Ganz einfach: Professor der JLU Gießen erklärt Corona-Impfung
Auch für diejenigen, "die in Bio nicht so gut aufgepasst haben": JLU-Vizepräsident Michael Lierz zeigt mit Igelball und Bügelperlen, wie die Corona-Impfung funktioniert. Das Youtube-Video wurde bereits über 10 000 Mal aufgerufen.
Von Jasmin Mosel
Neben dem blauen Massageball spielen Bügelperlen und Haarklammern tragende Rollen in Lierz' Video. Screenshots: Mosel
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GIESSEN - Nicht jeder ist ein Ass in Naturwissenschaften. Das kennt auch Prof. Michael Lierz aus seinem Bekanntenkreis. "Ich hab' in Bio nicht so gut aufgepasst. Kannst Du vielleicht mal in einem Video erklären, wie die Corona-Impfung funktioniert?" - Als sich Anfragen wie diese häufen, überlegt der Veterinärmediziner und Vizepräsident der Justus-Liebig-Universität (JLU), wie er möglichst einfach und bildhaft aufklären und mit Gerüchten aufräumen kann. Doch die zündende Idee fehlt zunächst. "Ich musste erst einmal schauen, wie ich das darstellen kann", erzählt Michael Lierz im Gespräch mit dieser Zeitung. Als er einige Tage später zu einem der knallblauen Igelbälle aus dem Fundus des Allgemeinen Hochschulsports (ahs) greift, liegt das perfekte Demonstrationsobjekt buchstäblich auf der Hand. "Sieht ja aus wie ein Coronavirus", schießt es dem Wissenschaftler durch den Kopf. Der Hauptdarsteller für das Erklär-Video ist damit besetzt, weitere tragende Rollen übernehmen Bügelperlen als menschliches Erbgut und Haarklammern als Antikörper. Inzwischen ist der fertige, knapp sechsminütige, Clip mehr als 10 000 Mal bei Youtube aufgerufen worden. Es ist bereits der dritte Beitrag, in dem der Tierarzt Corona-Thematiken mithilfe von Alltagsgegenständen verdeutlicht. Und Michael Lierz schließt nicht aus, dass weitere Videos folgen werden.
"Der Kragen geplatzt"
In Rekordgeschwindigkeit wurde nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie eine Schutzimpfung entwickelt. Dauert die Herstellung eines Impfstoffes normalerweise mehrere Jahre, ist nun nach kurzer Zeit ein Vakzin einsatzbereit. Doch angesichts des rasanten Tempos reagieren einige Menschen mit Skepsis und Misstrauen - auch weil es sich nicht um eine Immunisierung mit Trägerviren, sondern um eine mRNA-Impfung handelt. "Man hört immer wieder, dass der Impfstoff schädlich sein soll", leitet Lierz sein Video ein. Er will Gerüchte entkräften, wonach das Vakzin etwa das Erbgut des Menschen verändere oder zu Unfruchtbarkeit führe. "Da die Impfung total sinnvoll ist", sei es wichtig, die Funktionsweise und Besonderheit dieser "ziemlich neuen Entwicklung" zu erklären. Hierfür nutzt der Veterinärmediziner also einen Igelball, der eigentlich zur Entspannung oder Fingergymnastik gedacht ist, eine Bügelperlenkette und Haarklammern. Vereinfacht gesagt, wird bei der Immunisierung mit dem Covid-19-Impfstoff zwar die mRNA des Virus - nicht aber sein komplettes Erbgut - injiziert. Diese künstlich hergestellte genetische Information wird von den wenigen Körperzellen an der Impfstelle als eine Art "Druckmatrize" genutzt, um das spezifische Antigen damit selbst zu produzieren. Kommt die geimpfte Person später mit SARS-CoV-2 in Kontakt, erkennt das Immunsystem diesen "Bauplan" wieder und kann das Virus durch die gebildeten Antikörper gezielt bekämpfen. Veränderungen des Erbgutes finden dadurch nicht statt. Zum Vergleich: Selbst bei harmlosen Erkältungen bringen Erreger mRNA-Moleküle in den menschlichen Körper. Die Impfung sei "ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen das Coronavirus", sagt Lierz und appelliert am Ende seines Videos: "Bitte lasst euch impfen, wenn ihr die Chance dazu habt."
Dass der JLU-Vizepräsident, der sich wissenschaftlich mit Infektionen bei Wildtierpopulationen beschäftigt, Forschungsergebnisse allgemein verständlich an ein breites Publikum heranträgt, ist erst einmal nichts Neues. Erst Mitte Januar war Lierz in einem Beitrag des ZDF-Servicemagazins "Volle Kanne" zu sehen. Als der Veterinärmediziner aber im März vergangenen Jahres zum Smartphone greift, ist das "eine Spontanreaktion". In seinem Bekanntenkreis hätten sich zu Beginn des ersten Lockdowns Stimmen gemehrt, dass Corona "doch bloß eine Grippe" sei. "Als ich das zum 27. Mal gehört habe, ist mir der Kragen geplatzt", sagt Lierz. Eigentlich nur für sein Umfeld - fern des medizinischen Bereichs - dreht er ohne viel Tamtam und mit einfachsten Mitteln ein Handyvideo. Mithilfe von Legosteinen verdeutlicht der Wissenschaftler darin, warum es wichtig ist, Abstand zu halten und Kontakte einzudämmen. Jemand teilt den kleinen Film auf Facebook, der Beitrag wird 800 Mal angeschaut. "Da ist mir bewusst geworden, dass es noch mehr Menschen gibt, die ich damit ansprechen kann", erzählt Lierz, der sich nach den Reaktionen auf sein erstes Video einen Youtube-Kanal angelegt hat. "Wenn die Leute im Fernsehen anfangen zu erklären, ist das zu voraussetzungsreich", hört er inzwischen häufig. Mit Alltagsgegenständen möchte der Professor die Inhalte quasi "von Nachbar zu Nachbar" vermitteln. Dass seine Videos auf viel positives Feedback stoßen, liegt für ihn auch daran, dass sie keine professionellen Produktionen - und dadurch nahbarer - sind.
Neben dem blauen Massageball spielen Bügelperlen und Haarklammern tragende Rollen in Lierz' Video. Screenshots: Mosel
Ohne viel Tamtam: Michael Lierz ist sicher, dass seine Clips auch wegen der unprofessionellen Machart so gut ankommen.
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Hauptberuflich will Michael Lierz zwar nicht unter die Youtuber gehen. Dass aber "hin und wieder Mal" ein Filmchen entsteht - "wenn ich den Eindruck habe, dass Erklärungsbedarf besteht" - sei nicht auszuschließen. Dazu braucht es dann wieder eine gut umsetzbare Idee. Für sein Video zur Übertragbarkeit von Corona auf Haustiere ("Bleibt entspannt!"), hat der Veterinärmediziner etwa ausrangiertes Spielzeug seiner Kinder vom Dachboden geholt. Und auch die Bügelperlen waren eine Leihgabe seiner Tochter. Aus welchen Farben er damit das menschliche Erbgut vereinfacht darstellt, durfte sich der Wissenschaftler allerdings nicht aussuchen. Die Teile mit Glitzer hat die Elfjährige nicht herausgerückt.