 und 3355 eine attraktive Einbindung in das südliche Straßennetz biete«, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Der von den Klägern betonte Anschluss der Jahnstraße an die Nordumgehung führe hingegen zu keiner besseren Verkehrsentlastung der Ortslage von Reiskirchen. Bei der Abwägung sei schließlich korrekt berücksichtigt worden, dass die Nordumgehung die von der Gemeinde geplante Erweiterung der Gewerbe- und Wohngebiete im Norden Reiskirchens beeinträchtigen würde.

Die Fortführung des Reiterhofs sei trotz der Flächeninanspruchnahme von circa drei Hektar möglich, so die Einschätzung der Richter. Es könne Ersatzland angeboten werden. Bisher vorgeschlagene Flächen hatte Carmen Grieb allerdings abgelehnt. Landwirtschaftliche Flächen und Reitwege jenseits der Trasse könnten durch eine Unterführung erreicht werden. Wie die Inhaberin des »Sonnenhofs« für den Flächenverlust und sonstige mit der hofnahen Umgehungsstraße verbundene Beeinträchtigungen entschädigt wird, muss in einem gesonderten Verfahren geklärt werden.

Warum wurde keine Revision zugelassen? Martin Sander, Richter am VGH und Medienreferent, erklärte, dass dafür die gesetzlichen Voraussetzungen fehlten. Insbesondere habe die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Sobald das Urteil schriftlich vorliegt, kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision innerhalb eines Monats beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht werden.

Bis zur schriftlichen Urteilsbegründung wird laut Sander angesichts des umfangreichen Prozessstoffs »noch einige Zeit« vergehen.

Auch interessant