"Der Eder, der muss einfach bleiben!", so tönt es im Verlauf des Street-Soccer-Turniers einstimmig aus den Reihen der rund 120 Anwesenden auf dem Ederbolzplatz. Doch seit die städtischen Pläne über die Sanierungsmaßnahmen zur Wohnraumförderung in der Nordstadt bekannt sind, ist die Zukunft vom "Eder" ungewiss.
Von Stefan Weiß
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GIESSEN - "Der Eder, der muss einfach bleiben!", so tönt es im Verlauf des Street-Soccer-Turniers einstimmig aus den Reihen der rund 120 Anwesenden auf dem Ederbolzplatz. Inmitten des sogenannten Flussstraßenviertels in der Nordstadt gelegen und eingerahmt von alten Bäumen sowie Wohnhäusern, ist der rote Ascheplatz an der Ecke Ederstraße/Schwarzlachweg seit Jahrzehnten längst mehr als nur ein Platz zum Kicken für Kids. Doch seit die städtischen Pläne über die Sanierungsmaßnahmen zur Wohnraumförderung in der Nordstadt bekannt sind, ist die Zukunft vom "Eder" ungewiss. Stadtsprecherin Claudia Boje äußerte erst kürzlich, dass sich der Standort ändern könnte.
Für die Anwohner und erst recht für die Kinder und Heranwachsenden, die den Bolzplatz täglich nutzen, eine völlig unverständliche Aussage. Für Stadtteilmanager Lutz Perkitny auch ein Grund, das ausgetragene Turnier vom Freitag zu nutzen, um auf die Bedeutung des Bolzplatzes aufmerksam zu machen. "Ich komme schon seit meiner Schulzeit auf dem Landgraf-Ludwigs-Gymnasium hierher", erzählt Perkitny und führt weiter aus: "Hier spielt es keine Rolle, woher man stammt und die Integration war schon immer gut. Uns ist einfach aufgefallen, wie wichtig es ist, dass die Kids im Umgang miteinander Regeln lernen. Man hat die Jugendlichen mit dem Ederplatz hier von der Straße geholt und sie haben angefangen, Fußball zu spielen. Würde der Standort jetzt einfach wegfallen, wäre das unglaublich schade, denn man wird nichts Vergleichbares in der Stadt finden."
Pfarrer Christoph Geist, Initiator der 1982 gegründeten, angrenzenden Jugendwerkstatt, setzt sich bis heute für die Sozialarbeit im Nordviertel ein und meint: "Etwas, das über so lange Zeit gewachsen ist, das lässt sich nicht einfach verlegen, und vor allen Dingen ist es durch die engagierte Beteiligung der Bürger und Jugendlichen entstanden." Auf dem Ederplatz reiften und gedeihen Nachwuchstalente heran, deren Weg von der Asche auf dem "Eder" über den Vereinsfußball wie etwa der Spielvereinigung Blau-Weiß Gießen oder dem TSV Rödgen bis hin zur Regionalliga führt. Erdinc Solak von der Eintracht Stadtallendorf ist ein aktuelles Beispiel. Aber schon seit den 1970er-Jahren stand der "Eder" für ausgeprägten Hobbyfußball mit Turniercharakter.
Der 66-jährige Helmut Appel, stellvertretender Vorsitzender der Spielvereinigung Blau-Weiß Gießen, und alteingesessener Nordstädter weiß das nur zu gut und dokumentiert dies am Turnierabend mit Foto-Collagen vergangener Veranstaltungen wie etwa das Turnier um den Friedenspokal der DKP von 1986. "Da war immer was los und alle hier im Viertel haben geholfen", erzählt Appel. So wie beispielsweise auch Alice Kalischewski, die schon seit 41 Jahren direkt neben dem Platz wohnt: "Mein Mann hat hier schon 1954 als Kind mit fünf Jahren Fußball gespielt und meine Kinder später ebenso. Die Kinder und Jugendlichen heute brauchen einen Treffpunkt und der ist hier - der kann nicht einfach so weg."
Am Lärm beim Fußballspielen stört sich niemand im Viertel, im Gegenteil, er gehört einfach dazu. "Wenn hier mal einen Tag lang nichts zu hören ist", erzählt Kalischewski, "dann gehe ich zum Fenster und frage mich, wo die heute nur bleiben." Selbst für die Kleinsten im Viertel ist der Bolzplatz ein wichtiger Ort zum Spielen. "Wenn der Platz mal unter Wasser steht, ist das ein Paradies für meine Kinder, um mit Regenhose und Gummistiefeln darin unbeschwert zu toben - wo sonst kann man denn so was noch in der Innenstadt tun?", stellt eine der anwesenden Mütter fest. Um die Wichtigkeit des Anliegens zum Erhalt des Bolzplatzes zu unterstreichen, bestehen die fünf Turniermannschaften nicht nur aus den Jugendlichen vor Ort.
Auch das Mitarbeiter-Team des Jugendzentrums Holzwurm und eine Lehrer-Mannschaft des Landgraf-Ludwigs-Gymnasiums (LLG) nehmen teil. Selbst Kreisliga-Kicker Helmut Schäfer vom FSV 1926 Fernwald nimmt die Gelegenheit zur Unterstützung wahr. "Das sind alles Leute", so Perkitny, "die immer noch einen engen Bezug zu ihrem Quartier hier haben." Dass die Integrationswirkung vom "Eder" und seinen sozial engagierten Menschen wie beispielsweise Perkitny auch über den Fußball hinausgeht, erfährt man im Gespräch mit den Zuschauern. "Lutz ist für mich wie eine Vaterfigur", weiß beispielsweise der 22-jährige Mohamed Said zu berichten.
Auch für ihn war der Bolzplatz an der Ederstraße der Schlüssel zur sozialen Integration. "Hier habe ich Lutz kennengelernt und er verhalf mir zu einer ordentlichen Ausbildungsstelle; inzwischen habe ich mich mit einer Werbeagentur selbstständig gemacht und stehe auf eigenen Füßen", berichtet Mohamed nicht ohne Stolz. Um den Erhalt des Ascheplatzes weiter publik zu machen, nimmt Said im Verlauf des Turniers Videos auf, macht Interviews mit Spielerinnen und Spielern sowie mit den Anwohnern. "Das Ganze soll in eine Online-Petition münden, damit erreichen wir hoffentlich viele Menschen", so Said. Neue Medien zu nutzen, diesen Weg geht auch der junge Baris Timagur, der sich seit zehn Jahren für die Nordstadt einsetzt. In der Steinstraße großgeworden, ist Timagur heute Hip-Hop-Musiker und hat beispielsweise zusammen mit seinem Bruder ein Lied über die Nordstadt gemacht. Außerdem produziert Timagur auch Einlauf-Songs für Boxer, wie zum Beispiel für den in Fernwald lebenden Schwergewichtler Andreas Sidon.
Der aktuell von Politik und Gesellschaft immer wieder gern genommene Begriff der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, der ist hier, rund um die Geschichte und Geschichten des Ederbolzplatzes schon längst gelebte Praxis - bürgernah, lebensecht und unbürokratisch. Zur nach Einbruch der Dunkelheit stattfindenden Siegerehrung des Turniers, das übrigens die Lehrermannschaft des LLG gewann, findet sich Stadträtin Astrid Eibelshäuser zur Preisverleihung ein und gratuliert allen Beteiligten zur gelungenen Aktion. Was den Anwohnern und Anhängern des Bolzplatzes jetzt noch fehlt, ist eine verlässliche Aussage, wie und vor allem wo es nun mit dem "Eder" in Zukunft weitergeht.