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Wie Tiere unter Menschen leiden

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Beim Veterinäramt des Landkreises Gießen ist 2021 eine Rekordzahl an Tierschutzmeldungen eingegangen. Das Spektrum der Verstöße ist breit gefächert.

Kreis Gießen (vb). Hunde in dunklen, unbelüfteten Zwingern. Zwischen 15 und 20 Katzen sowie drei Hunde in einem völlig vermüllten Wohnzimmer voller Kot und Urin auf dem Fußboden. Ein Shetlandpony mit einer Art Fußfessel. Schweine, die aus Langeweile dem schwächsten Tier die Ohren abgebissen haben. Eine teilskelettierte Ziege in einem Tümpel. Die Bilder, die Dr. Maike Klein, Sachgebietsleitung Tierschutz im Veterinäramt des Landkreises, bei einem Pressetermin zeigt, sind schwer zu ertragen. 584 Tierschutzmeldungen sind im vergangenen Jahr im Veterinäramt eingegangen - ein Rekord. Dabei stehen sie und ihre Kollegen in einem zunehmenden Spannungsfeld zwischen Tierschützern, die ein härteres Vorgehen des Veterinäramtes fordern, und den Haltern, die durchaus auch mit Angriffen und Gewaltandrohungen reagieren.

Die Zahl der Tierschutzmeldungen ist in den vergangenen Jahren stetig angestiegen. Sie gehen auf verschiedenste Wege beim Veterinäramt ein: telefonisch, schriftlich, per Mail oder Brief. Auch anonym eingereichte Infos über schlechte Tierhaltungen würden überprüft, berichtete Klein.

Wegnahme ist letzte Konsequenz

Während zum Beispiel bei Tiertransportern oder in Schlachtstätten Routinekontrollen gesetzlich vorgeschrieben sind, werden private Halter nur im Falle eine Anzeige überprüft. Bestätigen sich die Vorwürfe, müssten die Halter zunächst die Mängel innerhalb einer Frist beseitigen, beschrieb Klein. Geschieht dies nicht, werden die Tiere als letzte Konsequenz weggenommen. Bei drastischen Missständen kann dies sofort geschehen.

Dass es soviele Tierschutzmeldungen 2021 gab, hat nach Einschätzung der Expertin etwas mit der Corona-Pandemie zu tun. Immer mehr Menschen legen sich ein Haustier zu und sind von der Betreuung überfordert. Aber auch die private Haltung von Nutztieren wie Hühnern, Schafen oder Ziegen zur Selbstversorgung habe zugenommen. Zugleich sei aber die Bevölkerung aufmerksamer geworden und es gebe ein größeres Bewusstsein für das Tierwohl.

Das Spektrum der Verstöße ist breit gefächert. Es reicht von den erwähnten Hunden, die unter unzumutbaren Umständen in Garagen und Zwingern gehalten werden, über Menschen mit psychischen Problemen, die sozial verwahrlosen und eine große Anzahl von Haustieren halten, bis zu landwirtschaftlichen Betrieben, bei denen die Haltungsbedingungen von Rindern und Schweinen verbesserungsbedürftig sind. Aber auch Zirkusse oder Zoohandlungen geraten in den Fokus des Veterinäramtes. Die Informationen über verwahrloste oder schlechte gehaltene Tiere kommen dabei nicht nur von Nachbarn oder Spaziergängern. Wie Klein berichtete, gibt es auch Hinweise von Schlachtbetrieben über tot angelieferte Tiere oder von der Tierkörperbeseitigungsanstalt über gehäufte Todesfälle auf einem Hof. In so einem Fall könnte die Ursache ja auch eine Seuche sein, betonte Klein.

Die Bilder, die bei der Pressekonferenz gezeigt wurden, repräsentierten einen Querschnitt von Fällen der vergangenen Jahre. Wie gefährlich Unwissenheit für die Tiere ist, dokumentierte Maike Klein beispielhaft mit dem Fall eines privaten Ziegenhalters, der ausschließlich Zitrusfrüchte verfütterte. Viele tote Lämmer seien die Folge gewesen.

In dem eingangs erwähnten Haus mit 15 bis 20 Katzen und drei Hunden lebte eine Frau, der, obwohl sie noch arbeiten ging, das »Leben entglitten« sei. Es gab keinen Strom und kein fließend Wasser mehr. Der sozialpsychiatrische Dienst kümmerte sich um die Frau, während alle Tiere vom Tierarzt behandelt werden mussten, ehe sie zu Pflegestellen kamen. Im Falle eines Züchters von Wellensittichen waren es Kollegen eines Kleintierzuchtvereins, die berichteten, dass dieser immer wieder tote Wellensittiche aus der Voliere auf dem Vereinsgelände bringe. Die Mitarbeiter des Veterinäramtes hätten dann 250 noch lebende Wellensittiche vorgefunden, aber viele tote, allein rund 100 in einer Tonne.

Einsätze wie diese sind für die Mitarbeiter sehr belastend und nicht ungefährlich. Klein berichtete von Angriffen, Mord- und Gewaltandrohungen. Häufig ist die Polizei dabei. Im Veterinäramt gebe es sechs Vollzeitstellen von Tierärzten und Tiergesundheitsaufsehern. »Leider zu wenig, um mehr Routinekontrollen zu machen«, meinte sie.

Klein und der zuständige Dezernent Christian Zuckermann (Grüne) waren sich darüber einig, dass die Fälle nur die Spitze des Eisbergs darstellen, dass also viel häufiger Tiere schlecht gehalten oder misshandelt werden, was dann aber nicht beim Veterinäramt angezeigt werde.

Mit Blick auf das Gießener Tierheim, in dem die Misshandlungsfälle oftmals landen, meinte er, dass eine solide Grundfinanzierung nicht gegeben sei. Über das finanzielle Engagement des Landkreises müsse neu nachgedacht werden.

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