Gießen: Im "Mordfall Johanna" geht es für Verteidigung nicht um Freispruch
Mit Verbrechen kennt sich Uwe Krechel bestens aus. Ab dem 20. April nun wird der 61-Jährige mit seinem Kollegen Thomas Ohm den Mann verteidigen, der nach Überzeugung der Gießener Staatsanwaltschaft die kleine Johanna aus Bobenhausen ermordet hat.
Von Heidrun Helwig
Strafverteidiger Thomas Ohm (links) und Uwe Krechel. Foto: Kanzlei/Nico Schiff
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Den Angeklagten im "Mordfall Johanna" verteidigen Sie gemeinsam mit Ihrem Kanzleipartner Thomas Ohm. Wie ist es dazu gekommen?
Der Kollege Ohm hat den Mandanten bereits über Jahre in Betäubungsmittel-Verfahren vertreten, übernimmt aber in der Regel keine größeren Schwurgerichtsprozesse. Und so kam ich als der "Mördermann" dazu.
Apropos: Die Lektüre Ihres Buches legt nahe, dass Sie immer die Eigenheiten der Vorsitzenden der Strafkammern kennen. Haben Sie sich bereits über die Vorsitzende in Gießen informiert?
Natürlich führe ich vorher mit den Beteiligten Gespräche und - das ist ja inzwischen üblich - schaue mir Bilder im Internet an. Außerdem recherchiere ich zu den bisherigen Prozessen und den Urteilen, die gesprochen wurden. Aber das hat keine Auswirkungen auf meine Strategie in einem Strafverfahren.
Woran orientiert sich diese Strategie?
An den erforderlichen, objektiven Gegebenheiten. Sie beruht stets auf dem Akteninhalt. Da gibt es kein großartiges Taktieren, sondern ich überlege aufgrund meiner rund 30-jährigen Erfahrung, was der gangbarste Weg ist, um es dem Angeklagten noch so erträglich wie möglich zu machen. Das versuche ich auch dem Gericht gegenüber klar zu machen.
Ihr Mandant hat bereits die Verantwortung für den Tod von Johanna übernommen, bestreitet aber eineTötungsabsicht. Die Staatsanwaltschaft hingegen geht von Mord aus. Welches Ziel verfolgen Sie?
Zunächst ist objektiv festzustellen, ob das tatsächlich ein Mord gewesen ist. Es geht um die Frage, ob jemand durch grob leichtfertiges Fehlverhalten den Erstickungstod des Kindes herbeigeführt hat. Das ist eine sensible Schaltstelle der Bewertung, ob Mord oder möglicherweise nur eine Körperverletzung mit Todesfolge gegeben ist.
Wie kann das überhaupt noch geklärt werden?
Die Staatsanwaltschaft hat einen Sachverständigen benannt, der in der Hauptverhandlung Stellung dazu nehmen wird, ob das Opfer absichtlich komplett verklebt oder ob der Tod durch dummes Fehlverhalten herbeigeführt wurde. Die nächste Frage ist, was der Angeklagte tatsächlich mit dem Mädchen gemacht oder hat machen wollen. Die zentrale Frage lautet: Kann ein lebenslänglich vermieden werden?
Sind Sie denn der Auffassung, dass es kein Mord war?
Ich kann natürlich vor der Hauptverhandlung keine Überzeugung treffen, sondern muss zunächst das Ergebnis der Beweisaufnahme abwarten. Aber es gibt Zweifel daran. Das zeigt sich schon daran, dass bereits jetzt 13 Verhandlungstage festgelegt sind und sicherlich noch mehr hinzukommen, obwohl der Angeklagte bezüglich der äußeren Geschehensabläufe voll geständig ist.
Mord oder nicht Mord? Ist das der Knackpunkt des Prozesses?
Das ist der eine Knackpunkt. Der andere ist, ob unser Mandant womöglich im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat. Man wird sich damit beschäftigen müssen, wie erheblich grundsätzlich und eventuell auch am Tattag der Drogenkonsum war. Das war es dann aber schon.
Wird ihr Mandant im Prozess selbst Angaben machen?
Ja, er wird sprechen.
Im Fall des Landwirts, der aus Eifersucht einen Doppelmord begangen hat, beschreiben Sie sehr ausführlich, wie Sie mit ihm sein Verhalten im Prozess vorher trainiert haben. Haben Sie diesmal auch geprobt?
Nein. Mein Mandant soll sich so geben, wie er ist, dann erklären sich vielleicht viele Fragen von selbst. In dem damaligen Fall hatte der Angeklagte ein schlechtes Benehmen und hat sich dämlich ausgedrückt. So etwas muss man im Vorfeld ein bisschen ausschleifen.
Es wird in der Hauptverhandlung wahrscheinlich zu einer Konfrontation Ihres Mandanten mit der Mutter von Johanna kommen. Wie haben Sie ihn darauf vorbereitet?
Ich weiß noch gar nicht, ob die Mutter tatsächlich kommt. Aber natürlich habe ich ihn darauf aufmerksam gemacht, dass es zu dieser Begegnung kommen kann. Das ist auch meine Pflicht.
Sie haben sich auch mit dem Problem der öffentlichen Vorverurteilungbeschäftigt: Wie sehen Sie das in diesem Fall?
Ich habe dazu noch gar nichts Mediales mitbekommen. Aber es geht in diesem Fall nicht um Freispruch. Jemand, der die Tötung eines Menschen eingeräumt hat, ohne dafür einen rechtfertigenden Grund zu haben, ist schon nach Aktenlage ein Stück weit vorverurteilt. Dass natürlich Menschen, die Kinder umbringen, keinen hohen Sympathiefaktor haben, versteht sich ja von selbst.
In Ihrem Buch heißt es, "Kindesmörder geben meist ein jämmerliches Bild ab". Entspricht Ihr Mandant dieser Beschreibung?
Das möchte ich Ihrer persönlichen Betrachtung am ersten Hauptverhandlungstag überlassen. Wenn man die Tat abstreifen würde, sind diese Menschen ganz hilflose und oftmals tatsächlich erbärmliche Gestalten. Und denen entspricht der Angeklagte eher als dem Bild eines imposanten, aufrecht durchs Leben gehenden Mannes.