"Gefangenes Wort" aus Gießen berichtet über AktivistinYulia Tsvetkova
Studierende und Alumni der JLU stellen einmal im Monat ein Schicksal zensierter, bedrohter, inhaftierter und ermordeter Journalisten und Schriftsteller vor. Diesmal steht die russische Aktivistin Yulia Tsvetkova im Mittelpunkt, der der vorgeworfen wird, Homosexualität zu propagieren.
Künstlerin Julia Tsvetkova ist auf dem Bildschirm eines Laptops während des Video-Chats mit dem dpa-Korrespondenten zu sehen. Foto: dpa
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GIESSEN (red). Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht - und dennoch wird dieses Recht noch immer in vielen Teilen der Welt unterdrückt. Hervorgegangen aus einer studentischen Initiative, hat es sich der Gießener Verein "Gefangenes Wort" zur Aufgabe gemacht, auf die Gefährdung der Meinungs- und Pressefreiheit aufmerksam zu machen. Seit der Gründung im Jahr 2012 stellen Studierende und Alumni der Justus-Liebig-Universität (JLU) einmal im Monat im Gießener Anzeiger ein Schicksal zensierter, bedrohter, inhaftierter und ermordeter Journalisten und Schriftsteller vor. Diesmal beschäftigt sich Alex Günter mit der russischen Aktivistin Yulia Tsvetkova.
Der russischen Aktivistin Yulia Tsvetkova drohen mehrere Jahre Haftstrafe, weil sie sich für die Rechte von Frauen und LGBTQI einsetzt. Ebenso wird ihr vorgeworfen, dass sie Homosexualität propagiere und dadurch "nicht-traditionelle Familienwerte" in den Fokus rückt. Mittlerweile wird international auf die Straße gegangen, um auf ihren Fall aufmerksam zu machen.
Geboren wurde Yulia Tsvetkova im Jahr 1993 im äußersten Osten Russlands, der Region Chabarowsk. Ihr politischer Aktivismus keimte 2018 auf. Sie schrieb und hielt Vorträge über Themen wie Feminismus, LGBTQI-Rechte, Mobbing und Antimilitarisierung. Im selben Jahr gründete sie den heterarchischen Theaterverein "Merak Theatre Company". In ihren Bühneninszenierungen wurden unter anderem Themen des Erwachsenwerdens oder der Strafverfolgung verhandelt. Bis hierher verlief ihre Arbeit unentdeckt. Dies änderte sich mit einer humoristischen Darbietung zu Geschlechterstereotypen. Diese Bühnenshow erregte die Aufmerksamkeit der Stadtverwaltung, die Anfang Februar 2019 Kontakt zu dem Theaterverein aufnahm, um sich über deren Aktivitäten zu informieren. Man könnte behaupten, dass dies der Beginn des Leidenswegs von Yulia Tsvetkova gegen den russischen Staat war.
Zuerst wurde dem Theaterverein der Zutritt zu städtischen Räumlichkeiten verwehrt. Dies wiederholte sich, nachdem der Verein sich neue Räume gesucht hatte. Aus diesen Gründen wendete sich Tsvetkova erstmalig an die Medien, um diese Geschichte publik zu machen. Für die Behörden war dies der Anlass, nun verstärkt gegen sie zu ermitteln. Am 20. November 2019 gipfelte es in der willkürlichen Verhaftung, infolge der die Aktivistin ab dem 22. November bis zum 16. März 2020 arrestiert wurde. Der Vorwurf: Veröffentlichung von pornografischem Material im Internet. Das Strafverfahren bezieht sich auf ihre Zeichnungen von "körperbetonten weiblichen Körpern" und später auf Bilder von gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern.
Harte Gangart
Sollte es zu einer Verurteilung kommen, hieße das drei bis sechs Jahre Haft. In einem Interview mit dem queeren Magazin "Siegessäule" gesteht Tsvetkova ein, dass sie wenig Hoffnung habe, wegen des Verfahrens. "Weniger als ein Prozent der Gerichtsentscheidungen gehen in solchen Fällen positiv für die Angeklagten aus." Weiterhin betone sie, dass Unmengen an Pornografie in Russland produziert werde und sie die Zielscheibe nur auf dem Rücken habe, weil sie sich gleichzeitig für die Rechte von Frauen und Homosexuellen stark mache. Legitimiert wird diese harte Gangart des Staates durch das "Homosexuellen-Propagandagesetz" aus dem Jahr 2013. Dieses verhilft den russischen Behörden zu willkürlichen Strafen gegen Aktivisten. Allein eine positive Bewertung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft kann mit einem Bußgeld von bis zu 25 000 Eurobestraft werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betitelt dieses Gesetz als diskriminierend.
Für Yulia Tsvetkova geht der Kampf um ihre Freiheit und Zukunft weiter. Kraft zieht sie aus den Menschen, die international für sie und ihre Arbeit auf die Straße gehen. Sie wisse, dass ihre Aktionen in ihrer Heimat für wenig positive Stimmung sorgen werden, doch sei ihre Geschichte nicht umsonst, wenn so über die Menschenrechte in Russland aufgeklärt wird.
Wer sich für Yulia Tsvetkova einsetzen möchte, kann dies beispielsweise durch die Aktion von Amnesty International "Briefe gegen das Vergessen" tun.