Gießen: Wenn angehende Lehrer "weinen": Diskussion zu Vorbereitungsdienst
Eine Podiumsdiskussion zur Situation im Vorbereitungsdienst, dem Referendariat, zeigte in Gießen die Probleme und Unzufriedenheit auf. So wurde in einer Umfrage eine zu hohe Arbeitsbelastung beklagt.
Von rsc
Angeregte Diskussion: Leo Will vom Verein mitmission bei der Moderation, auf dem Podium (v.l.) Frank Diefenbach (Grüne, MdL), Christian Hofmann (Studienseminarleiter), Lisa Hoppe (Mentorin), Christoph Degen (SPD, MdL), Lara Gattuso (Mentorin). Foto: Schäfer
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GIESSEN - Befähigt der Vorbereitungsdienst, das Referendariat, die angehenden Lehrkräfte wirklich, kompetent mit den anstehenden Herausforderungen umzugehen? Bereitet er sie adäquat auf die Realität in der Schule vor? Lässt er ihnen Raum zur individuellen Entfaltung ihrer Persönlichkeit oder werden sie zu Marionetten eines konformistischen Schulsystems erzogen? Diese und viele weitere Fragen wurden im Margarete- Bieber-Saal unter der Moderation von Leo Will vom Verein mitmission mit fünf Podiumsgästen teils kontrovers diskutiert. Der Verein hatte innerhalb seiner Veranstaltungsreihe "Parole Bildung - Nachdenken. Vordenken. Mitdenken." dazu eingeladen.
Das Referendariat dauert in der Regel zwei Jahre. Die Ausbildung der Lehrer im Vorbereitungsdienst (LiV) - früher Referendare genannt - findet an den zugewiesenen Schulen und im Studienseminar in Form von Hospitationen sowie angeleitetem und eigenverantwortlichem Unterricht statt und beinhaltet verschiedene Module.
"Vermintes Gebiet"
"Heute begeben wir uns auf ein vermintes Gebiet", sagte Moderator Will zu Beginn. Es bestehe das Gefühl, dass viele unzufrieden seien mit dem Referendariat. Dieses entscheide letztendlich, ob man eine Planstelle bekomme und ins Beamtentum übernommen werde oder nicht. Viele LiVs zeigten allerdings nur noch eine "Augen-zu-und-durch-Mentalität". Von Teilnehmern einer Studie sei bei dem Vergleich von Studienseminar und Ausbildungsschule kritisiert worden, dass die Schule zwar sehr viele Freiheiten gebe und vieles ausprobieren lasse. Doch die Ansprüche des Seminars würden für den Schulalltag als unrealistisch angesehen. In manchen Modulen seien Inhalte und Erwartungen so abstrus, dass dies mit den Gegebenheiten in der Schule kaum noch etwas zu tun habe. Viel wichtiger und wertvoller sei es, mehr Zeit in der Schule zu verbringen. Ausbilder, die nicht mehr unterrichteten und keine Ahnung von Schulrealität hätten, hätten nichts an Studienseminaren zu suchen, hieß es weiterhin.
Kritik gegeben habe es auch zum Unterrichtsbesuch durch die Ausbilder. Es gehe zu viel Zeit für die Vorbereitung dafür drauf, sodass regelmäßig der andere Unterricht auf der Strecke bleibe und sich nur sehr halbherzig darauf vorbereitet werden könne. Das sei sehr unbefriedigend und frustrierend, weil man sich eigentlich auf den Schulalltag vorbereiten sollte. Die Belastung des Referendariats werde in der Umfrage von knapp 40 Prozent als "hoch" und von gut 30 Prozent als "sehr hoch" eingestuft. Dazu habe einer der Umfrageteilnehmer geantwortet: "Ich arbeite wirklich gerne mit Kindern. Aber mir wird gerade jeder Spaß daran genommen. Ich fühle mich jetzt schon so ausgebrannt, dass ich es kaum erwarten kann, nach dem 'Ref' erst mal eine Weile etwas anderes zu machen."
Ein anderer kritisierte das Studienseminar, das so leidenschaftlich die Kompetenzorientierung und das intrinsische motivierte Lernen betone. "Warum nicht mal selbst an diesem Punkt ansetzen?", lautete seine Frage. Der Marburger Erziehungswissenschaftler Dr. David Gerlach, der die Umfrage durchgeführt hatte, kommentierte die Ergebnisse mit dem Satz: "Es ist ein komisches System, wenn es normal ist, dass erwachsene Menschen weinen." Vom Podium gab es zahlreiche Stellungnahmen zu den Befragungsergebnissen. So meinte etwa Frank Diefenbach, der für die Grünen als Sprecher für weiterführende Schulen im Landtag sitzt: "Wenn Erwartungen zu hoch sind und Idealismus herrscht, kann dies zu Enttäuschungen und Unzufriedenheit führen."
Lehrerbildungsgesetz
Christoph Degen, als bildungspolitischer Sprecher der SPD im Landtag, findet das Referendariat "zu zerklüftet". Es müsse mehr bewertungsfreie Phasen geben. Der Gießener Studienseminarleiter Christian Hofmann hingegen kritisierte, dass er beim im Landtag beschlossenen Hessischen Lehrerbildungsgesetz bereits vier Novellierungen miterlebt habe. "Die fehlende Stetigkeit erschwert die Ausbildung", stellte er fest.
Lisa Hoppe, Lehrerin und Mentorin an der Gesamtschule Gießen-Ost, berichtete. "An unserer Schule werden die Mentoren nicht zugeteilt. Der LiV muss selber suchen und es beginnt eine regelrechte Bettelei um Mentoren." Für die Ausbildung der LiVs bekomme man nur wenig, benötige aber viel Zeit. "Später muss man vielleicht noch die Tränen trocknen." Hospitieren in Hessen sei zwar vorgegeben, aber oftmals sei keine Zeit dafür, schloss sie. Lara Gattuso, Lehrerin und Mentorin an einer Schule im Odenwald, schilderte, dass die Vorbereitung der LiVs auf eine Unterrichtsbesuchs-stunde bereits zwei, drei Wochen vorher beginne. Denn der Druck sei immens hoch. Und dann werde ein benotetes Theaterstück abgeliefert, was mit dem Schulalltag nichts zu tun habe.
Gattuso forderte, dass die Mentoren Mitspracherecht bei der Benotung haben sollten. Auch Gerlach sprach sich dafür aus, die Rolle der Mentoren zu stärken. Eine wöchentlich nur einstündige Entlastung der Stundenanzahl sei viel zu gering, betonte er. Hofmann schlug abschließend vor, "mal an das ganze System ranzugehen". Denn das derzeitige System Schule sei veraltet.