Auch in Gießen: "Antisemitismus ist ein zentrales Thema an Schulen"
"Der Antisemitismus kommt nicht aus dem Nichts und ist auch nicht auf gesellschaftliche Randgruppen beschränkt", betont Dr. Alexandra Kurth von der JLU Gießen. Gemeinsam mit Dr. Samuel Salzborn von der TU Berlin hat sie im vergangenen Jahr ein wissenschaftliches Gutachten zu dem Thema erstellt.
Von Petra Zielinski
Gesellschaftliche Aufgabe: Der Kampf gegen Antisemitismus und Antiziganismus erfordert das Engagement aller Bevölkerungsschichten. Symbolfoto: dpa
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GIESSEN. "Antisemitismus ist ein zentrales Thema an Schulen", betonte Dr. Alexandra Kurth. Auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft der Deutsch-Israelischen Gesellschaft referierte die Rechtsextremismusforscherin und Studienrätin im Hochschuldienst der Justus-Liebig-Universität (JLU) in der Kongresshalle über "Antisemitismus und Schule. Erkenntnisstand und Handlungsperspektiven".
Viele Menschen hätten das Problem längst erkannt, wenn auch nicht in seiner ganzen Dimension, berief sie sich auf ein von ihr gemeinsam mit Dr. Samuel Salzborn von der Technischen Universität Berlin im vergangenen Jahr erstelltes wissenschaftliches Gutachten. Die Bundesländer suchten eine Lösung, die möglichst nichts kosten und problemlos in das Tagesgeschäft an Schulen integriert werden sollte.
Unterschiedlichste Facetten
"Der Antisemitismus kommt nicht aus dem Nichts und ist auch nicht auf gesellschaftliche Randgruppen beschränkt", führte Kurth aus. Die weitverbreitete Einschätzung, dass es keinen Judenhass mehr gebe, sei falsch. "Betroffene erleben täglich die unterschiedlichsten Facetten des Antisemitismus." Das fange bei Publikationen an, setze sich in sozialen Netzwerken fort und reiche bis hin zu Demonstrationen, wie die der rechtsextremistischen Partei "Die Rechten", die Antisemitismus sogar auf ihre politische Agenda setzen wollten.
Auch in Musiktexten und Graffiti seien antisemitische Parolen zu finden. Pöbeleien bei Sportveranstaltungen, Friedhofsschändungen, die Entfernung von Stolpersteinen sowie antisemitisch motivierte Verbrechen, wie der Anschlag in Halle, sprächen eine deutliche Sprache. Dabei gehe die Gewalt gegen Juden nicht nur vom rechten Spektrum aus, auch Muslime würden Hass verbreiten. "Wenn es keine Tatverdächtigen gibt, sind aber automatisch Rechte die Täter", betonte sie.
Straftaten gegen Juden bewegten sich seit 2002 auf einem hohen Niveau. 1799 Vergehen seien in 2018 registriert worden, 69 davon Gewaltdelikte. Dabei habe eine Umfrage in acht europäischen Ländern ergeben, dass nur 28 Prozent der Betroffenen den Vorfall auch wirklich zur Anzeige bringen. Berlin habe 2017 als erstes deutsches Bundesland begonnen, antisemitisch motivierte Vorfälle an Schulen zu registrieren. Im Mai 2018 habe auch das hessische Kultusministerium dazu aufgerufen, antisemitische Straftaten an Schulen zu melden. Dazu würden unter anderem das Leugnen des Holocaust oder die Verteilung antisemitischer Schriften zählen.
Alexandra Kurth kritisierte, dass es noch nicht in allen deutschen Bundesländern eine Meldepflicht gebe. "Die öffentlich bekannten Vorfälle sind nur die Spitze des Eisberges", fasste sie zusammen. Vielfach seien Lehrkräfte und Schulleitung bei Fällen antisemitischer Diskriminierung schlichtweg überfordert. Auch im Bereich der Präventionsarbeit im schulischen Unterricht gebe es noch viel zu tun. Dies gelte sowohl für die Lehrpläne als auch für verwendete Materialien und Schulbücher.
"Eine schulische Intervention gegen Antisemitismus ist immer eine Mischung aus Aufklärung und Prävention", unterstrich die Wissenschaftlerin. Die Thematisierung der Shoa im Unterricht sei zwar notwendig, aber nicht ausreichend. "Antisemitismus ist ein autoritäres Weltbild und nicht nur ein Vorurteil", erklärte sie.
Mehr über Juden erfahren
Aus diesem Grund sei eine direkte und individuelle Thematisierung des Antisemitismus im Unterricht erforderlich. Schüler sollten sich mit der jüdischen Religion, Kultur und Geschichte auseinandersetzen und die jüdische Geschichte nicht nur als "Verfolgungs- oder Opfergeschichte" kennenlernen. Darüber hinaus sei es sinnvoll, mit außerschulischen Bildungseinrichtungen sowie mit Behörden und der Polizei zu kooperieren. "Antisemitismus sollte ein Teil der politischen Bildung sein."