Ein Leben verlängert

Lollar . Erhält ein Patient vom Arzt eine lebensbedrohende Diagnose, gerät das ganze Leben durcheinander, es ist nichts mehr, wie es einmal war. So erging es Jürgen Ranke, der eigentlich seinen Ruhestand genießen wollte.
Der ehemalige Vorsitzende des Sportvereins Rot-Weiß-Grün in Salzböden fühlte sich länger nicht mehr topfit. Wenn es den Berg hinaufging oder beim Match auf dem Tennisplatz, fehlte öfter die Luft. »Ich war danach kaputt.« Der Rentner schob es auf sein Alter. Nur zufällig kam heraus, dass er an der akuten myeloischen Leukämie (AML) litt. Sie ist bösartig. Im Knochenmark bilden sich immer weniger Blutzellen und Organe werden in ihrer Funktion beeinträchtigt.
Rankes Hausarzt besuchte 2015 dessen Nachbarin. Danach kamen beide ins Plaudern: »Du siehst so blass aus, komm morgen mal in meine Praxis.« Eins gab das andere, die Blutwerte stimmten nicht. Der Sportler wurde über einen Facharzt in Gießen, der die Diagnose stellte, bis ins Klinikum weitergereicht.
Sechsmonatiges Martyrium
Hier begann ein sechsmonatiges Martyrium mit schwerer Medikamentation und Chemo-Therapie, doch letztlich wurde der Salzbödener dann im Frühjahr 2016 als geheilt entlassen. Er musste sich allerdings regelmäßig untersuchen lassen.
Ranke war glücklich, wieder nach Hause zu seiner Ehefrau Edith zu kommen, doch nur ein dreiviertel Jahr später ereilte ihn die erneute Hiobsbotschaft: der Blutkrebs war zurückgekehrt.
Dies war ein schwerer Schock, nicht nur für ihn, sondern auch für seine Ehefrau Edith. Nach ärztlicher Auskunft konnte ihm jetzt nur noch eine Knochenmarkspende helfen. Erneut wurde er in die Klinik eingewiesen, dieses Mal nach Marburg ins Carrera Leukämie- und Lymphon-Zentrum, da Stammzellentransplantationen nur in Marburg durchgeführt werden. Sein Fall wurde in die Deutsche Knochenmarksspender-Datei (DKMS) eingetragen. Damit begann die Suche nach einem Spender oder einer Spenderin weltweit. »Ich hatte dabei großes Glück«, betont Ranke, »denn schon bald fand sich die junge Amerikanerin Emely Kamp aus Indiana und erklärte sich bereit, Knochenmark zu spenden. Dann ging alles sehr schnell. Mit einem Boten wurde die kostbare Fracht - 466 Milliliter Knochenmarksflüssigkeit - aus Amerika direkt nach Marburg gebracht, wo bereits kurz darauf, im Mai 2017, die Transplantation durchgeführt wurde. »Bis dahin war diese Strecke die das Knochenmark in kurzer Zeitspanne transportiert werden musste, die größte, die in Marburg registriert wurde«, weiß Ranke noch. Wichtig ist es, einen möglichst »genetisch identischen Zwilling« zu finden. Und das war die Amerikanerin aus La Port.
»Unglaubliches Glück gehabt«
»Ich habe unglaubliches Glück gehabt. Alle zehn Faktoren, die das bestimmen, waren identisch.« Dennoch musste zunächst sein Immunsystem durch Chemo heruntergefahren werden, bevor transplantiert werden konnte. Das gesunde Knochenmark sorgte dafür, dass die Blutzellen wieder aufgebaut wurden. »Einen Seiteneffekt hat das aber. Ich habe jetzt eine neue Blutgruppe. Ich war bisher 0 negativ und bin jetzt B positiv«, lacht Ranke. »Emelys Spende hat mir zumindest schon einmal fünf Jahre meines Lebens verlängert«, kann Ranke heute sagen. »Dafür bin ich ihr und ihrer Familie unendlich zu Dank verpflichtet.«
An sich wird anonym gespendet, doch nach einer Wartezeit kann der Empfänger anfragen, ob der Spender den Kontakt wünscht. Emely wollte Jürgen gerne kennenlernen. Man schrieb sich.
Bei dem Salzbödener und seiner Ehefrau reifte deshalb der Entschluss, die Spenderin in Amerika zu Hause zu besuchen. In diesem Jahr brachen Jürgen und Edith Ranke samt Tochter, Schwiegersohn und Enkel dann in die Staaten auf. Im Rahmen einer 14-tägigen Rundreise ging es auch nach Indiana.
Über den Besuch bei der Familie sagt Jürgen Ranke im Nachinein, dass es eine sehr emotionale Begegnung gewesen sei.
Die Stammzellenspenderin Emely Kamp schrieb öffentlich nach der Rückkehr ihres Besuchs nach Deutschland auf ihrem Instagram-Account: »Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, um zu beschreiben, was das letzte Wochenende für mich bedeutet hat. Ich habe die ganze Woche darüber nachgedacht, es fühlt sich immer noch ein bisschen surreal an«. Dann schreibt sie weiter, dass sie sich als Erstsemester-Studentin bereits im September 2008 im Knochenmarkspenderregister angemeldet hatte. Im März 2017 wurde sie dann darüber informiert, dass in Deutschland ein Spender gesucht wurde, mit genau den gleichen Blutwerten wie die ihren. Für sie sei es gar keine Frage gewesen, zu helfen, sagte sie und ging sofort daran, die Stammzellenspende abzuschließen, um einem Menschen das Leben zu retten. Ihre Nachricht wurde tausendfach mit einem Herz bedacht.
»Werde das nie vergessen«
Besonders gefreut hat sich die jetzt 32-Jährige zusammen mit ihrem Ehemann, der eine Brauerei betreibt, dass sie diesen Menschen, dem die Stammzellenspende galt, persönlich kennenlernen durfte. »Ich werde diese Erinnerung für den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen«, erklärte sie.
Jürgen Ranke hat sie jedenfalls eingeladen, im nächsten Jahr einmal vorbeizukommen. »Ich glaube, eine Reise nach Deutschland könnte ich mir für die Zukunft sehr gut vorstellen, aber zuerst werde ich an meinen Deutsch-Kenntnissen arbeiten«, schmunzelte Emely Kamp, die mit ihrer Spende bewies, dass man ganz ohne Worte über alle Grenzen hinweg Menschen etwas schenken kann.
Ranke ruft jedenfalls dazu auf, sich typisieren zu lassen, um Patienten in aller Welt vor den Folgen von Blutkrebs zu bewahren. In Deutschland gibt es 11,5 Millionen Spendereinträge (Stand August 2022), weltweit sind es 39,2 Millionen Menschen (Stand 2021), die ihr Knochenmark zur Verfügung stellen würden. Weitere Infos unter www.dkms.de.