Pohlheimer Archivarin auf Bildungsreise

Nikola Stumpf ist seit einem Jahrzehnt im Stadtarchiv in Pohlheim tätig. Jetzt geht sie für drei Monate auf Bildungsreise nach England.
Pohlheim . Seit zehn Jahren leitet die Watzenborn-Steinbergerin Dr. Nikola Stumpf in Pohlheim mit viel Engagement das dortige Archiv. Nun nimmt sie eine dreimonatige Auszeit, ist bis Ende August privat auf einer Art »Forschungsreise und Weiterbildung« im englischen York unterwegs. Dort will sie sich vor allem das Archiv der Stadt York näher ansehen.
Mit ihrer englischen Kollegin ist sie schon länger in Kontakt. Nikola Stumpf schwebt es vor, mit Kollegen im Ausland einen Kontakt aufzubauen, mit ihnen zu sprechen und zu sehen, wie es mit der Archivierung in anderen Länder ist, wie weit dort die Digitalisierung vorangeschritten ist. Gespannt ist sie auf das innovative Konzept für das Archiv, wie sie erfahren hat.
Forschungsreise zu »Rosenkriegen«
Als »Rosenkriege« (Wars of the Roses) wurden die mit Unterbrechungen von 1455 bis 1485 geführten Kämpfe zweier hochadeliger Familien um die englischen Thronansprüche bezeichnet. Der Name bezeichnet eine Reihe von Kampfhandlungen zwischen den beiden rivalisierenden englischen Adelshäusern York und Lancaster, die zwei verschiedene Zweige des Hauses Plantagenet darstellten und die beide ihre Stammlinie auf König Edward III. zurück führen ließen. Die Wappen dieser Familien enthielten Rosen (eine rote Rose für Lancaster, eine weiße Rose für York). Allerdings lässt sich in zeitgenössischen Quellen die Identifizierung der Rosen mit den jeweiligen Häusern nur bedingt nachweisen.
Dass Nikola Stumpf drei Monate von ihrem Arbeitsplatz fernbleiben kann, hat sie Bürgermeister Andreas Ruck zu verdanken. Er hat zugestimmt, dass sie dafür zusätzliche Überstunden im vergangenen Jahr aufbauen konnte. Ihr Büro verwaist während ihrer Abwesenheit nicht, Kollegin Daniele Schneider vertritt sie.
Prall gefüllter Terminkalender
Langweilig wird es Stumpf in der City of York, die eine selbstständige Verwaltungseinheit ist und nur zu zeremoniellen Anlässen zur Grafschaft North Yorkshire gehört, wohl eher nicht. In den ersten beiden Wochen ihres Englandaufenthaltes erkundet sie Yorkshire, das sie letztmals 2016 besuchte, bevor dann der voll belegte Terminkalender abgearbeitet wird. Auf dem Programm stehen neben Vorlesungen, Archivbesuchen und Gesprächen auch zahlreiche Veranstaltungen. Auf das Yorker Museum mit seinem Konzept freut sich Stumpf besonders, denn ihre englische Kollegin hat sie schon richtig neugierig gemacht.
Die Pohlheimer Archivarin hat englische Literatur mit den Nebenfächern Neuere Geschichte und Psychologie studiert. »Britische Reiseberichte im 18. Jahrhundert und wie die das Schottlandbild verändert haben« hieß das Thema ihrer Doktorarbeit.
Mit Engagement verrichtet Stumpf nun seit zehn Jahren als Leiterin und Nachfolgerin von Christel Hankel ihren Dienst auf einer Halbtagsstelle im Archiv der Stadt Pohlheim, in dem sie zuvor schon ehrenamtlich tätig war. Als sie dort beruflich begann, arbeitete man noch mit Karteikarten. Ihr erster Schritt war, alles in den Computer zu integrieren. Allmählich wurde der Arbeitsumfang durch mehr Mails, Anfragen und Ferngespräche größer. Internationale Anfragen, darunter aus Amerika, Australien und Israel, stiegen enorm.
Viele Auswanderer und deren Angehörige suchen oft nach ihren Wurzeln und melden sich beim Archiv. Oft bekommt sie auch Dokumente von Personen, die ausgewandert sind, und man kann nachverfolgen, wie deren Weg in der neuen Heimat weiterging. So auch bei einem aus Grüningen stammenden Bürger, der als Bierbrauer in den USA zum Millionär wurde und sein Geld wieder verlor. Nikola Stumpf hatte den amerikanischen Verwandten praktisch die ersten 20 Jahre seines Lebens geliefert und erfuhr danach, wie es die folgenden 50 Jahre mit ihm weiterging. Dies gehört auch zu einer der zahlreichen Veröffentlichungen, die die Archivarin dem Oberhessischen Geschichtsverein zur Verfügung gestellt hat.
Viele Vereine wandten sich an das Archiv und Nachlässe wurden übergeben. Stumpf verwies im Gespräch auf die Vielfältigkeit, die sich aus dem Kommunalverbund der Archive und dem Kreisarchiv ergibt. Die enge Kooperation mit Sabine Raßner vom Kreisarchiv und Archivaren der kommunalen Archive im Landkreis Gießen sei hervorragend. Zweimal jährlich trifft man sich und tauscht sich aus
Die Bandbreite ihrer Arbeit geht vom Akten verzeichnen bis hin zu den internationalen Gesprächen und Forschungen. Die Pohlheimerin brachte sich bei den in Teamarbeit erstellten Ausstellungen »Zwischen Kriegseuphorie und Kriegsmüdigkeit - der Erste Weltkrieg im Spiegel der Kommunalarchive des Landkreises Gießen« (2015) und der soeben in der Sparkasse Gießen zu Ende gegangenen Kinoausstellung, die demnächst in Grünberg zu sehen sein wird, mit ein. Geplant ist, dass die Ausstellung auch in die Kulturstadt am Limes kommt.
In ihrer Freizeit hat Stumpf ein Buch mit dem Titel »Vom Ladenkino zur Eigenproduktion« geschrieben. Regelmäßigen Kontakt pflegt sie mit den Heimatfreunden Werner Bender (Grüningen) und Ehrenbürger Walter Damasky. »Was wäre ich ohne Walter? Ich kann immer zu ihm und er immer zu mir kommen. Walter hat mich über alle Jahre unterstützt. Wenn es irgendwo geklemmt hat, war er immer da«, freut sich Stumpf.
In den vergangenen Jahren haben die Landes- und Kreisarchive ihre Einrichtungen mit digitalen Versionen erweitert. So auch die Stadt Pohlheim, deren Stadtarchiv sich seit September 2021 dem Online-Portal Archivinformationssystem (Arcinsys) angeschlossen hat. Sollte eine Suchanfrage nicht vollständig abrufbar sein, kann man sich an das Stadtarchiv wenden, da noch nicht alle Bestände vollständig erfasst sind.
Gerne denkt Nikola Stumpf an den letztjährigen Festabend anlässlich des 50-jährigen Partnerschaftsjubiläums zwischen Admont und Pohlheim zurück, als sie in der Steiermark eine Festrede hielt. Auf die Frage nach Wünschen für die Zukunft antwortete sie: »Das Archiv muss dringend woanders untergebracht werden, denn die gehbehinderten oder älteren Nutzer kommen nur schwer und unter großen Anstrengungen in das ausgebaute Dachgeschoss der Alten Schule in der Ludwigstraße.«