Auswirkungen des Coronavirus für die Wirtschaft in Stadt und Landkreis Gießen
Die Verbreitung des Coronavirus beeinflusst die Wirtschaft in Stadt und Landkreis Gießen auf unterschiedlichen Ebenen. Sparkasse und Volksbank raten Anlegern zur Gelassenheit.
Von Stephan Scholz
Die Absage der GINA am kommenden Wochenende gehört zu den spürbaren Folgen des Coronavirus. Archivfoto: Michael Binder
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GIESSENDass die aktuelle Verbreitung des Coronavirus in Deutschland auch die Wirtschaft in Stadt und Landkreis erreicht hat, ist spätestens seit der vorsorglichen Absage der Neuwagenmesse GINA am kommenden Wochenende einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In einer Blitzumfrage hat der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) allerdings schon vor wenigen Tagen ermittelt, dass über die Hälfte der hessischen Unternehmen bereits Auswirkungen des Coronavirus auf die Geschäfte spürt. Das gilt auch für die Veranstaltungsbranche und die Gastronomie. Anleger haben am Montag die wirtschaftlichen Folgen des Virus durch teils erhebliche Kursverluste etwa des deutschen Leitindex Dax oder des amerikanischen Dow Jones erlebt. "Nach dem jüngsten Rückgang am Aktienmarkt empfehlen wir, die Nerven zu behalten und auf dem erreichten niedrigen Niveau von Panikverkäufen abzusehen", teilt Pressesprecherin Christina Brückel die Einschätzung der Entwicklung der Finanzmärkte durch die Sparkasse Gießen und ihre Empfehlungen für Anleger mit.
Gastronomie
"Es gibt natürlich Branchen, die extrem von der aktuellen Lage betroffen sind", sagt Kurt Schmitt. Dazu zählt der Leiter der Stabsabteilung Öffentlichkeitsarbeit und Volkswirtschaft der IHK Gießen-Friedberg zunächst Betriebe, die auf Export und Import mit China angewiesen sind. Aber auch Veranstalter beispielsweise von Konzerten spürten die Folgen ebenso wie etwa Reisebüros oder die Bestücker von Messen, während zum Beispiel die Hersteller von Desinfektionsmitteln auf der anderen Seite der Medaille stünden. Die HIHK-Studie verweist zudem auf Schwierigkeiten in den Bereichen Industrie und Handel sowie dem Gastgewerbe. Für die Gastronomie im Gießener und Gleiberger Land bestätigt Oliver Seidel, Geschäftsführer des Dehoga Mittelhessen, diese Entwicklung. "Das Coronavirus wirkt sich auf die Übernachtungszahlen aus. Und auch im Cateringbereich verzeichnen wir Rückgänge", erläutert Seidel. Zudem sei in einzelnen Restaurantbetrieben die Entwicklung schon jetzt rückläufig, wobei Seidel zukünftig mit noch stärkeren Einbrüchen rechnet.
Selbst unmittelbar betroffen ist Dennis Bahl vom "Konzertbüro Bahl" bislang nicht. Denn die Veranstaltungen "Gießener Kultursommer" und "Marburger Sommernächte" finden im Spätsommer statt. Auch gebe es beim Vorverkauf keinen Umsatzeinbruch. Er registriere jedoch die aktuelle bundesweite Entwicklung in seiner Branche: "Was die Bundesregierung und insbesondere das Gesundheitsministerium aktuell machen, ist sehr verantwortungslos", kritisiert Bahl die Kommunikation. Grundsätzlich gelte es, der Situation mit gesundem Menschenverstand zu begegnen, was auch bedeute, wahrzunehmen, dass unter anderem auch in Mensen, Einkaufszentren oder im Öffentlichen Personennahverkehr große Menschenmassen zusammenkämen. Explizit die Veranstaltungsbranche herauszugreifen, bedeute gerade für sie erhebliche wirtschaftliche Folgen - in einer Pressemitteilung verweist der "Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft" darauf, dass in der Branche 3000 selbstständige Inhaber von Veranstaltungsunternehmen und rund 30 000 sozialversicherte und geringfügig Beschäftigte arbeiten. Neben einem Jahresumsatz von rund fünf Milliarden Euro stünden weitere fünf Milliarden Euro Ausgaben im Bereich Musiktourismus durch Veranstaltungen, so der Verband. Durch die aktuelle Kommunikation der Bundesregierung und den Schwebezustand durch Empfehlungen von Absagen, deren Umsetzung in die Zuständigkeit von Ländern und Kommunen fielen, sieht Bahl eine aufkommende Gefahr für die Veranstaltungsbranche sowie große Herausforderungen für die Lösung dieser sowie für die Wiederherstellung eines ruhigen und besonnenen gesellschaftlichen Alltags in den kommenden Wochen.
"Das Virus trifft nicht nur hessische Großbetriebe: 46 Prozent der hessischen Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten sind betroffen und fast zwei Drittel der Betriebe mit weniger als 200 Beschäftigten", hebt HIHK-Präsident Eberhard Flammer ein Ergebnis der Studie des Handelskammertags, an der sich 969 Mitgliedsbetriebe mit Antworten beteiligt haben, hervor. Zu den Schwierigkeiten für die Unternehmen zählten unter anderem Veranstaltungsabsagen, Krankheitsausfälle, Unsicherheit über künftige Geschäfte und Investitionen sowie die nachlassende Nachfrage. "Gerade für kleine und mittlere Unternehmen können diese Auswirkungen schnell zu einer existenziellen Gefahr werden", erklärt Flammer, der den Dreistufenplan der Bundesregierung für die Wirtschaft als gutes Zeichen wertet. Er umfasst unter anderem Kurzarbeitergeld; Unternehmen finden Informationen zum Thema auf der Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Das hessische Wirtschaftsministerium verweist auch im Zusammenhang mit Veranstaltungsabsagen auf Förderkredite und Bürgschaften. Informationen dazu finden sich auf der Homepage des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen.
Auch wenn die Unsicherheiten über die weitere Ausbreitung des Coronavirus nicht wegzudiskutieren seien, geht die Sparkasse Gießen von einem vorübergehenden Charakter der negativen Auswirkungen an den Märkten aus. Kurzfristig dürften sie jedoch sehr schwankungsanfällig bleiben.
Breit investieren
Für Anleger sei jetzt in erster Linie Gelassenheit angesagt. "Breit diversifizierte Anlageportfolien sind auf die langfristige Geldanlage ausgerichtet und deren Basis bleibt bestehen: Am langfristigen trendmäßigen Aufwärtspfad der Weltwirtschaft kann eine solche Krise unserer Auffassung nach nicht rütteln", bewertet die Sparkasse die Lage. Wie sich das neue Coronavirus und der derzeitige Ölstreit langfristig auf die Wirtschaft auswirken, sei noch nicht klar, analysiert dagegen Dr. Peter Hanker, Vorstandssprecher der Volksbank Mittelhessen. Allerdings hält auch Hanker Panik immer für einen schlechten Ratgeber. "Vielmehr empfehlen wir unseren Kunden, ihre Anlagestrategie unabhängig von der Tagesentwicklung in erster Linie an den persönlichen Wünschen und Zielen auszurichten. Wer breit investiert, in verschiedenen Anlageklassen und -themen, kann Marktschwankungen gelassener entgegensehen", resümiert der Vorstandssprecher.