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Wolf eine Gefahr für Wald-Kitas?

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Vorsicht ist geboten, kommt ein Wolf in die Nähe von Mensch und Tier. Symbolfoto: dpa © Red

Hüttenberg (seb). Karsten Watz sorgt sich wegen des Wolfs. Der Hüttenberger züchtet Rinder. Er schlägt aber nicht ausschließlich wegen seiner Tiere Alarm, sondern vor allem wegen der Waldkindergärten in Hüttenberg.

Er befürchtet, dass ein Wolf die Kinder angreifen könnte - und kritisiert, dass die Gemeinde dieses Szenario nicht ernst nehme. Die hält es nicht für nötig, deswegen zu handeln. Und die Statistik gibt ihr recht.

»Ich wünsche mir, dass die Gemeinde erkennt, dass eine potenzielle Gefahr besteht«, sagt Watz. »Sie muss sich Gedanken machen, ob die Wald-Kita aufbleibt.« Das Essen der Kinder könne den Wolf womöglich anlocken. Watz ist sich sicher: »Es wird Probleme geben.« Der Wolf breite sich auch im Lahn-Dill-Kreis weiter aus.

Die Gemeinde Hüttenberg, die Waldkindergärten in den Ortsteilen Rechtenbach und Volpertshausen betreibt, sieht das anders. »Für uns gibt es da keinen Handlungsbedarf«, sagt Bürgermeister Christof Heller (parteiunabhängig). Als Betreiber von Waldkindergärten sei es wichtig, zu schauen, ob es Empfehlungen vom Land Hessen oder der Aufsichtsbehörde des Lahn-Dill-Kreises im Umgang mit dem Wolf gibt. Aber: »Das ist nicht der Fall, weil die Gefahr nicht da ist.«

In nächster Zeit Schulungen geplant

Nichtsdestotrotz werde die Gemeinde das Personal der Kindergärten noch mal darauf hinweisen, wie man sich verhalten sollte, wenn man einem gefährlichen Tier begegnet. »Das muss auch kein Wolf sein, das kann ja auch ein aggressiver Hund sein«, sagt Heller. Diese Schulung geschehe auch unabhängig von Watz’ Befürchtungen und würde ohnehin »in nächster Zeit« stattfinden.

Watz freut sich nicht gerade über diese Antwort. Er findet, dass die Verantwortlichen die Gefahr unterschätzen, die von dem Raubtier ausgeht. »Wenn ein Angriff passiert, will ich nicht auf der Gemeinde arbeiten«, sagt Watz.

Beim Thema Wolf wird der Hüttenberger emotional. Wenn er einmal beginnt, über die Gefahren des Tiers zu reden, ist er kaum zu stoppen. Watz beschäftigt sich schon länger mit dem Wolf, als Weidetierhalter muss er das auch. Dabei fühlt er sich aber nicht immer ernstgenommen. »Wir wurden teilweise verunglimpft«, sagt Watz. Nicht jeder glaube ihm, dass der Wolf auch für Rinder eine Bedrohung darstellen könne. Und jetzt glaubt ihm auch die Gemeinde nicht, dass das Tier Kindern gefährlich werden könne.

Ebenso fühlt sich Watz offensichtlich von der Politik alleingelassen. Er könne als Weidetierhalter zwar unter Umständen Fördergelder für Zäune beantragen, aber davon hält er nur wenig. »Zäune bauen bringt null.« Ein Wolf könne auch hohe Zäune mit Leichtigkeit überwinden.

Dass Hüttenberg im vergangenen Jahr als sogenanntes »Wolfspräventionsgebiet« eingestuft wurde, befeuert die Sorgen des Rinderzüchters. In diesen Gebieten wird es als erforderlich angesehen, Nutztiere vor dem Wolf zu schützen. Und jedes Tier, das ein Wolf in der Region reißt, bestätigt seine Befürchtungen. Es sind Funde wie die vom Dienstag, 17. Januar, die seine Aufmerksamkeit erregen. Ein Schaf wurde in Schöffengrund gerissen. Von einem Wolf, vermutet der Tierhalter. Bestätigt ist das vom Wolfszentrum des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) aber noch nicht. Dass ein Wolf Menschen angreifen könnte, hält der Nabu Hessen für unwahrscheinlich. »Wölfe haben in der Regel kein Interesse am Menschen und gehen ihm einfach aus dem Weg«, teilt Ingeborg Till, Sprecherin der Landesarbeitsgruppe Wolf des Nabu Hessen, auf Anfrage mit. Im Zweifelsfall werde die Bevölkerung auch vor einem möglicherweise gefährlichen Wolf geschützt: »Kommt es irgendwo zu einem auffälligen Verhalten eines Wolfes, so kann dieser entnommen, das heißt erschossen werden.«

Die Einschätzung des Nabu teilt das Wolfszentrum. Auf seiner Internetseite schreibt das HLNUG: »Wölfe sind allgemein scheu und ziehen sich zurück, wenn sie Menschen wahrnehmen - in der Regel bevor der Mensch sie erspäht hat.«

Auch den Zahlen nach ist es unwahrscheinlich, in Deutschland von einem Wolf angegriffen zu werden. Im April 2021 hat das Norwegische Institut für Naturforschung (Nina) eine Studie veröffentlicht, die die weltweit bekannten Wolfsangriffe von 2002 bis 2020 untersucht hat. Das Nina wurde damit von mehreren Naturschutzorganisationen - darunter auch der Nabu - beauftragt.

Die Forscher haben in diesen 18 Jahren weltweit 489 Menschen erfasst, die von Wölfen attackiert wurden. Davon wurden 26 getötet. 242 dieser Menschen wurden in europäischen Staaten angegriffen - zumindest, wenn man Europa großzügig definiert und auch Länder, die nur teilweise in Europa liegen, wie Russland und die Türkei, miteinbezieht.

Wenn man diese Länder jedoch ausklammert, sinken die Zahlen deutlich auf 77 angegriffene Menschen, von denen niemand getötet wurde. In Westeuropa gab es laut den Forschern lediglich eine Attacke, in Italien im Juni 2020. In Deutschland keine einzige.

Risiko eines Angriffs gering

Die meisten Angriffe führt das Nina auf Tollwut, also eine Krankheit, die in Deutschland als ausgerottet gilt, zurück: 380 von den weltweit insgesamt 489. Allein in der Türkei waren es 103 Tollwutangriffe, von denen neun tödlich endeten. Die restlichen Angriffe seien unter anderem von Wölfen ausgegangen, die sich verteidigen wollten (42). Aber auch räuberische Angriffe (67) kamen vor.

Das Risiko, von einem Wolf in Europa angegriffen zu werden, beschreibt das Nina dennoch als sehr gering. Es sei größer als Null, aber zu gering, um es zu berechnen.

Ob das Karsten Watz beruhigt, ist fraglich. Watz ist überzeugt: Das Problem werde verniedlicht.

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