Wo ist noch Platz für Flüchtlinge?

Der Landkreis nutzt jetzt ein digitales Buchungsmanagement, um Flüchtlinge auf die Gemeinschaftsunterkünfte zu verteilen. Die App wurde von einer Wettenberger Firma entwickelt.
Kreis Gießen (vb). Ein fiktives, aber realistisches Beispiel: Eines Abends steht eine Frau mit drei Kindern vor der Kreisverwaltung. Sie kommt aus der Ukraine und weiß nicht, wo sie übernachten kann. Der Landkreis hat die Aufgabe, die Familie unterzubringen. Aktuell gibt es neben zahlreichen Wohnangeboten von Privatleuten 32 Gemeinschaftsunterkünfte. Wo sind noch Plätze frei für eine Mutter mit drei Kindern? Die Mischung der Bewohner sollte auch passen, denn eine Unterkunft mit nur alleinstehenden Männern wäre nicht der richtige Ort. Bisher hatten die Verantwortlichen des Fachdienstes Migration Excel-Listen, um zu sehen, wo es noch wie viele freie Plätze gibt. Seit gestern verfügt der Landkreis über ein digitales Buchungsmanagement, bei dem in Echtzeit die Situation in jeder Gemeinschaftsunterkunft dargestellt werden kann.
Entwickelt wurde die App von der iKat GmbH aus Wettenberg, die bereits eine weit verbreitete App für den Brand- und Katastrophenschutz erstellt hat und mit dem Landkreis in Sachen Gefahrenabwehr zusammenarbeitet. Auch die Bauaufsicht nutzt die Geoinformationsdaten der Firma. Und nun wird, wie es Geschäftsführer Helge Hessler formulierte, »das digitale Zeitalter beim Flüchtlingsmanagement eingeleitet«. Landrätin Anita Schneider (SPD) verwies auf die positiven Erfahrungen mit der Firma, mit der ein Dienstleistungsvertrag abgeschlossen wurde. Vor gut zwei Monaten gab es die ersten Gespräche, wie der Prozess der Unterbringung von Flüchtlingen besser, schneller und reibungsloser gesteuert werden kann. Schneider betonte, dass sich niemand über den Datenschutz Sorgen machen müsse, denn der sei voll gewährleistet.
»Größte Herausforderung«
»Durch die zweite Flüchtlingskrise sind wir gezwungen, das Verfahren deutlich zu verbessern«, betonte Achim Szauter, der Leiter des Fachdienstes Migration. Die richtige Mischung der Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft sei die »größte Herausforderung«. Sein Kollege Norbert Flach, der Teamleiter Soziale Dienste, ergänzte, dass Unterbringung und Wohnsitz wichtig für das weitere Asylverfahren seien. Mit der digitalen Lösung sei man bei kurzfristigen Neuankömmlingen besser handlungsfähig. In der App müssten die Daten nicht mehr zentral gepflegt werden, sondern könnten von jedem Sozialarbeiter vor Ort bearbeitet werden.
Alexander Bernhardt und Fabian Geisler stellten die von ihnen entwickelte App vor. Dabei wurde aus dem hauptamtlichen Kreisbeigeordneten Hans-Peter Stock (Freie Wähler) kurzerhand ein Flüchtling und aus dem Gebäude im Nordpark in Krofdorf-Gleiberg, das sich die iKat GmbH mit den Planungsbüros Fischer und Zick-Hessler teilt, eine Gemeinschaftsunterkuft. Mit wenigen Klicks konnte für den »Flüchtling« Stock ein Schlafplatz gefunden werden. Die App kann auf dem PC genauso bedient werden wie auf dem Tablet oder in angepasster Darstellung auf dem Smartphone.
»Am Anfang waren alle davon überfordert, die Flüchtlinge den Wohnangeboten zuzuordnen«, erinnerte sich die Landrätin. Informationen über Religion, Ethnie, sexuelle Orientierung oder ein eventuelles Handicap der Menschen sind wichtig für die Belegung der Unterkünfte, um Konflikte zu vermeiden. Diese Infos sind aber ebenso wichtig, um das Ziel des Landkreises umsetzen zu können. »Wir wollen eine relativ schnelle Vermittlung in privaten Wohnraum und brauchen die passenden Bewohner für die passenden Gastgeber«, wie es Flach formulierte.
Prokurist Mark Reitmeier betonte, dass die App exklusiv für den Landkreis Gießen entwickelt worden sei. Basisdaten wie die Anzahl der Personen in jeder Gemeinschaftsunterkunft würden auch über die reguläre iKat-App verfügbar sein, denn sie seien zum Beispiel bei Brandeinsätzen sehr wichtig. Auch soll dargestellt werden, wie viele Flüchtlinge es pro Kommune in Relation zur Einwohnerzahl gibt.
Aktuell 150 freie Plätze
Derzeit sind circa 900 Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Flach berichtete, dass allein über die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes im Schnitt 20 bis 30 Personen pro Woche hinzukämen. Derzeit gebe es rund 150 freie Plätze.
Was wird das nächste Thema der Zusammenarbeit zwischen dem Landkreis und der Firma sein? Die Landrätin tippt auf den Bereich Zivilschutz, der angesichts von Krieg und Hochwasserkatastrophen eine andere Bedeutung bekommen habe. Für November ist ein Workshop mit Cornelia Weigand, der Landrätin im Kreis Ahrweiler, geplant.
