Putin Popanz patriotischer Projektionen

Lollar. Einen differenzierten und damit für einige Zuhörer im Saal sichtlich überraschenden Blick auf den Ukraine-Krieg warf der AfD-Bundestagsabgeordnete und Bundeswehrsoldat Jan Nolte in Lollar. Vor einem Publikum aus rund 50 Parteifreunden und Sympathisanten sparte Nolte, der Mitglied des Verteidigungsausschusses ist, nicht mit Kritik an der westlichen Politik, auch und gerade im Vorfeld des Krieges.
Er ließ aber auch keinen Zweifel daran, wer diesen Krieg völkerrechtswidrig vom Zaum gebrochen hat. Seinen Vortrag begann er mit den Worten »Mein Appell an Sie ist, sich nicht bedingungslos auf eine Seite zu schlagen« In jedem Krieg, so Nolte, werde immer von beiden Seiten gelogen, schließlich ginge es ums Ganze. Um sich der Wirklichkeit soweit wie möglich zu nähern und einen eigenen Standpunkt zu finden, müsse man die Lügen beider Seiten vergleichen.
Wenn er im Folgenden die russische Position ausführlicher darstelle, heiße das nicht, dass er sich auf Putins Seite schlage, sondern dass man nur so die Schieflage westlicher Medien ausgleichen könne, die zum überwiegenden Teil alleine die westliche Sicht auf einen Konflikt zeigten,. der eine lange Vorgeschichte habe.
Tatsächlich habe am Ende des Kalten Krieges und am Beginn des neuen Ost-West-Konflikts das Versprechen gestanden, dass es keine Nato-Osterweiterung geben würde. »Wer das bestreitet, lehnt sich weit aus dem Fenster«, betonte der 33-Jährige. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass es keine völkerrechtlich verbindliche Fixierung dieser Zusage gebe, auf die sich Putin berufen könne.
Während der russische Alleinherrscher sich zur Verwirklichung seiner imperialen Ziele der anachronistischen Methoden des 19. Jahrhunderts bediene, in dem es legitim gewesen sei, dass Macht Recht breche, hätten die USA ihre Interessen von Anfang an subtiler durchgesetzt. Nolte nannte die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen in der Ukraine, die 2014 zum gewaltsamen Sturz des moskaufreundlichen Präsidenten Janukowytsch beigetragen hätten - was aber auch die prekäre Balance der Ukraine zwischen West und Ost zerstört habe.
Seit der Besetzung der Krim 2 014 sei klar gewesen, dass Putin zu allem bereit sei, um die Westanbindung der von ihm als Puffer gesehenen Ukraine zu verhindern. Das habe deren Führung aber nicht davon abgehalten, selbst Öl ins Feuer zu gießen. So habe noch vor dem Krieg ein OSZE-Beobachter den Angehörigen des Verteidigungsausschusses berichtet, dass die Gewalt im Donbass nicht nur von russischer, sondern auch von ukrainischer Seite ausgegangen sei. Ebenso wie Russland habe die Ukraine dort Truppen massiert und damit wie Russland gegen das Minsk-2-Abkommen verstoßen, dass den Abzug der schweren Waffen und eine Autonomie für die Region vorgesehen habe. Nach Noltes Auffassung hätte die Bundesregierung in dieser Phase auf beide Seiten Druck ausüben müssen, das auch von ihr ausgehandelte Abkommen einzuhalten.
Deutschen Medien warf der AfD-Politiker vor, sich in dem Konflikt »einmal mehr« nicht als Berichterstatter, sondern als Akteure mit eigener Agenda zu sehen. In den aufbrandenden Jubel hinein rief Nolte aber auch, dass man nur, weil man den klassischen Medien zu Recht misstraue, nicht gleich jeden Unsinn auf Telegram teilen müsse. Die russischen Propagandalügen zur Rechtfertigung der Invasion seien weit plumper als westliche Narrative. So ginge von der Ukraine weder eine nukleare Bedrohung aus, wie RT behaupte, noch gebe es mobile Biowaffenlabore, von denen Putin fabuliert habe.
Bei der anschließenden Diskussion zeigte sich dann, dass Sekundärtugenden wie Höflichkeit, Ausredenlassen oder Zuhörenkönnen in unseren politisch aufgeladenen Zeiten im konservativen Lager einen ebenso geringen Stellenwert haben, wie im progressiven. Einlassungen vom Kaliber: Die Frage »Warum hat man denn die Scheiß-Nato 1990 nicht aufgelöst?« fand der auch in der Diskussion sichtlich um Ausgleich bemühte Referent denn doch »gelinde gesagt daneben«.
Wie für manche Linke scheint auch für Rechte Putin eine Projektionsfläche eigener Sehnsüchte zu sein. Nolte fasste es so zusammen: »Ich habe den Eindruck, dass viele unserer Anhänger so von Deutschland enttäuscht sind, dass sie ihren überschüssigen Patriotismus unreflektiert auf Russland übertragen.«