Wettenberger Deutschfranzosen ermitteln Angehörige eines 1943 in Krofdorf tödlich verunglückten Kriegsgefangenen.
Von red
Bürgermeisterin Jocelyne Ozenne, Lebrun-Urenkelin Audrey Cineux und Heimatkundlerin Martine Besnehard vor dem Ehrenmal in Sant-Michel de Montjoie.
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WETTENBERG - Covid-19 und die dazu erlassenen Restriktionen haben das Programm der Wettenberger Deutschfranzosen 2020 schmelzen lassen. Trotzdem gab es bei ihnen, offiziell: der Deutsch-Französischen Gesellschaft, keinen Stillstand. Das geht aus dem aktuellen Winter-Rundbrief des frankophilen Partnerschaftsvereins hervor. Sehr positiv gestaltete sich demnach unter anderem eine Spurensuche in der Normandie, die, laut Vorstandsbericht, auch 2021 noch beschäftigen wird.
Die Geschichte ist verbrieft: Im März 1943 stürzte ein bei landwirtschaftlichen Arbeiten in einer Scheune in Krofdorf-Gleiberg eingesetzter Kriegsgefangener so unglücklich, dass er kurz darauf im Gießener Reservelazarett seinen schweren Verletzungen erlag; einem Schädelbruch. Der Name des Mannes: Eugène Lebrun.
Dessen zunächst auf dem Rodtberg in der Universitätsstadt beigesetzter Leichnam war 1949 in die Heimat bei Saint-Lô überführt worden. Fortan schien sich diese Geschichte hier im Gleiberger Land zu verlieren, nicht minder die etlicher weiterer, für die Zeit ab Herbst 1941 nachweisbarer französischen Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter.
Bei den Recherchen für seine Publikation "Widerstand und Verfolgung im Faschismus in den Dörfern Wettenbergs" stieß der antifaschistische Lokalhistoriker Dieter Bender ("Stolperstein" u.a.) wieder auf Lebrun und dessen Leidensgenossen - und trug den Deutschfranzosen, bei denen er Mitglied ist, dieses Kapitel deutsch-französischer Lokalgeschichte zur vertiefenden Nachsuche an.
Bekannt waren da nur, neben wenigen weiteren Angaben, Lebruns Geburtstag (1902 in Perriers-en-Beauficel) und der Ort der Herkunft, Coulouvray-Boisbenâtre im Département Manche, hart an der Grenze zum Calvados. Nicht aber beispielsweise, wann und unter welchen Umständen er als Soldat in Gefangenschaft geraten war. Geschweige denn dessen persönlicher Werdegang, sein Leben. Auf das zunächst ans Rathaus in Coulouvray gerichtete Schreiben erhielten die seit Jahrzehnten auf die Pflege einer offenen Erinnerungskultur bedachten Deutschfranzosen Antwort von der Heimatkundlichen Vereinigung im benachbarten Saint-Sever, konkret von Schatzmeisterin Martine Besnehard, zudem von Bürgermeisterin Jocelyne Ozenne aus Saint-Michel de Montjoie, einer weiteren Nachbargemeinde, und von Audrey Cineux, einer - ja! - Urenkelin des verunglückten Soldaten.
Weitere Hinweise gingen bei den Deutschfranzosen weitere Hinweise ein. Darunter von Manfred Schmidt, einem passionierten Familien- und Lokalgeschichtsforscher aus Krofdorf: Er unterbreitete sein "Familienblatt" zu Eugène Lebrun, aus dem auch hervorgeht, dass es ältere Krofdorf-Gleiberger gibt, die in jungen Jahren mit Lebrun zu tun hatten, weil er auf ihren elterlichen Höfen in der Wiesenstraße und in der Großgasse gearbeitet hatte.
Erste Erzählungen dieser Zeitzeugen über die Begegnungen "mit dem Eugen" sind bereits in Schmidts "Familienblatt" festgehalten. Daraus geht unter anderem hervor, dass der Kriegsgefangene zumindest hin und wieder Post aus der Heimat bekam - darunter auch kleine Päckchen mit Schokolade, die er dann den Kindern auf den Höfen geschenkt habe.
Jüngst landete ein weiterer Brief aus der Normandie in Wettenberg an. Martine Besnehard legte ausführlich Eugène Lebruns Lebensgeschichte dar, illustriert mit Fotos aus dem Album der Familie. Demnach stammte der Landwirt von einem Hof in Perriers, war das älteste von fünf Kindern. 1928 hatte er in Saint-Michel de Montjoie Gabrielle Reffuveille geheiratet, mit der er drei Töchter hatte und mehrere überschaubare Höfe bewirtschaftete, zuletzt, von 1937 an, in einem Weiler namens "la Bagotière" bei Coulouvray. Im März 1940, wenige Wochen vor dem Westfeldzug der deutschen Wehrmacht, war er nach Rouen eingezogen worden.
Denkmal geplant
Wie weiter? Besnehard wartet noch auf eine Antwort aus dem Regionalarchiv Caen, die womöglich Auskunft gibt über die Zeit zwischen Frühjahr 1940 (Rouen) und Herbst 1941 (Krofdorf; belegt durch einen Behandlungsvermerk wegen Katarrhs beim örtlichen Sanitätsrat Seipp). Ihrerseits will die Deutsch-Französische Gesellschaft auf die Installation einer öffentlichen Gedenkplakette für Lebrun und dessen geknechteten Landsleute in Krofdorf-Gleiberg hinarbeiten. Zu Enthüllung dieses kleinen Denkmals - wohl kaum vor November 2021 - hofft der Verein, die fleißige Korrespondentin in der Normandie, Martine Besnehard, ebenso wie einzelne Lebrun-Nachfahren, namentlich Urenkelin Audrey Cineux, einladen zu können.