1. Startseite
  2. Kreis Gießen
  3. Lich

Interview mit dem Mediziner Jürgen Bludau

Erstellt:

gikrei1003JuergenBludau_S_4c
Dr. Jürgen Bludau © Red

Wie man es richtig macht und noch viel mehr zum Thema Älterwerden,verrät der Chefarzt der Geriatrie in der Asklepios-Klinik Lich.

Lich/Hungen (red). »Alt werden ist ein Vergnügen«, behauptet Dr. Jürgen Bludau, Chefarzt der Geriatrie in der Asklepios-Klinik Lich. So zumindest lautet der Titel seines neuen Buches. Allerdings fügt er in der Unterzeile hinzu: »… wenn Sie es richtig anstellen«. Wie man es richtig macht und noch viel mehr zum Thema Älterwerden, dazu liest und spricht Jürgen Bludau am Donnerstag, 14. März, ab 19 Uhr, im Rahmen der Ovag-Reihe »Leseland Gießen« in der Schäferstadt-Halle in Hungen. Unserer Zeitung stand der Mediziner jetzt schon mal Rede und Antwort.

Herr Dr. Bludau, wie sind Sie darauf gekommen, ein Buch über ein Thema zu schreiben, das zwar alle Menschen betrifft, über das man aber nicht unbedingt gerne spricht?

Jürgen Bludau : Die Antwort ist bereits in der Frage verborgen. Es ärgert mich seit langen, dass Alter allseits mit Krankheit, Gebrechen, als etwas nichts Wünschenswertes gleichgesetzt wird. Richtig sauer bin ich auf die Anti-Aging-Industrie, die mit allen möglichen Mittelchen was angeblich Nützliches und Schönes im Alter auf vermeintlich einfachem Weg herauszukitzeln verspricht.

»Altwerden ist Scheiße« - beklagte im vergangenen Jahr in einem Interview selbst ein Arnold Schwarzenegger.

Bludau: Nein, so sehe ich das nicht. Allerdings - ich habe es bereits im Untertitel meines Buches betont - man muss hart arbeiten, braucht einen starken Willen, muss so weit wie möglich aktiv bleiben, muss Partner des behandelnden Arztes sein, um sich eine hohe Lebensqualität zu sichern.

Allerdings klagen Patienten immer wieder darüber, dass ihr Arzt nicht genug Zeit für sie hat.

Bludau: Da mag etwas dran sein. Umso wichtiger, dass man sich auf den Arztbesuch gut vorbereitet, eine Liste mit Fragen erstellt, möglicherweise vorhandene Berichte von anderen Ärzten gleich mitbringt. Dass man fragt, welche Vorsorgeuntersuchungen, welche Impfungen als nächstes anstehen.

Fällt es alten Menschen heute schwerer, einen Lebenssinn im hohen Alter zu finden?

Bludau: Mag ich nicht verallgemeinern, zumindest gibt es heute sehr viele Möglichkeiten, sich zu beschäftigen und länger gesund zu bleiben.

Die Menschen starben vor wenigen Jahrzehnten durchschnittlich nicht nur früher, sondern sahen in der Regel auch älter aus als Gleichaltrige in der heutigen Zeit.

Bludau: Vor allem aufgrund der medizinischen Fortschritte. Heute ist die Chance, einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt zu überleben und danach durchaus ein gutes Leben zu führen, ungleich höher als noch vor 30 Jahren. Die Menschen sind wesentlich aufgeklärter und vorsichtiger, was die Ernährung betrifft. Und wer ist vor 30 Jahren in diesem Alter schon in ein Fitness-Studio gegangen? Das war damals nur für solche, die mit ihren Muckis glänzen wollten.

Bei Udo Jürgens heißt es in einem Lied: »Mit 66 fängt das Leben an«.

Bludau: Da ist etwas dran. Ich kann nur dringend empfehlen, mit 66 - und natürlich schon davor - Sport zu treiben, in einen Verein, in ein Fitness-Studio zu gehen, zu reisen. Das alles hat nämlich auch mit sozialen Kontakten zu tun. Je älter man wird, umso wichtiger sind sie.

