"Hilfe zur Selbsthilfe": "Anstoß"-Stiftung fördert Projekte in und um Gießen

GIESSEN - Kinder stark und Eltern fit machen für den Alltag: Ziele, die sich die "Anstoß"-Stiftung seit mehr als zwei Jahrzehnten auf die Fahnen geschrieben hat. Ein Beispiel: Für Alicia ist die Vorweihnachtszeit besonders schlimm. Seit fünf Jahren in Deutschland, lebt sie mit ihrem Mann und den drei Kindern in Gießen. Die Familie kommt aus Rumänien. Eingelebt hat sie sich noch immer nicht richtig. Alicia ist mit vielem überfordert. Sie fühlt sich isoliert, ist verzweifelt wegen der ständigen Streitereien zu Hause, aber auch wegen der Geldsorgen. Sie wünscht sich "mal einen richtigen Urlaub - nicht in erster Linie für mich, sondern für die Kinder". Sie sollen mal wieder ausgelassen spielen können, unbeschwert und unbelastet.

Vom Kindergarten hat sie einen Flyer für eine Wochenendfreizeit mitgebrachtUm der Hektik und dem Trubel zu entkommen. "Mit wenig Geld den (Familien-) Alltag meistern", heißt es dort. Ihr Mann ist skeptisch, willigt dann aber doch ein. Und taut zunehmend auf, als er sich auf der Freizeit mit anderen Vätern austauscht. Das Verhältnis zu seinen Kindern entspannt sich ebenfalls, zum Beispiel bei Abenteuerspielen. Und in Gesprächen wird deutlich, dass sie diese gemeinsamen Aktivitäten besonders schön finden, sie sich geradezu danach sehnen, mehr als Familie zu unternehmen. Angeboten wird diese Freizeit von der "Aktion Perspektiven für junge Menschen und Familien", unterstützt wird der Verein von der "Anstoß"-Stiftung.

"Es geht uns immer um den Aspekt der Nachhaltigkeit", sagt der Vorstandsvorsitzende und ehemalige Geschäftsführer der Jugendwerkstatt, Wolfgang Balser. Niemals werde dabei nach der Papierlage entschieden, ergänzt Michael Meyer, der als Lehrer an der Ricarda-Huch-Schule unterrichtet und neben Christoph Geist dienstältestes Vorstandsmitglied ist. "Von der Stiftung macht sich immer jemand vorher ein Bild. Sämtliche Anträge werden ausführlich diskutiert." Der Fokus ist stets darauf gerichtet, "Hilfe zur Selbsthilfe" zu bieten. Der Staat solle dadurch freilich nicht aus seiner sozialpolitischen Verantwortung entlassen werden. "Wir wollen Dinge anstoßen, in Gang setzen, aber niemals eine Dauerfinanzierung darstellen."

Das Auswahlverfahren ist klar geregelt: So müssen die Initiativen, die sich um eine Förderung beworben haben, nachweisen, was sie alles gemacht haben und dass sie kein Geld von staatlicher Seite erhalten. Eine Rolle spielen stets gesellschaftspolitische Erkenntnisse. "Dazu gehört, dass Gießen die Stadt mit den meisten Alleinerziehenden ist." Wobei der Stiftung vor allem diejenigen Initiativen am Herzen liegen, "die neue Wege beschreiten".

Seit 20 Jahren fördert "Anstoß" Projekte aus Stadt und Landkreis, die sich für Menschen in sozialen Notlagen einsetzen. Durch die Nähe sei es möglich, die Arbeit und den Erfolg unmittelbar zu begleiten, heißt es in den Statuten. Stiftungsgründer ist Prof. Heinz Josef Varain, der bis 1988 an der Justus-Liebig-Universität Politikwissenschaft lehrte. Bis zu seinem Tod vor sieben Jahren war es Varain ein Anliegen, vor allem Kindern und Jugendlichen den Weg zu einem eigenständigen, selbstbestimmten Leben zu ebnen.

Besonders Mädchen und Frauen hätten geringere Chancen und erfahren außerdem oft noch wegen ihres Geschlechts Gewalt. "Wir wollen soziale Ungleichheiten ausbalancieren", verdeutlicht Michael Meyer. Bei dieser Vorgabe hat die Stiftung in den vergangenen Jahren eine Menge bewirkt. "Mittlerweile haben wir rund 840 000 Euro für 340 Einzelprojekte ausgeschüttet", listet Wolfgang Balser auf. Dabei kann der Vorsitzende sich auf die Expertise seiner Kollegen verlassen, die allesamt auf dem sozialen Sektor tätig sind. "Das sind alles Leute, die verstehen, worauf es ankommt. Wir haben dadurch einen guten Einblick in das, was in diesem Bereich passiert."

So weiß Michael Meyer um die Bedeutung der kulturellen Bildung. "Kommt es im Zuge eines Theaterprojekts zu einer Aufführung, wird jeder der Laienschauspieler gewürdigt. An diesem Erfolg sind also alle beteiligt." Dies sei "enorm wichtig" für junge Menschen, erläutert der Theaterpädagoge, der sich vor seiner Lehrertätigkeit schwerpunktmäßig mit jungen Aussiedlern beschäftigt und sich um die offene Jugendarbeit gekümmert hat.

Spendenakquise

Neben den Präventionsworkshops zur "Loverboy-Methode" an Schulen in und um Gießen werden zudem der "Wegweiser Demenz für die Region", das "Chorprojekt mit Flüchtlingen in Biebertal" und das "Ziegenprojekt der Arbeiterwohlfahrt Gießen" unterstützt. 17,4 Prozent der Fördermittel flossen in den vergangenen drei Jahren in Projekte für Kinder und Jugendliche, von weiteren zwölf Prozent profitierten Familien. Für sozial benachteiligte Erwachsene wurden 10,9 Prozent der Gelder investiert, 28,8 Prozent für die Integrationsförderung von Geflüchteten. Die Mädchen- und Frauenförderung betrug 15,3 Prozent.

Zur täglichen Arbeit des Vorstands zählt die Akquise von Spendern. Wer also finanziell mithelfen möchte, könne sicher sein, "dass wir die passende Institution in unserer Region für ihn finden".