»Weiterer Sargnagel« für die Provinz

Am Sonntag, 19. Juni schließt der Ärzliche Bereitschaftsdienst in Lich seine Türen. Bei vielen herrscht deshalb ein großes Unverständnis.
Kreis Gießen . Am Sonntag, 19. Juni, wird der Ärztliche Bereitschaftsdienst (ÄBD) in Lich seine Türen für immer schließen. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) hat den Mietvertrag für die Räume in der Asklepios-Klinik zum 30. des Monats gekündigt. Am Montag beginnt bereits der Auszug. Alle Versuche, die Schließung zu verhindern, sind gescheitert.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz zog nun Landrätin Anita Schneider (SPD) zusammen mit der Leitung der Asklepios-Klinik Lich sowie Vertretern der Kommunen des Ostkreises eine ernüchternde Bilanz der vergangenen Wochen.
Dabei kamen traurige Details zutage. So musste etwa die Landrätin des Kreises Gießen ebenso wie Lichs Bürgermeister Dr. Julien Neubert (SPD) von der bevorstehenden Schließung des ÄBD in Lich aus der Zeitung erfahren.
Gemeinsam mit dem Geschäftsführer der Licher Klinik, Fabian Mäser, der ärztlichen Leiterin der Notaufnahme in Lich, Dr. Daniela Heß, Reiskirchens Bürgermeister Dietmar Kromm (unabhängig) und dem SPD-Bundestagsabgeordneten Felix Döring, machten Schneider und Neubert ihrem Unmut Luft.
»Immer heißt es, der ländliche Raum darf bei der Entwicklung nicht abgehängt werden«, so Neubert. Aber die Kluft in der medizinischen Versorgung werde immer größer. »Es ist ein weiterer Sargnagel, der durch diese Entscheidung eingeschlagen wird«, brach es aus Neubert heraus. Allein im direkten Einzugsgebiet, im Ostkreis Gießen plus Reiskirchen, lebten 60 000 Menschen. Diese könne man nicht mit einem Federstrich übergehen.
In einer schmalen Stellungnahme der KVH zur Schließung heißt es: »Die Versorgung der Menschen in und um Lich bleibt natürlich weiterhin auch außerhalb der regulären Praxisöffnungszeiten sichergestellt. Zum einen bleibt der Hausbesuchsdienst weiterhin wie gewohnt bestehen. Zum anderen können Bürgerinnen und Bürger, die medizinische Hilfe benötigen, die nächstgelegenen Bereitschaftsdienstzentralen in Gießen und Nidda nutzen. Darüber hinaus ist die bundesweite Bereitschaftsdienstnummer 116117 täglich rund um die Uhr erreichbar, um beispielsweise einen Hausbesuch zu veranlassen.«
»Unsere Erfahrungen sehen leider anders aus«, erläuterte Mäser. »Die Patienten rufen einfach die 112 an, was zur Folge hat, dass der Rettungsdienst immer mehr in Anspruch genommen wird«, so der Geschäftsführer der Asklepios-Klinik. Eine in der Folge sehr starke Belastung der zentralen Notaufnahme in Lich fürchtet auch Dr. Daniela Heß. Schon jetzt könnten bis zu 65 Prozent der Fälle in der Notaufnahme eigentlich auch ambulant in einer Praxis behandelt werden.
Anita Schneider stellte klar: »Wir haben natürlich nachgefragt. Als Grund für die Schließung nannte uns die KV daraufhin, dass eine Analyse ergeben habe, dass die Licher Bereitschaftsdienstzentrale nicht ausreichend in Anspruch genommen worden sei.« Dazu gab es eine Statistik aus dem Jahr 2019. Alle Versuche, den Standort - etwa durch kürzere Öffnungszeiten - zu halten, seien ins Leere gelaufen.
Wie Mäser ergänzte; »Wir sind natürlich auf die Kassenärztliche Vereinigung zugegangen und haben sowohl Gesprächsbereitschaft über die Miete signalisiert wie auch personelle Unterstützung durch unsere Mitarbeiter angeboten, um die Kosten zu senken«. Schließlich handele es sich um eine »lebende Kooperation«, die allen Beteiligten, vor allem aber den Patienten zugute komme.
Als Alternative zur Bereitschaftsdienstzentrale in Lich nennt die KVH die Zentralen in Gießen und Nidda sowie die bundesweite Bereitschaftsdienstnummer 116117. Der Ansprechpartner dort soll dann im Gespräch mit den Patienten herausfinden, ob ein Arzt zu dem Patienten geschickt wird.
Als »fern von jeder Realität«, bezeichnete Felix Döring diese Lösung. Er rechnete vor, dass ein Patient etwa von Grünberg-Altenhain oder einer anderen Randgemeinde des Kreises allein schon 50 Minuten brauche, um mit dem Auto nach Gießen zur Bereitschaftsdienstzentrale zu kommen.
Für den Betrieb der ÄBD zeichne zwar die KV auf Landesebene verantwortlich, die gesetzlichen Vorgaben kämen aber vom Bund. Darin heiße es, dass die Entfernung »zumutbar« sein müsse. Konkret handele es sich dabei um die Zeit, die man normalerweise zum Erreichen der Hausarztpraxis brauche, plus eine 30-minütige Fahrzeit zum Bereitschaftsdienst, diese aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Sowohl der Kreistag als auch die Stadtparlamente im Ostkreis verabschiedeten Resolutionen für den Erhalt des ÄBD in Lich.
Wie Schneider weiter ausführte, habe man sich mit der Bitte um Vermittlung auch an den hessischen Sozialminister Kai Klose (Grüne) gewandt. Von dessen Antwort zur Schließung des ÄBD, zeigten sich alle Anwesenden jedoch enttäuscht.
Wie am Rande des Sozialausschusses des Landkreises in Gießen bekannt wurde, will sich hingegen Kreis-Sozialdezernent Hans Peter Stock (FW) dafür stark machen, das Thema am 6. Juli bei der Tagung des Hessischen Landkreistags (HLT) auf die Tagesordnung zu bringen.