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Armutsprävention auch Thema für Kommunen

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Von: Volker Böhm

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Gerda Holz Foto: Böhm © Böhm

15,3 Prozent der unter 15-Jährigen in Pohlheim leben in einer Familie, die Bürgergeld bekommt. Eine Expertin hat aufgezeigt, was Kommunen für diese Kinder und Jugendlichen tun können.

Pohlheim (vb). »Armut beschämt und das ist manchmal der Grund, Angebote nicht anzunehmen.« Ein Dilemma für Kommunen, denn Armutsexpertin Gerda Holz sieht auch die Städte und Gemeinden in der Verpflichtung, in diesem Bereich aktiv zu werden. Die Sozialarbeiterin und Politikwissenschaftlerin aus Bochum war lange stellvertretende Leiterin des Frankfurter Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik und referierte vor den Pohlheimer Parlamentsausschüssen zum Thema »Armutsprävention bei Kindern und Jugendlichen - Möglichkeiten auf kommunaler Ebene«.

Zunächst die Fakten: 15,3 Prozent der unter 15-Jährigen in Pohlheim leben in einer Familie, die Bürgergeld bezieht. Das sei die dritthöchste Quote im Landkreis. Kreisweit sind 16,3 Prozent der unter 18-Jährigen in dieser Situation - laut Holz mit steigender Tendenz.

Dabei gab die Referentin zu bedenken: »Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.« Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch man müsse immer wieder betonen, dass deren eigenen Bedürfnisse und Ansprüche befriedigt werden müssten. Stattdessen erlebten arme junge Menschen den Mangel und den Verzicht als Alltagssituation. Kinder aus solchen Familien besuchten seltener das Gymnasium oder später die Uni.

Und zu Beginn des Bildungslebens ständen arme Familien am Ende der Schlange, wenn es um die Kita-Plätze geht. »Bei zu wenigen Plätzen werden schnell mal die Ellenbogen ausgefahren.« Daraus entstehe eine strukturelle Benachteiligung von armen Menschen. Die Kommune müsse handeln und mehr Plätze zur Verfügung stellen, erklärte die Referentin. Gerade in Pohlheim ist dies aktuell ein Problem.

Holz leitete die erste und bislang einzige Langfriststudie zu Kinderarmut. Dabei wurde die Entwicklung einer gleichbleibenden Gruppe vom Kindergartenalter bis zum Alter junger Erwachsener verfolgt.

Die Expertin hat sich insbesondere mit der Frage beschäftigt, wie Kinder und Jugendliche aus der Armut herauskommen. Ein von ihr mit Praktikern entwickeltes Konzept sind die »Präventionsketten«: Die beteiligten Institutionen von der Kita bis zur Berufsausbildung bilden einen Verbund und begleiten Kinder und Jugendliche über einen längeren Zeitraum, ohne dass es ständig zu Brüchen kommt. Inzwischen fördere das Land diese Konzepte.

Wichtig sei auch eine Armutssensibilität. Die Referentin schilderte ein Beispiel, wie es nicht passieren sollte: Ein Kindergartenkind aus einer armen Familie hat schon seit Wochen die geforderte Matschhose nicht mitgebracht. Eine Erzieherin erzählt der Mutter vor den Ohren und Augen der anderen Eltern, dass man eine tolle Matschhose in der Kleiderkammer besorgt habe. Diese gut gemeinte Aktion beschämt aber Kind und Mutter. Erforderlich wären stattdessen Empathie. Wertschätzung und Respekt.

Ziel der Prävention müsse sein, armutsbedingte Barrieren abzubauen, Stigmatisierung zu vermeiden und Teilhabe an allem zu ermöglichen.

Doch was kann eine Kommune tun? Holz machte zum Schluss ihres Vortrags einige konkrete Vorschläge: Neben den Kita-Plätzen und nicht beeinflussbaren Angeboten an den Schulen nannte sie eine aufsuchende Kinder- und Jugendarbeit, eine stärkere Einbindung in Vereine oder eine intensive Information und Beratung der Eltern.

In der anschließenden Diskussion wollte Professor Helge Stadelmann (CDU) von Holz wissen, wie sie zu einer Kita-Pflicht steht. »Das können wir nicht durchsetzen, weil das Angebot nicht ausreicht. Auch nicht bei der gesetzlichen Verpflichtung, für jedes Kind einen Platz vorzuhalten«, lautete die Antwort.

Zu einer Frage von Matthias Kücükkaplan (SPD) berichtete Holz, dass laut einer Langzeitstudie 25 Prozent der Betroffenen auch mit 25 Jahren noch arm seien. Diese hätten entweder nicht die Chance gehabt oder die Kraft besessen, aus der Situation herauszukommen.

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