Gehen wir mal ins Detail - was bedeutet in diesem Alter sportliche Betätigung?

Bludau: Das bedeutet natürlich nicht, Wettkampfsport betreiben zu müssen. Aber Schwimmen, Radfahren, Laufen, Wandern, Golfspielen - wenn man auf dem Rasen läuft und nicht mit dem Wägelchen herumfährt. Gewichttraining ist gut für die Balance und beugt Osteoporose vor. Das alles sind Betätigungen, die auch davor bewahren, ausschließlich in den eigenen vier Wänden zu hocken. Über die Ernährung habe ich bereits gesprochen: Zurückhaltung bei Fleisch, viel Fisch, viel Gemüse.

Das alles sind sozusagen körperliche Empfehlungen. Wie aber steht es um unseren Kopf, um unseren Geist, sozusagen um das seelische Empfingen?

Bludau: Das spielt eine enorme Rolle. Ich kann nur sagen: Leben Sie heute. Will sagen: Trauern Sie nicht der Vergangenheit nach, seien Sie offen für neue Dinge, interessieren Sie sich für Neuigkeiten - nach dem Ausprobieren einer Sache müssen Sie beileibe nicht alles übernehmen. Aber vielleicht entdecken Sie neue technische Möglichkeiten, die Sie zu schätzen wissen. Beispielsweise mit dem Sohn, der nun in Hamburg lebt oder Ihren Enkeln auf digitalem Weg zu kommunizieren. Bilden Sie sich zumindest ein Urteil, um mitreden zu können.

Alten Menschen wird nachgesagt, sie könnten mit zunehmendem Alter starrsinnig werden.

Bludau: Ich bin weit davon entfernt, das zu verallgemeinern. Ich weiß aber, was damit gemeint ist. Davor bewahrt neben der beschriebenen Aktivität, die Akzeptanz, dass man eben nicht mehr alles kann, was man früher einmal vermocht hat. Und der daraus resultierenden Schlussfolgerung: Nicht aufgeben! Ganz wichtig: Verzeihen können. Sich zugestehen, dass man mal Mist gebaut hat. Ansonsten frisst man den Ärger in sich hinein, kappt wichtige Verbindungen. Das ist etwas, was zu der in Ihrer Bemerkung beschriebenen Eigenart führen kann.

Ist Ihr Buch nur etwas für alten Menschen - das heißt: An welches Alter richtet es sich überhaupt?

Bludau: Grob gesagt ist es für drei Altersgruppen. Zunächst für Menschen ab 75. Ihnen soll es sagen, wie ich so gut wie möglich die Lebensqualität erhalten kann. Dann an die 60-Jährigen, für die die Rente in Sichtweite ist, die bestimmte Vorbereitungen auf den neuen Lebensabschnitt treffen können. Aber auch an die 50-Jährigen. Die Kinder sind aus dem Haus. Was ein Aufleben der ehelichen Romantik, aber auch eine kaputte Ehe nach sich ziehen kann. Jedenfalls muss sich diese Generation konkret mit dem Altwerden beschäftigen - nämlich mit dem Altwerden von Vater und Mutter. Ihnen soll das Buch Hilfestellung geben.

Sie wissen um die Rezepte, um gut durchs Alter zu kommen. Dürfen Sie sich deshalb auf ein Methusalem-Alter freuen?

Bludau: (lacht) Kann ich nicht sagen, hoffe es aber. Denn eines dürfen wir nicht unterschlagen: 70 Prozent können wir beeinflussen, 30 Prozent nicht. Aber immerhin 70 Prozent - daraus kann man doch etwas machen!

Der Eintritt für die Lesung in Hungen mit Jürgen Bludau kostet 12 Euro (ermäßigt 9 Euro). Karten bei der Ovag (06031/6848 1113), der Buchhandlung Reinhard in Grünberg, der Tourist-Information Gießen, im Traumstern Lich und bei www.adticket.de

Foto: Sebastian Fuchs

gikrei1003senioren_10032_4c
Heute kein ungewöhnliches Bild mehr: Auch Senioren trainieren ihre Fitness im Studio. Symbolbild: dpa/Waltraud Grubitzsch © Red

Auch interessant