»Urteil keine falsch verstandene Nächstenliebe«
Kreis Gießen (dge). Rouven Spieler, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, ist sich bewusst, dass der oben geschilderte Fall, das Schicksal der Eltern von Andre Riederer, viele Menschen emotional berührt. Auf Nachfrage des Anzeigers blickte er auf den Prozess gegen den 21-jährigen Unfallverursacher zurück.
»Der Drogenkonsum hat sich bestätigt. Der Angeklagte hat eingeräumt, Drogen konsumiert zu haben und trotzdem gefahren zu sein, obwohl er wusste, dass er damit andere Menschen und sich selbst gefährdet. Auch dass er künstlichen Urin dabei hatte, um Polizeibeamte täuschen zu können, räumte er von sich aus ein«, berichtete Spieler.
Der Anklagevorwurf lautete: Fahrlässige Tötung in Tateinheit mit Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung. Der junge Mann soll unter Drogeneinfluss einen Verkehrsunfall verursacht haben, bei dem die Unfallgegnerin schwere Verletzungen erlitt und ihr Beifahrer, der 26-jährige Andre Riederer, verstarb - so die Lage, über die das Gericht zu befinden hatte.
Ein Jahr, neun Monate
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten beantragt. Das Verhandlungsprotokoll liege noch nicht vor, doch nach der Erinnerung von Spieler hat auch die Verteidigung eine Freiheitsstrafe auf Bewährung beantragt, möglicherweise etwas niedriger als ein Jahr und neun Monate.
Der Strafrahmen für eine fahrlässige Tötung reiche von einer Geldstrafe bis zu maximal fünf Jahren. »Hierbei gilt es zu beachten, dass die Maximalstrafe in der Regel nur bei mehrfach vorbestraften und nicht geständigen Tätern verhängt werden darf. Da bei der Anzahl an Vorstrafen vieles möglich ist - manche Angeklagte haben 40 Vorstrafen und mehr - funktioniert Strafzumessung nicht nach dem Motto: ›Es können maximal fünf Jahre sein, also ist es für eine Tat mittlerer Art und Güte eine Strafe von 2,5 Jahren‹«. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und werde selbst in der streitbaren Gemeinschaft der Juristen von niemandem bestritten, betonte Spieler.
Im Rahmen der konkreten Strafzumessung bei der fahrlässigen Tötung dürfe die Tatsache, dass ein Mensch gestorben ist, nicht strafverschärfend berücksichtigt werden, da dies ja gerade Teil des Tatbestandes einer fahrlässigen Tötung sei. Strafmildernd sei das umfassende Geständnis - »bei dem die Tat mit keinem Wort beschönigt worden ist« - gewertet worden. Ebenso die Tatsache, dass der Angeklagte keine Vorstrafen hatte, glaubhaft Reue gezeigt und geschildert habe, wie ihn die Schuld bedrücke und um Entschuldigung gebeten habe.
Bewährung
»Der Angeklagte brach während der Hauptverhandlung mehrfach in Tränen aus. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass dies gespielt war. Strafschärfend wurden das hohe Maß an Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit ebenso gewertet, wie die Tatsache, dass der Angeklagte durch eine Tat drei Straftatbestände verwirklicht hat«, so der Staatsanwalt.
Für die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung sei die Frage maßgeblich gewesen, ob zu erwarten ist, dass der 21-Jährige künftig keine Straftaten mehr begeht. Dafür habe es bei ihm keinerlei belastbares Indiz gegeben. Es komme also grundsätzlich nur auf die Frage einer sogenannten »positiven Legalprognose« an.
Ferner wurde beantragt, dem Mann sofort die Fahrerlaubnis zu entziehen und ihm vor Ablauf von vier Jahren keine neue zu erteilen. Er soll 6000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Außerdem soll ein Bewährungshelfer bestellt werden, dessen Weisungen der Angeklagte Folge leisten muss. Der Mann darf keine Betäubungsmittel konsumieren und muss auf eigene Kosten unangekündigt an Urinkontrollen teilnehmen, um seine Abstinenz nachzuweisen.
Das Gericht sei dem Antrag der Staatsanwaltschaft vollumfänglich gefolgt, inklusive Bewährungsauflagen und Entzug der Fahrerlaubnis. Daher habe man kein Rechtsmittel erwogen, sondern vielmehr Rechtsmittelverzicht erklärt, betonte Spieler.
Auf die Frage, ob man hier von einem eher milden Urteil sprechen kann, erklärte der Staatsanwalt: »In Anbetracht der konkreten Umstände handelt es sich weder um ein mildes, noch ein hartes Urteil, sondern ein solches, das im Bestreben gefällt wurde, einen mit Blick auf Tat und Täter adäquaten Schuldausgleich herbeizuführen. Das Urteil wäre ohne das Geständnis und die vom Angeklagten gezeigte Reue natürlich weniger mild ausgefallen, aber dessen positives Verhalten in der Hauptverhandlung wurde nicht aus falsch verstandener Nächstenliebe positiv gewertet, sondern weil das Gesetz dies in Paragraf 46 Absatz 1 und Absatz 2 des Strafgesetzbuches - zu Recht - vorschreibt.«