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Kleines Stückchen Freiheit mehr

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Sicher sind künftig die Teilnehmerinnen mit dem Rad unterwegs. Foto: Schäfer © Schäfer

Zahlreiche Frauen aus anderen Kulturkreisen nutzen die kostenlosen Fahrradkurse, die der Landkreis Gießen in Kooperation mit dem ADFC Hessen sowie der Gemeinwesenarbeit in Grünberg anbietet.

Laubach (rrs). Aufsteigen, in die Pedale treten und ab geht’s - die meisten Radfahrer müssen darüber nicht nachdenken und kommentieren lapidar »Das ist doch kinderleicht«. Ja, für den, der das Radfahren schon als Kind gelernt hat, aber wer sich zum ersten Mal im Erwachsenenalter auf den Sattel schwingt, kann nicht einfach losfahren. So ergeht es nicht nur vielen Deutschen, sondern vor allem migrierten oder geflüchteten Frauen aus anderen Kulturkreisen. In manchen Ländern dürfen Frauen überhaupt nicht Fahrradfahren, sind gegenüber den frei lebenden Männern ans Haus gebunden oder aber das Fahrrad ist als Verkehrsmittel gar gänzlich unbekannt. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat der Landkreis Gießen mit Fördergeldern aus dem WIR-Programm in Kooperation mit dem ADFC Hessen (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) sowie der Gemeinwesenarbeit in Grünberg in den vergangenen beiden Juni-Wochen kostenlose Fahrradkurse für Frauen in Laubach und Grünberg angeboten. An acht Tagen wurden neben dem Fahrtraining auch die wichtigsten Straßenverkehrsregeln vermittelt, um die Frauen fit und vor allem sicher auf unsere Straßen entlassen zu können. Insgesamt 13 Frauen von Mitte 20 bis Ende 40 trauten sich aufs Rad, vier aus der Ukraine und zwei aus Somalia in Laubach sowie vier aus der Ukraine, eine aus Syrien, eine aus Afghanistan und erstaunlicherweise sogar eine Deutsche in Grünberg.

Frühmorgens wurde es auf dem von Aldi kurzfristig zur Verfügung gestellten Parkplatz in Laubach ernst. Fahrradlehrerin Christine Rhodes erklärte: »Fahrradfahren kann man niemanden beibringen. Es geht darum, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie sich ein Fahrrad benimmt und den Körper so zu trainieren, dass er automatisch weiß, wie er darauf reagieren muss.«

Herausforderung

Klingt schwierig, aber mit der »moveo-ergo-sum«-Methode, die sich dem Ziel in behutsamen kleinen Schritten nähert und so auch Ängste geschickt umgeht, durchaus für jeden zu schaffen, egal ob jung oder alt.

In den ersten beiden Tagen sollte ein Tretroller mit dicken Reifen die ersten Fahrversuche vereinfachen. »Er verfügt über die gleichen physikalischen Eigenschaften wie ein Fahrrad, aber ohne Sattel fällt es am Anfang viel leichter«, weiß Rohdes. Für einige war es schon eine Herausforderung beide Füße auf den Roller zu stellen, hatten sie doch vorher noch nie auf einem bewegten Gefährt das Gleichgewicht halten müssen. Derweilen beruhigte Rhodes: »Wir gehen hier immer vom Machbaren zum nächsten Machbaren, einen Schritt nach dem anderen. Dabei wird keiner überfordert, keiner baut Angst auf.« Und tatsächlich, am dritten Tag rückten die niedrigen Klappräder mit tiefem Einstieg in den Fokus. Zuerst wurde das korrekte Aufsteigen geübt, dann ging es um das essenziell wichtige Bremsen und Absteigen. Wer das sicher beherrschte, konnte sich an die Tret- und Lenkübungen wagen. Am Ende des Tages drehten einige der Frauen schon ihre ersten Runden, wenn auch vorsichtig und ab und an etwas wacklig. Am vierten Tag aber waren alle mit den Klapprädern über den Parkplatz unterwegs. Zeit, mit Kurvenfahren und den Slalom-Übungen zu beginnen. In den letzten Kurstagen waren kleine Stadtrundfahrten angesagt, um das Radeln im normalen Straßenverkehr einzuüben. Erstaunlicherweise waren einige der Frauen schon so sicher auf dem Rad, dass sie morgens zum Kurs freudestrahlend auf dem eigenen Fahrrad erschienen. Der Kurs war wohl für alle letztendlich ein voller Erfolg, ab sofort steht ihnen als Radfahrer die Welt offen.

»Das neu erlernte Fahrradfahren hilft den Frauen, selbstständiger, mobiler und auch zeitlich flexibler zu werden. Auf die getakteten Fahrzeiten der öffentlichen Verkehrsmittel sind sie nun nicht mehr angewiesen - sie haben ein kleines Stückchen Freiheit hinzugewonnen«, klopfte es Gerrit-Scott Vogelgesang, Koordinator für Gemeinwesenarbeit im Landkreis Gießen-Grünberg, fest und erklärte: »Wir fragen vor Ort nach dem Bedarf der Menschen und versuchen, dem in sozial-integrativen Projekten Rechnung zu tragen.«

Außer dem Radfahren stehe auch das Schwimmenlernen in den Startlöchern, da die meisten Kinder, aber auch viele der Erwachsenen mit Migrationshintergrund hier starke Defizite hätten.

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