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Traditionspraxis schließt

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Ursula Körner, Yvonne Gold, Anne Textor und Katja Wehrend. (v.l.). Foto: Berns © Berns

Hüttenberg (jeb). Die tierärztliche Versorgung in Hüttenberg ist eigentlich recht gut. Laut Angaben der Landestierärztekammer gibt es in der Gemeinde sechs Tierarztpraxen, drei davon mit dem Schwerpunkt Chiropraktik beziehungsweise Rehabilitationsmedizin. Ab November gibt es jedoch nur noch fünf. Die Praxis Gold & Körner im Ortsteil Rechtenbach schließt.

Ein Nachfolger konnte nicht gefunden werden. Zeichnet sich hier bereits eine Entwicklung mit negativen Auswirkungen für Tierhalter ab?

Yvonne Gold und Ursula Körner hatten die Praxis, die am gleichen Ort schon über 30 Jahre besteht, 2008 übernommen. Jetzt wollen sie in den Ruhestand gehen. »Wir waren zwei bis drei Jahre auf der Suche, es hat sich leider niemand Passendes gefunden«, sagt Gold. Dabei hatte es durchaus Interessenten gegeben, am Ende kam man aus unterschiedlichen Gründen nicht zusammen. Wie Ursula Körner erläutert, werde es schwieriger, junge Tierärzte zu finden, die bereit seien, selbstständig eine Praxis zu betreiben. »Heute achtet man viel stärker auf eine Work-Life-Balance und geregelte Arbeitszeiten«, sagt sie. Ein Aspekt sei beispielsweise der Notdienst abends, nachts und an den Wochenenden. Zumindest fürs Wochenende wurde vor einigen Jahren ein Rotationsverfahren etabliert, bei dem sich Tierärzte der Region abwechseln.

Körner und Gold kennen das noch anders: »Wir hatten das Telefon immer mit dabei, falls es einen Notfall gibt«, sagt Gold. Da die Tierärztinnen auch Großtiere wie Pferde oder Rinder mitbetreut haben, mussten sie nicht selten nachts aufstehen. Geburten würden bei diesen Tieren nicht selten nachts stattfinden, sagen sie.

Ein anderer Faktor kommt ihrer Meinung nach erschwerend hinzu: »Der Frauenanteil in diesem Beruf ist unheimlich hoch. Ich tippe mal auf 90 Prozent.« Dass deutlich mehr Frauen als Männer den Beruf ausüben würden, bestätigt die Landestierärztekammer auf Nachfrage.

Auch wenn sich Rollenbilder in den vergangenen Jahrzehnten verändert hätten, seien es vorwiegend die Frauen, die in Elternzeit gingen und anschließend in Teilzeit arbeiten würden, sagt Tierärztin Körner. Dann alleine eine Praxis zu führen, sei schwierig. Insgesamt scheine sich, gerade in Städten, bei jungen Tierärzten ein neuer Trend zu entwickeln. Diese würden nach der universitären Ausbildung bevorzugt in Tierkliniken oder in große und immer öfter auch unternehmergeführte Gemeinschaftspraxen wechseln. Ob die Zahl der niedergelassenen Tierärzte im Lahn-Dill-Kreis in den vergangenen fünf Jahren abgenommen habe, dazu konnte die Landestierärztekammer allerdings keine Angaben machen. Aktuell seien es 60 Praxen, heißt es. Zahlen gibt es dafür zur hessenweiten Entwicklung. Denen zufolge wäre die Zahl der niedergelassenen Tierärzte von 973 in 2017 auf 929 in 2021 gesunken.

Obwohl sie niemanden gefunden haben, der die Praxis in Rechtenbach übernimmt, ganz ohne Nachfolge wollten sich Ursula Körner und Yvonne Gold nicht in den Ruhestand verabschieden. Ab Anfang November übernimmt die »Fachtierarztpraxis im Kleebachtal«. Die im Langgönser Ortsteil Niederkleen angesiedelte Praxis wird von Anne Textor und Katja Wehrend betrieben. Neben den beiden arbeiten noch vier weitere Tierärzte dort. Textor und Wehrend haben ihre Praxis vor fünf Jahren aufgemacht. Zuvor waren beide an einer Tierklinik in Frankfurt beschäftigt. Als die schließen musste, sei dies nicht nur der Startschuss für die Selbstständigkeit gewesen, ein glücklicher Umstand habe auch den Praxisstart erleichtert. Wehrend erklärt dazu, dass das Inventar der Klinik verkauft werden musste. Die beiden Frauen erwarben es und verfügen somit auch über eine technisch moderne Grundausstattung für ihre Tierarztpraxis. Dazu zählen unter anderem Ultraschall, digitales Röntgen und endoskopische Untersuchungen des Magen-Darm-Traktes von Tieren. Wie die Patientenübernahme Ende Oktober aussehen wird, erklärt Anne Textor: »Wir bekommen die Akten verschlossen. Wer dann zu uns in die Praxis kommt, muss eine Datenschutzerklärung ausfüllen, erst dann können wir die jeweilige Akte öffnen.«

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