Gießen: JLU-Historiker Thomas Bohn hält Affäre von Rasputin und Zarin für "Unsinn"
Die Musik besitzt Ohrwurm-Qualität und vor allem der Refrain lädt zum lauten Mitsingen ein. Der Disco-Hit "Ra-Ra-Rasputin" von "Boney M" hat weltweit die Hitparaden gestürmt. Der Text aber stimmt mit der Realität nur wenig überein. "Es hat sicher keine Affäre zwischen Rasputin und der Zarin gegeben", betont Prof. Thomas Bohn von der JLU.
Von hh
Ein Mythos: der russische Mönch und angebliche Heiler Grigori Rasputin. Foto: dpa
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GIESSEN - Die Musik besitzt Ohrwurm-Qualität und vor allem der Refrain lädt zum lauten Mitsingen ein. Der Disco-Hit "Ra-Ra-Rasputin" von "Boney M" hat weltweit die Hitparaden gestürmt. Der Text aber stimmt mit der Realität nur wenig überein. "Es hat sicher keine Affäre zwischen Rasputin und der Zarin gegeben", betont Prof. Thomas Bohn von der Justus-Liebig-Universität (JLU) im Interview. Obendrein hält der Osteuropahistoriker den Einfluss des Predigers auf die Politik des Zaren für "eher klein".
Spätestens seit dem weltweiten Disco-Hit von "Boney M" ist der Name Rasputin auch historisch wenig interessierten Menschen bekannt. Darin heißt es: "Ra-Ra-Rasputin Lover of the Russian Queen". Stimmt diese Liedzeile mit der Realität überein?
Dieses Lied ist während der Endphase der Perestroika auch in Russland in den Diskotheken rauf und runter gelaufen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob jemand den Text tatsächlich wörtlich genommen hat oder ob das nicht eher nur als Einladung zum Tanz verstanden wurde. Inhaltlich aber ist das Unsinn, es hat sicher keine Affäre zwischen Rasputin und der Zarin Alexandra gegeben.
Die beiden hatten eine enge Beziehung und der Wanderprediger erhielt praktisch ungehinderten Zugang zum Zarenhof sowie zur Zarenfamilie. Hat das nicht gerade erst zu den Gerüchten geführt?
Entgegen der üblichen dynastischen Heiratspolitik im 19. Jahrhunderts sind Nikolaus II. und Alix von Hessen-Darmstadt eine Liebesbeziehung eingegangen. In den Briefwechseln springt einem die glückliche Familie regelrecht ins Auge. Überschattet wurde die Idylle allerdings dadurch, dass nach vier Töchtern der ersehnte Thronfolger unter der Bluterkrankheit litt. Rasputin konnte dem Kind tatsächlich mehrfach helfen und dadurch war die Zarin ihm verpflichtet. Und auch sie selbst suchte die Gespräche mit ihm. Die Gerüchte sind aber vor allem erst nach dem Tod von Rasputin aufgekommen. Damit findet der Song von "Boney M" einen Vorläufer in der Trivialliteratur des Jahres 1917.
Eine andere bekannte Liedzeile lautet: "Ra-Ra-Rasputin Russia's greatest Love machine". Damit wird dem Gottesmann obendrein ein sexuell ausschweifendes Lotterleben unterstellt. Ist auch das Unsinn?
Man muss unterscheiden zwischen der Person Rasputin und seiner tatsächlichen Rolle bei Hofe und seinen Eskapaden, die durch Polizeiberichte durchaus dokumentiert sind. Sein mitunter erheblicher Alkoholkonsum sowie der Umgang mit Prostituierten sorgten zwar für Gesprächsstoff in der höfischen Gesellschaft. Von der Zarin aber wurde diese dunkle Seite des Wundermönches gern ignoriert.
Warum fasziniert Rasputin die Menschen nun schon seit über 100 Jahren?
Ein Grund ist sicher diese gewisse Exotik, die selbst die erhaltenen Fotografien verdeutlichen. Dabei ist er stets mehr oder weniger ungepflegt, ungekämmt erschienen, hat sich sogar tolpatschig benommen. Gleichzeitig verkörpert er das, was die Elite unter dem einfachen Volk versteht. Hinzu kommen sein Charisma, das er zweifelsohne besessen hat, seine Spiritualität und das Bild des weisen, gelehrten Asketen, der sich auch in der Literatur Dostojewskis wiederfindet. Und natürlich auch die dunkle Seite seiner Ausschweifungen. Ein Reizthema ist aber immer sein Einfluss auf das Zarenhaus gewesen.
Wie bewerten Sie selbst den Einfluss, den Rasputin auf die Zarenfamilie und auf die Politik von Nikolaus II. hatte?
In Bezug auf die Politik war sein Einfluss eher klein, aber in Bezug auf den Sohn und seine lebensbedrohliche Krankheit groß. Viel konnte auch Rasputin gegen die Hämophilie nicht machen, aber er hat einige Male geholfen, die Blutungen zu stillen. Plausibel ist, dass er bei Besetzungen von Kirchenämtern zumindest gehört worden ist. Rasputin hat sich als Pazifist geäußert und eindringlich vor dem Großen Krieg gewarnt. Inwieweit er über die Zarin aber tatsächlich auf die Personalpolitik des Zaren hat Einfluss nehmen können, lässt sich schwer sagen.
Welche Auswirkungen hatte dann die Ermordung von Rasputin auf die Verhältnisse im Zarenreich?
Seine Mörder wollten durch das Verbrechen die Monarchie retten. Diese skandalträchtige Person musste als Sündenbock herhalten, damit die Autokratie ihre ins Wanken geratene Position wieder festigen konnte. Der Schuss ist im wahrsten Sinne des Wortes nach hinten losgegangen. Es gab zumindest in der Elite bereits ein antimonarchisches Klima und durch den Mord kochte die Gerüchteküche geradezu über.