Diskussion an JLU Gießen über "#MeToo" und die Konsequenzen
"Zu weiß, zu reich, zu heterosexuell" lautete dabei ein Kritikpunkt an dem Hashtag "#MeToo". An der JLU wurde nun auch darüber diskutiert.
Von Charlotte Gemmeke
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GIESSEN - Im Oktober 2017 berichteten die New York Times und der New Yorker, dass Filmproduzent Harvey Weinstein von zahlreichen Frauen der sexuellen Belästigung sowie der Vergewaltigung beschuldigt wird. Die Schauspielerin Alyssa Milano rief betroffene Personen dazu auf, über den Hashtag "#MeToo" auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt öffentlich zu machen. Sehr schnell wurde der Hashtag tatsächlich immer häufiger von Personen, die sexuelle Belästigungen oder sexuelle Übergriffe erfahren hatten, genutzt. Die Bewegung, die in den USA begann, verbreitete sich international, sodass "#MeToo" in mindestens 85 verschiedenen Ländern bei Twitter benutzt wurde. "Zu weiß, zu reich, zu heterosexuell" lautete dabei ein Kritikpunkt an dem Hashtag "#MeToo". Allerdings wurde dadurch eine massive Präsenz geschaffen, die nicht mehr ignoriert werden kann. Deshalb werden politische Konsequenzen gefordert. Mit der Podiumsdiskussion ",#MeToo' - überfällige Kritik am Patriarchat oder neuer Puritanismus?" befasste sich daher das Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI) der Justus-Liebig-Universität (JLU) mit diesem Thema. Die Veranstaltung in der Aula stellte gleichzeitig die Auftaktveranstaltung für die neu gegründete ZMI-Sektion "Medien - Gender - Sexualität/en" dar.
Selbstbestimmung
"Universitäten stehen in einer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung. Dabei sind sie jedoch selber auch Ort diverser problematischer Machtstrukturen", sagte Dr. Nadyne Stritzke, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der JLU. Ein Beispiel sei der Prozess der wissenschaftlichen Qualifizierung. Wollen junge Nachwuchsforschende promovieren, müssten sie sich zwangsläufig in gewisse Abhängigkeitsverhältnisse begeben. In diesem Kontext könnten Universitäten leicht zu einem Ort des Machtmissbrauchs werden.
Dr. Birte Christ vom JLU-Institut für Anglistik JLU stellte ihre Moderation unter das Motto: "Es geht nicht darum, das Ausmaß an sexualisierter Gewalt zu leugnen, sondern die verschiedenen Aspekte der Debatte zu leugnen." Die weltweite Diskussion sei zwar mit der Reportage der New York Times über den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein ausgelöst worden. Was viele aber nicht wüssten: Bereits 2006 nutzte Tarana Burke den Slogan "MeToo" als Zeichen der Solidarität. Warum wurde das nicht gehört? Prof. Greta Olson (Amerikanistik/Anglistik und ZMI) hat darauf eine klare Antwort: "Es musste erst eine schöne, weiße Schauspielerin sagen, damit die Öffentlichkeit zuhört. An erster Stelle steht das Recht auf Selbstbestimmung von jeder Person. Das alles geht auf bestimmte Machtgefälle zurück. Es wird zwar immer wieder gesagt, dass das weniger wird, aber wäre es weg, hätten wir keine Debatte wie die von ,#MeToo'."
Die Bonner Nordamerikanistikerin Privatdozentin Dr. Elisabeth Schäfer-Wünsche unterstrich Olsons Worte: ",#MeToo' schließt nicht nur ein, sondern auch aus. Das binäre Verhältnis Mann-Frau und das Verständnis von Sexualität als Heterosexualität sowie das Phänomen der Celebrity-Culture sind zu einfach. Die Initiative,Time's Up' versucht das besser zu machen, was bisher nicht so gut gelungen ist."
In Deutschland setzte die Initiative erst im Januar 2018 ein, als Vorwürfe gegen den deutschen Drehbuchautor und Regisseur Dieter Wedel laut wurden. In Frankreich, das unterstrich Dr. Jutta Hergenhan vom ZMI, wurde der "#MeToo"-Bewegung auch von Männern Solidarität zugesprochen. Allerdings habe im Nachbarland die als typisch französisch bezeichnete Galanterie Tradition: "Ich verorte diese Galanterie in den Salons des 17. Jahrhunderts. Leider wird dieser Stereotyp häufig als Schulterschluss gegen die Kritik von Frauen an den bestehenden Machtstrukturen missbraucht." In Frankreich wurde über Machtmissbrauch bereits im Jahr 2011 durch den Fall des Politikers Dominique Strauss-Kahn berichtet.
Die journalistische Perspektive nahm Verena Lueken von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bei der Podiumsdiskussion ein. Sie betonte, dass die Debatte über Machtverhältnisse an sich schon als erster Erfolg zu werten sei. Das Problematische an der Film- und Fernsehbranche sei jedoch, dass diese die Geschichten selbst schreibe. Luekens Credo daher: "Wir müssen weg von Geschichten, die hierarchische Machtstrukturen spiegeln." Dazu gehöre auch, dass etwa Werke von Picasso, die mit Vergewaltigungen in Verbindung gebracht würden, nicht abgehängt werden dürften. "Wir müssen unser kritisches Bewusstsein schärfen. Kunstwerke zu verbieten ist Zensur. Wir sollten den Blick nicht vor unserer eigenen Geschichte verschließen, sondern eben diese vielmehr problematisieren", so Olson.
Doch warum trauen sich viele Betroffene erst jetzt, sich zu Vorfällen aus der Vergangenheit zu äußern? Auch diese Frage wurde lange diskutiert. Erste Erkenntnisse: Es gebe nun eine solidarische Atmosphäre, in die man hineinsprechen kann. Außerdem habe sich die Medienlandschaft stark verändert. Die Forderung nach Maßnahmen wurde wieder laut. "Es darf keine Vertrauensvereinbarungen geben, wenn es um sexuellen Missbrauch geht. Damit unterstützt man die bestehenden Machtstrukturen", forderte Olson. Und Hergenhan schloss die Veranstaltung mit den deutlichen Worten: "Eine junge Journalistin sollte sich nicht mitverantwortlich an einer versuchten Vergewaltigung fühlen, wenn sie einem Interview in einer Privatwohnung zugestimmt hat."