Gießen: Sammelband beleuchtet Antisemitismus und Nationalismus von AfD und FPÖ
Bereits im März 2016 verkündete die Bundessprecherin der AfD, ihre Partei "wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, nicht von den Erfahrungen der FPÖ zu profitieren". Grund genug also, AfD und FPÖ in einem Aufsatzsammlung einem analytischen Vergleich zu unterziehen.
Von Heidrun Helwig
Na, dann Prost: Frauke Petry von der AfD und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache (rechts) stoßen auf der Zugspitze an. Foto: dpa
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GIESSEN - Gerade für die "ausgesprochen junge Partei" ist es besonders wichtig, einen Verbündeten zu haben. Das hat auch Frauke Petry längst erkannt. Denn bereits im März 2016 verkündete die Bundessprecherin der AfD, ihre Partei "wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, nicht von den Erfahrungen der FPÖ zu profitieren". Schließlich können die "Freiheitlichen" mit jahrzehntelanger Kenntnis des politischen Geschäfts aufwarten. Und mit allerhand Erfolgen. Bei der österreichischen Präsidentenwahl etwa konnte Norbert Hofer mit 46,21 Prozent das bislang beste Ergebnis eines FPÖ-Kandidaten einfahren. "Es war zugleich das beste Ergebnis, das je ein Kandidat einer rechtsradikalen, rechtsextremen oder rechtspopulistischen Partei in Europa nach 1945 erzielt hat, wodurch die FPÖ abermals ihren Modellcharakter für andere rechte Parteien unterstreichen konnte", stellt Stephan Grigat fest. Grund genug also, AfD und FPÖ einem analytischen Vergleich zu unterziehen. Ausgangspunkt dafür war eine gemeinsame Tagung des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam und des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands in Wien. Die dort gehaltenen Vorträge hat der Politikwissenschaftler nun unter dem Titel "AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder" herausgegeben.
"Impulse geben"
Den informativen und differenzierten Sammelband hat der Lehrbeauftragte der Universität Wien im Sommersemester auch in Gießen vorgestellt. An der Justus-Liebig-Universität (JLU) war Stephan Grigat 2015/16 Gastprofessor für kritische Gesellschaftstheorie.
Dabei versteht sich die Publikation weniger als "abschließende Beurteilung" denn als "aktuelle Bestandsaufnahme", die der "gerade in praktisch-politischer Hinsicht dringend notwendigen Diskussion Impulse geben soll". Noch sei nämlich unklar, welche Kräfte und Fraktionen sich letztlich in der Partei durchsetzen. Intensiviert haben sich die Kontakte zwischen AfD und FPÖ vor allem nach der Entmachtung von Bernd Lucke, Mitbegründer der ursprünglichen "Anti-Euro-Partei", fasst Grigat in der Einleitung "Von Österreich lernen" zusammen. Für die "Freiheitlichen" habe sich schließlich erstmals die Gelegenheit geboten, "dass sich dauerhaft eine erfolgreiche Schwesternpartei in Deutschland etabliert, die zwar rechts von den Unionsparteien agiert, aber anders als etwa die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) auch auf Bundesebene breitere Wählerschichten anspricht und nicht permanent von einem Verbot bedroht ist". Die rege Reisetätigkeit der Politiker von hüben und drüben gipfelte im Januar in einem international viel beachteten Kongress in Koblenz, an dem auch Marine Le Pen, Geert Wilders und Matteo Salvini teilnahmen. "Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der AfD und der FPÖ hinsichtlich antiaufklärerischer Gesellschaftsvorstellungen, des Hasses auf gesellschaftliche und institutionelle Vermittlung und der Begeisterung für die unmittelbare Herrschaft des ,Volkswillens', der Agitation gegen die EU, der aggressiv-nationalistischen Positionierung in der Asyl- und Flüchtlingsdebatte und der außenpolitischen Nähe zu Wladimir Putins Russland liegen auf der Hand", schreibt der Herausgeber.
Verschiebungen lassen sich hingegen bezüglich des Antisemitismus bei den Parteien am rechten Rand des politischen Spektrums beobachten. Denn es gibt sowohl israelfreundliche als auch eindeutig antisemitische Äußerungen. Umstritten sei indes, ob es sich dabei tatsächlich um den Beginn einer substanziellen Veränderung hin zu einer "dezidiert anti-antisemitischen Rechten" oder um eine reine Instrumentalisierung handele. "Die partielle Entsagung hinsichtlich klassischer, offen antisemitischer und antiisraelitischer Hetze bei gleichzeitiger Konzentration auf die ,raumfremde Kultur' des Islam stellt Protagonisten von AfD und FPÖ allerdings vor ein Problem: Kein noch so verschwörungstheoretisch versierter rechter Agitator käme auf die Idee, ,der Moslem' wäre in der Lage, die internationale Finanzwelt zu kontrollieren und die europäischen Nationen in die Krise zu stürzen." Die fremdenfeindlichen Ressentiments gegenüber den in Europa lebenden Muslimen und Flüchtlingen aus islamisch dominierten Ländern erinnerten an Aspekte von klassisch rassistischen Vorstellungen von gewalttätigen, aber letztlich "unterlegenen und minderwertigen Einwanderern" und nicht an antisemitische Vorstellungen von überlegenen, durch die geschickte Handhabung von Geld und Geist die Welt ins Unglück stürzenden und daher bis zur letzten Konsequenz zu bekämpfenden Juden.
Neben dem Schwerpunkt Antisemitismus wird in dem Sammelband auch die Familien- und Geschlechterpolitik beider Parteien näher beleuchtet. Rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in Form einer "Ehe für alle" werden von der AfD strikt abgelehnt, schreibt Juliane Lang. "Forderungen nach der Abschaffung der Geschlechterforschung finden sich länderübergreifend in sämtlichen Programmen". Dabei dürfe der Antifeminismus aber nicht mit einer generellen Frauenfeindlichkeit gleichgesetzt werden. Beiden Geschlechtern werden eindeutige und unveränderbare Rollen zugewiesen. Die AfD richte sich im Kern "gegen eine Auspluralisierung geschlechtlicher, sexueller und familialer Lebensweisen". Auch von der FPÖ werden die herkömmlichen Geschlechterrollen "fetischisiert", so Karin Stögner in ihrem Beitrag. Insbesondere die Rolle der Mutter. ",Gender Mainstreaming' wird daher in einer ans Paranoide grenzenden Weise angegriffen." Die FPÖ argumentiere, dass es dabei nämlich nicht um die Gleichstellung der Geschlechter und die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit gehe, sondern Ziel sei es, eindeutige Geschlechtlichkeit zu verwischen. Die Wissenschaftlerin, die 2016 ebenfalls die Gastprofessur für kritische Gesellschaftstheorie an der JLU innehatte, ist überzeugt: "Sexismus, Homo- und Transphobie sind fixe Bestandteile der Ideologie der FPÖ und können eine Vertretungsfunktion für einen nicht mehr offen zugelassenen Antisemitismus einnehmen."
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Stephan Grigat (Hrsg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder, Nomos, Baden-Baden 2017, 205 Seiten, 28 Euro.